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Hitze über Russland begünstigt Flut in Pakistan

In Moskau verschwindet der Kreml im Smog, Touristen schützen sich mit Atemmasken. Keystone

Das ausserordentliche Hoch über Russland sowie ein ungewöhnlich starker Monsun: Die Kombination dieser zwei Phänomene liegt laut der Atmosphärenforscherin Olivia Romppainen am Ursprung der Hochwasserkatastrophe in Pakistan.

Derweil Russland unter einer fürchterlichen Hitze ächzt und ganze Landstriche abbrennen, versinkt Pakistan entlang des Indus im Hochwasser.

Auf einer Strecke von über 1000 Kilometern entlang des Stromes haben die Wassermassen bisher rund 1600 Menschenleben gefordert. Hunderttausende sind in Pakistan auf der Flucht, insgesamt sind weit über zehn Mio. Menschen von der Katastrophe betroffen.

In Russland herrschen seit Wochen Rekordtemperaturen von knapp 40 Grad, ganze Dörfer, riesige Wälder und Landstriche sind ein Raub der Flammen geworden. Im Feuer sind bisher über 50 Menschen gestorben, Moskau und grosse Teile der Umlandes darben unter einer Glocke aus gesundheitsschädigendem Smog.

Link in grosser Höhe

Zwischen den beiden Extremsituationen in Russland und Pakistan gebe es sehr wohl einen «dynamischen Link», sagt Olivia Romppainen-Martius vom Institut für Atmosphäre und Klima der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).

Der Link besteht im Jetstream, der sich über Pakistan zum Windschlauch verdichtet, um mit grosser Geschwindigkeit Richtung Osten über den Himalaya zu fegen.

Einerseits verstärke die Hitzewelle über Russland mit ihren heissen Luftmassen diesen Jetstream, erklärt Olivia Romppainen gegenüber swissinfo.ch. Andererseits würden im Bereich, wo der Jetstream entsteht, Luftmassen verstärkt nach oben gezogen.

Genau an diesem Punkt, also just über Pakistan, bringt sie die zweite Anomalie ins Spiel. «Der Monsun brachte dieses Jahr enorm viel Feuchtigkeit nach Nordindien und Pakistan. Der Aufstieg dieser sehr feuchten Luftmassen führt nun zu den starken Niederschlägen.»

Schicksalshafte Schnittstelle

Vereinfacht gesagt ist Pakistan die schicksalshafte, aber keineswegs zufällige Schnittstelle in jener Weltregion, wo ein aus dem Norden zusätzlich angefachter Jetstream auf einen aussergewöhnlich starken Monsun aus dem Süden trifft. Olivia Romppainen spricht denn auch von «einer unglücklichen Kombination dieser zwei Phänomene».

Ob aber das zeitliche Zusammentreffen der beiden Phänomene Hitzewelle über Russland und abnormer Monsun Zufall ist oder ob allenfalls weitere Faktoren im Spiel sind, Stichwort Klimawandel, kann die Expertin des Fachs Dynamische Meteorologie nicht sagen.

Weil dies mittels Modellrechnungen erforscht werden müsste, lasse sich auch noch nichts über künftige Klimaentwicklungen sagen, sagt sie.

Alarmsignale

Klimaforscher sehen Prognosen bestätigt, wie sie der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC) schon vor zwei Jahrzehnten in seinen Berichten festhielt.

«In einem durch den Treibhauseffekt geschädigten Klima werden klimatische Extremereignisse häufiger», sagt IPCC-Vizepräsident Jean-Pascal Van Ypersele.

Nach wie vor gibt es aber keinen Nachweis, dass der Mensch durch sein Handeln für Klimakatastrophen, wie sie in diesem Sommer von Osteuropa über Russland bis Pakistan und China auftreten, direkt mitverantwortlich ist.

Für den indischen Subkontinent und Pakistan sehen Klimaforscher tatsächlich vermehrt Hochwassergefahr. Dies aufgrund von La Nina, dem umgekehrten Phänomen von El Nino. La Nina ist eine Abkühlung der Oberfläche des pazifischen Ozeans, die für aussergewöhnlich viel Feuchtigkeit sorgt, und somit verstärkte Monsune.

Die der Flut vorangegangene Hitzewelle mit bis zu über 53 Grad in Pakistan sieht der britische Klimatologe Andrew Watson als Folge von El Nino. Die warme Meeresströmung, die auf dem indischen Subkontinent für Trockenheit und Hitze verantwortlich ist, war im letzten Jahr besonders ausgeprägt.

5b über Osteuropa

Fest steht für Romppainen dagegen, dass die starken Niederschläge, die momentan im Nordwesten Chinas für Tod und Verwüstung sorgen, gesondert, also losgelöst vom Jetstream/Monsun-Zusammentreffen, beurteilt werden müssten.

Ebenso die Überschwemmungen, die am Wochenende in Deutschland, Polen und Tschechien acht Menschenleben forderten.

Was das europäische Dreiländereck betrifft, geht Romppainen von einer «klassischen 5b-Wetterlage» aus, die insbesondere im Sommer zu Starkniederschlägen in Europa führen könne. Sie erinnert an die Flutschäden 2002 an der Oder und 2005 in der Schweiz.

Mit der Chiffre 5b oder Vb bezeichnen Wetterfachleute ein stationäres Tiefdruckgebiet, bei dem während mehrerer Tage sehr viel Feuchtigkeit aus dem Mittelmeerraum oder dem Gebiet des Schwarzen Meeres nach Europa verfrachtet wird.

Rückversicherer sind sich sicher

Während die Atmosphärenforscherin zögert, den Klimawandel als genuine Ursache der Flutkatastrophen zu bezeichnen, gehen Versicherungsspezialisten einen Schritt weiter.

Die derzeitigen Wetterphänomene stellten in der Summe eine schlüssige Indizienkette dar, dass dies Zeichen des Klimawandels seien, schätzen Analysten des deutschen Versicherers Münchener Rück.

Renat Künzi, swissinfo.ch

Laut dem UNO-Sondergesandten in den pakistanischen Überschwemmungsgebieten, Jean-Maurice Ripert, sind rund 15 Millionen Menschen von den Fluten betroffen.

Nach Angaben der Verwaltung der schwer betroffenen
Provinz Khyber Pakhtunkhwa starben dort über 1600 Menschen in den
Wassermassen. Die Opferzahl insgesamt wird mit 1800 angegeben.

In Russland hat sich in den Hitzegebieten um Moskau die Sterberate verdoppelt. In der Hauptstadt sterben pro Tag momentan rund 700 Menschen, meist Ältere, Kranke und Kinder. Ursache sind meist Hitzeschläge, Schlaganfälle, Herz- sowie Atemprobleme infolge des giftigen Smogs.

In den Flammen starben nach offiziellen Angaben bisher 52 Menschen.

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