Gemüse und Fisch frisch aus dem Basler Container
In praktisch allen Städten der Welt spriessen urbane Selbstversorger aus dem Beton und gewinnen an Bedeutung. Die so genannten Urban farms haben auch in der Schweiz Potenzial, wie ein Besuch im Pionierbetrieb UF001 LokDepot in Basel zeigt.
Auf dem Rangierbahnhof Dreispitz hängt ein Lokführer einen Wagen ab, gibt einen kurzen Hornstoss und fährt langsam aus dem Depot. Auf dessen Dach, versteckt in orangen Frachtcontainern, stecken drei junge Männer Setzlinge und füttern Fische.
Im 250 Quadratmeter grossen, lichtdurchfluteten Gewächshaus gehen sie ihrem Metier als Jungunternehmer im Bereich Urban Agriculture nach.
Nach einer mehrjährigen Phase des Austestens und Geldauftreibens startete UF001 LokDepot im letzten Juli mit einem Kapital von 1,2 Mio. Franken seine Produktion.
Seit Anfang dieses Jahres kann das kleine Team die Früchte ernten: Fische sowie spezielle Gemüse, Salate und Kräuter, die per Fahrrad an fünf Restaurants in der Nähe ausgeliefert werden.
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Das Unternehmen ist eine Aquaponic-Fischfarm. Die Ausscheidungen der Tilapia-Buntbarsche düngen das Grünzeug, und dieses wiederum reinigt gleichzeitig das Wasser für die vier Zuchtbecken – ein geschlossener Kreislauf, der in ein bis zwei Stunden absolviert ist.
«Sie werden Ende des Monats auf dem Teller liegen», scherzt Manager Mark Durno, während er eine Handvoll pflanzliches Futter zu den Fischen ins Becken wirft. Die Fischnahrung ist garantiert frei von Antibiotika, wie das Unternehmen betont.
Die Aquaponic-Farm ist Teil von UrbanFarmers, einem Spin-off der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil (ZHAW).
Becken und Gewächshaus, wo das Gemüse nicht auf Erde, sondern auf schwimmenden Styropor-Inseln gedeiht, sind mit zahlreichen Rohren verbunden, in denen schmutziges Wasser hin und sauberes Wasser wieder her gepumpt wird.
Gesteuert werden die Pumpen von computergesteuerten Sensoren, die auch für optimalen Energieverbrauch, Beleuchtung und Ventilation verantwortlich sind. «Dies ist ein Rolls Royce für ein Gewächshaus», lacht Durno, ein gebürtiger Schotte und von Haus aus Jurist.
Ziel der Food Urbanism Initiative (FUI) ist die Erforschung des Einflusses von Lebensmitteln auf die Gestaltung des öffentlichen Raums. Untersucht wird auch das Potenzial von Architektur- und Landschaftsplanung im Hinblick auf Produktion, Verteilung und Konsum von Lebensmitteln in Schweizer Städten.
Über 50% von 2500 Personen, die in Lausanne befragt wurden, waren für die Herstellung von Lebensmitteln in Städten.
Sie zeigten sich auch bereit, für urbanes Gemüse wie etwa Tomaten mehr zu bezahlen.
Sie gaben ferner an, selber mehr Zeit für das lokale Ziehen von Gemüse zu investieren, falls Boden, Know-how und Hilfe bereitgestellt würden.
Die Initiative wird ihre Forschungsprogramme im November abschliessen.
Im Vordergrund standen kleine Projekte städtischer Landwirtschaft auf Lausanner Brachflächen sowie ein Test auf einer grossen Fläche von bis zu sechs Hektaren im Stadtzentrum als Anbaufläche mit öffentlich-privatem Charakter.
Die FUI-Initiative ist Teil des nationalen Forschungsprogrammes «Neue urbane Qualität» (NFP 65).
Supermärkte im Visier
UrbanFarmers ist Teil einer wachsenden Bewegung für die nachhaltige Produktion hochwertiger Lebensmittel in den Städten. Die Spanne reicht von Schrebergärten, Gemeinschaftsgärten wie die Gemüsepflanzungen auf dem Grundstück des abgerissenen Fussballstadions Hardturm in Zürich bis zum Hightech-Anbau quasi unter Laborbedingungen auf Flachdächern, oder eben in Containern.
Gelobtes Land für urbane Selbstversorger sind die USA und besonders New York. Das Pionier-Unternehmen Gotham Greens betreibt in Brooklyn ein hydroponisches Gewächshaus, während die Brooklyn Grange Gemüse auf Dächern mit einer Fläche von 10’000 Quadratmetern zieht.
Zu den Grossen der neuen Branche gehört Bright Farms. Die Firma hat Verträge mit sechs grossen Ketten abgeschlossen, um auf den Dächern von deren Supermärkten oder in unmittelbarer Umgebung Treibhäuser zu bauen.
Begeisterung und Skepsis
In Basel äussern sich die Kunden von UrbanFarmers sehr zufrieden. «Die Produkte sind etwas teurer, aber sie sind es wert, weil es sich um Spitzenprodukte handelt. Der Nüsslisalat beispielsweise ist viel besser als derjenige aus dem Supermarkt», lobt Markus Himpsl, Chef des nahegelegenen Restaurants Schmatz. Ihm gefällt besonders, dass die frischen Produkte, die er in seiner Küche verwendet, in der Stadt quasi um die Ecke angebaut werden.
UrbanFarmers erwartet, die volle Produktion ab April zu erreichen. Ziele sind fünf Tonnen Gemüse und Salate sowie 800kg Fisch. Mit seiner beschränkten Anbaufläche und Betriebskosten von 120’000 Franken ist das innovative Unternehmen aber eher ein Schaufenster dafür, dass die Technologie ausgereift und parat für eine Produktion in grossem Rahmen ist.
Ziel von Durno und UrbanFarmers ist es nämlich auch, die neuartige Produktionstechnologie Interessierten, also vor allem Landwirten, Grosshändlern oder Restaurantbesitzern, zu erklären.
Bereits ist UF002 in Planung, die Ende Jahr ihren Betrieb aufnehmen soll. Die Dachfarm soll über 1000m2 verfügen. Dies entspricht der Grösse, ab der die Technologie für einen Händler in der Schweiz kommerziell interessant werden soll. Mit geschätzten zwei Mio. Quadratmetern Dachfläche besitze das Konzept gerade in Basel riesiges Potenzial, ist man bei UrbanFarmers überzeugt.
Die Sache sei aber nicht so einfach, gibt dagegen Craig Verzone zu bedenken. Der Architekt ist an der Food Urbanism Initiative (FUI) beteiligt, die an der ETH Zürich lanciert wurde. Im Programm wird nach der Interaktion zwischen urbanem Raum und lokaler Lebensmittelproduktion geforscht.
Altbauten fallen weg
«Viele Bauten können das Gewicht eines zusätzlichen Gewächshauses gar nicht aufnehmen. Die Renovation bestehender Gebäude würde grosse Komplikationen mit sich bringen. Künftig sehen wir städtische Treibhäuser daher eher auf Neubauten, weil dies der einfachere Weg ist», so Verzone.
Die Pioniere von UrbanFarmers arbeiten momentan daran, die Technologie zu vereinfachen, so dass Wassertemperatur oder die klimatischen Bedingungen via Smartphone überwacht werden können. Einmal praxistauglich, will das Unternehmen Schweizer Supermarktketten gewinnen, um auf deren Dächer aquaponische Gewächshäuser zu bauen.
Nichtsdestotrotz steht die Firma erst am Anfang. Und Durno räumt ein, dass gegenüber der Hightech-Variante urbanen Gemüseanbaus noch Skepsis bestehe. Bezweifelt werde besonders, ob eine «urbane Farm» genügende Mengen von Gemüse produzieren könne, um kostendeckend zu sein.
«Mein Vater ist traditioneller Bauer in Schottland», sagt Durno. «Ihm zu erklären, wie man mitten in einer Stadt mit Gemüseanbau in einem 250m2-Gewächshaus Geld verdienen kann, ist schwierig. Ich sage ihm aber, dass er in fünf Jahren wiederkommen soll. Die Leute müssen mit eigenen Augen sehen, wie es funktioniert. Darüber zu diskutieren ist einfach, wichtig ist, dass wir es machen», so der junge Schotte.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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