Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Gentest für alle: Fluch oder Hoffnung?

Die Zulassung von Gentests für jedermann wird noch einiges zu reden geben. Reuters

Via Internet kann jeder sein Erbgut auf Krankheitsrisiken testen lassen. In der Schweiz sind solche Gentests nicht zugelassen. Ernst Hafen, Professor für Molekular-Biologie an der ETH Zürich, fordert den Zugang zu DNA-Tests für alle – zum Wohl der Gesellschaft.

swissinfo.ch: Sie plädieren dafür, dass Gentests für den Eigengebrauch auch in der Schweiz zugelassen werden – ohne ärztlichen Bezug und ohne medizinischen Zweck. Ist das nicht fahrlässig?

Ernst Hafen: Wir müssen verstehen, dass es sich um eine neue Technologie handelt, die sehr grosse Fortschritte gemacht hat. Bereits heute gibt es Anbieter solcher Tests im Ausland. Uns geht es in erster Linie darum, Aufklärung über den Sinn dieser Tests zu betreiben.

swissinfo.ch: Was bringt mir persönlich ein solcher Test?

E.H.: Wenn Sie an Ihrer Herkunft und Ihrer genetischen Konstitution interessiert sind, sollten Sie das Recht haben, solche Tests zu machen, ohne dass man Ihnen weitere Vorschriften macht. Verbote sind nicht der richtige Weg.

Ich plädiere dafür, dass man in Schweizer Labors Gentests zu kompetitiven Preisen machen kann, unter der Voraussetzung, dass sie rechtsmässig und zertifiziert durchgeführt werden. Wer einen solchen Test macht, sollte genau wissen, welche Informationen er bekommt und was diese bedeuten.

Mit diesen Tests hat jeder die Möglichkeit, einen Beitrag zur medizinischen Forschung und zur Gesundheit aller, nicht nur zu seiner eigenen, zu leisten.

swissinfo.ch: Die Gentests dienen also in Ihren Augen dem Wohl der Gesellschaft?

E.H.: Das ist richtig. Wir haben in den letzten 10 Jahren, seit es diese Tests gibt, gelernt, dass die gleichen Krankheiten in verschiedenen Menschen unterschiedliche Ursachen haben und daher unterschiedliche Therapien benötigen. Ausserdem reagieren Menschen unterschiedlich auf Medikamente. Beides hängt jeweils von der Umwelt und von den Genfaktoren ab.

Es braucht Millionen Datensätze und grosse Computer und Datenanalyse-Programme, um dieses Verständnis zu verfeinern und dann gezielt Vorbeugemassnahmen und Therapiemassnahmen treffen zu können. Da stehen wir noch ganz am Anfang.

swissinfo.ch: Wird da der Mensch nicht von ehrgeizigen Forschern als Versuchskaninchen missbraucht?

E.H.: Das sehe ich nicht so. Man dürfte niemanden zwingen, einen solchen Test zu machen. Es müsste auf freiwilliger Basis sein, und man sollte die Option haben, an einem Test teilzunehmen, um einen Beitrag zur Forschung zu leisten, und dabei auf persönliche Informationen zu verzichten, um nicht beunruhigt zu werden.

Andere Leute möchten alles wissen, sich darauf einstellen, wenn sie z.B. ein höheres Alzheimerrisiko haben. Wieder andere möchten die Ergebnisse nur für Veranlagungen von Krankheiten wissen, wo vorbeugende Massnahmen möglich sind.

swissinfo.ch: Wenn ich mit 50 erfahre, dass ich ein erhöhtes Alzheimerrisiko habe, könnte diese Belastung nicht meine Lebensqualität massiv verschlechtern?

E.H.: Die Leute gehen sehr unterschiedlich mit solchen Informationen um. Da muss jeder selbst entscheiden können. Wir sollten niemanden bevormunden. Das Recht auf Wissen und das Recht auf Nicht-Wissen müssen garantiert werden.

Es gibt Studien in den USA, die zeigen, dass Patienten, denen man gesagt hat, sie hätten ein höheres Alzheimer-Risiko, mit dieser Information sehr wohl umgehen können. Sie versuchen, besser zu leben und sich gesünder zu ernähren.

swissinfo.ch: Wenn vermehrt solche Tests durchgeführt werden, könnten die Gesundheitskosten explodieren, da infolge der Testresultate vermehrt Arztbesuche, Therapien, jährliche Tests anfallen könnten.

E.H.: Das ist eine berechtigte Befürchtung, die diskutiert werden muss. Die andere Seite der Medaille ist, dass dank dieser Forschung mehr Prävention gemacht werden kann, was die Gesundheitskosten senkt.

swissinfo.ch: Wie steht es um die Solidarität in der Gesellschaft? Was, wenn der Datenschutz aufgeweicht wird, Krankenkassen für Personen mit hohem Krankheitsrisiko höhere Prämien verlangen oder Arbeitgeber solche Leute nicht mehr einstellen?

E.H.: Das Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) untersagt, dass genetische Informationen irgendwelcher Art für die Grundversicherung der Krankenkasse beigezogen werden oder von Arbeitgebern verlangt werden können.

swissinfo.ch: Gesetzte können revidiert werden. Sie fordern ja auch, dass Gentests für alle erlaubt sein sollen.

E.H.: Das ist eine gesellschaftliche Diskussion. Das Recht auf Selbstbestimmung und die Gleichheit der Individuen muss gesichert sein. Wir müssen sicherstellen, dass diese Daten nicht in falsche Hände geraten.

Auch hier haben wir in der Schweiz die Möglichkeit, einen Beitrag zur Datensicherheit zu leisten und die Datenspeicherung und Analyse nicht allein amerikanischen Firmen zu überlassen.

Mehr

Mehr

ETHZ/EPFL

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz hat zwei technische Hochschulen, die ETHZ in Zürich, die 2005 ihr 150 jähriges Bestehen feiern konnte, und die EPFL in Lausanne, die 1853 als Privatschule gegründet wurde und 1969 nach der Trennung von der Universität Lausanne eine Eidgenössische Hochschule wurde. Beide Hochschulen gelten als führende Institutionen in Wissenschaft und Technologie und werden direkt…

Mehr ETHZ/EPFL

swissinfo.ch: Haben Sie denn überhaupt keine Angst, dass die Informationen missbraucht werden könnten?

E.H.: Ich würde das Gesetz, wonach die Grundversicherung und die Arbeitgeber nicht auf genetische Daten zugreifen können, nie aufweichen wollen.

Aber auf der anderen Seite muss man sagen, dass Diskriminierungen für Zusatzversicherungen und Lebensversicherungen bereits heute bestehen, und das nicht erst, seit wir diese Gentests kennen.

Es ist heute schwierig Zusatzversicherungen zu erhalten, wenn man eine gewisse Krankengeschichte hat, beziehungsweise Fälle in der Familie aufgetreten sind.

swissinfo.ch: Ist davon auszugehen, dass bald vermehrt Gentests an Ungeborenen durchgeführt werden und es mehr Abtreibungen geben wird, weil das «perfekte Baby» gewünscht ist?

E.H.: Es gibt keine perfekten Babies oder Menschen, zum Glück. Pränatale Prognose ist heute schon ein Thema – mit oder ohne Gentest. Der Gentest kommt als neue Methode dazu.

Die Gentests, wie man sie in den USA kennt, sind eine Technologie, die sehr rasch kommt. Hier kann die Schweiz mit ihrer Diskussionskultur eine führende Rolle in Europa spielen.

Das Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) untersagt Gentests am Menschen, ausgenommen sie sind zum Schutz der Gesundheit des Menschen notwendig. Wenn in der Familie zum Beispiel Hinweise auf Erbkrankheiten vorliegen, kann ein Gentest auch ohne medizinische Notwendigkeit gemacht werden. Tests können aber nur von Ärzten veranlasst werden.

Gentests erleben im Internet zurzeit einen wahren Boom. Solche Tests, die im Ausland vorgenommen werden, kann der Bund nicht verhindern. Deshalb will er nun handeln und diese Gesetzeslücke schliessen.

Die Experten-Kommission für gentechnische Untersuchungen des Bundes (Gumek) hat bereits Ende 2009 vor den Risiken von Internet-Gentests gewarnt.

Die Wissenschaftliche Kommission des Nationalrats (WBK) hat den Bundesrat Ende 2011 ersucht, eine Gesetzesänderung vorzuschlagen, wie der unkontrollierte Online-Markt für Gentests am Menschen gezielt reguliert werden könnte.

In der Schweiz regelt das Bundesgesetz über den Datenschutz den Umgang mit persönlichen Daten und schützt damit die Privatsphäre. Hiesige Fachpersonen, die das Erbgut von Patienten untersuchen, müssen sich im Umgang mit Proben und Untersuchungs-Ergebnissen an strenge Vorschriften halten.

Gemäss Datenschutzgesetz können weder Krankenkassen noch Arbeitgeber genetische Informationen einfordern.

Eine vollumfängliche DNA-Analyse bei der US-Firma 23andMe liefert Resultate (dargestellt als prozentual erhöhte oder verminderte Wahrscheinlichkeiten) für 111 Krankheitsrisiken, 19 Arzneimittel-Reaktionen und 50 Körpereigenschaften.

Laut Professor Ernst Hafen werden dabei 1 Million variable Stellen des menschlichen Erbguts abgefragt. Das Erbgut hat 6,6 Milliarden Buchstaben. Auf Grund dieser variablen Stellen können Assoziationen mit dem Risiko gewisser Krankheiten gemacht werden.

Die allermeisten dieser Krankheiten werden zu einem wesentlichen Teil durch die Umwelt bestimmt. Die Gene spielen oft eine untergeordnete aber nicht vernachlässigbare Rolle.

«Das ist noch nicht die komplette Erbgut- oder Genom-Analyse, aber die wird schnell kommen. Schon heute überleben Krebspatienten dank vollständigen Genom-Analysen, die zu gezielten Therapien führen. Datenmengen werden explodieren und die Aussagekraft wesentlich zunehmen. Dazu braucht es Millionen solcher Datensätze, aber auch die Information über Krankengeschichte und Lebenswandel – also die Kombination zwischen Genetik und Umwelt.»

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft