Wie Nahrungsmittel der Zukunft entstehen
Klimaveränderungen und ethische Bedenken erfordern neue Nahrungsmittel und Verfahren. Auch in der Schweiz spriessen die Produkte: von Fleischersatz auf Basis von Erbsenprotein über ein Superfood-Pulver, das aus Wasserlinsen gewonnen wird, bis hin zu einem Anbausystem, das keine Erde und kaum Wasser benötigt.
Der Mensch wählt sein Essen mit Bedacht und stellt zunehmend sicher, dass die Lebensmittel, die er konsumiert, gesund sind, umweltgerecht und ethisch produziert werden. Das Umdenken eröffnet neue Märkte und Möglichkeiten für die Produzenten. Die Schweiz erweist sich dabei als fruchtbarer Boden.
Vieles klingt erst einmal unglaublich. So auch der Poulet-Ersatz, der vom jungen Team der Planted AG in Zürich hergestellt wird, einem Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH).
Bevor ich die Mitgründer Pascal Bieri und Lukas Böni traf, ging ich in ein Zürcher Café, um ihr Produkt zu testen. Ich ass das pflanzliche Hühnchen in einer Salatmischung mit Kohl, Karotten, Gurken, Edamame und Erdnüssen. Mein Fazit: Es sieht aus und schmeckt wie Poulet, auch wenn es kalt serviert wird.
Für das Team von Planted geht es schnell vorwärts. Vor zwei Jahren setzten sich die Cousins Bieri und Böni zusammen und schrieben einen zweiseitigen Entwurf ihres wissenschaftlichen und geschäftlichen Konzepts. Am Anfang stand der Wunsch, etwas gegen die unhaltbaren Zustände in der Massenfleischproduktion zu unternehmen.
Bieri hat einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund und Böni ist Lebensmittelwissenschaftler. Ihre Idee war es, ohne Zusatzstoffe eine fleischähnliche Substanz mit vier natürlichen Inhaltsstoffen herzustellen: Erbsenprotein, Erbsenfaser, Rapsöl und Wasser. Nachdem sie sich mit zwei anderen Interessierten – Eric Stirnemann und Christoph Jenny – zusammengetan hatten, gründeten sie innerhalb eines Jahres die Planted AG. Im Oktober 2019 erhielten sie eine Anschubfinanzierung in Höhe von 7 Millionen Franken.
Wachsender Markt
Ein Branchenbericht von Barclays vom Mai 2019 prognostizierte, dass die Fleischersatzindustrie bis 2029 einen Wert von 140 Milliarden US-Dollar haben könnte, was 10 Prozent des Fleischmarktes entspricht. Die Planted AG möchte Teil dieses Trends sein.
Das Start-up produziert im Erdgeschoss des ETH-Instituts für Lebensmittelwissenschaften täglich 500 Kilogramm Erbsenprotein-Huhn. Es soll zukünftig in die ganze Schweiz geliefert werden. Planted verwendet spezielle Maschinen, so genannte Extruder, die seit langem in der Lebensmittelproduktion eingesetzt werden, vor allem bei der Herstellung von Teigwaren.
Der Hühnerersatz entsteht durch ein Verfahren, das als Feuchtextrusion bezeichnet wird. Die Zutaten im röhrenförmigen Extruder werden durch zwei rotierende Schrauben erhitzt und unter Druck gesetzt, wodurch die Mischung in einen Teig verwandelt wird. Der Prozess wandelt die extrahierten Pflanzenproteine in eine faserige und gestreckte Form, die tierischen Muskelfaserproteinen ähnelt.
Die Planted AG beliefert eine wachsende Anzahl Restaurants und hat begonnen, ihr Poulet-Produkt online und über Coop zu vertreiben. Ihr Standort ist inzwischen zu klein, so dass Planted den Umzug in die ehemalige Maggi-Fabrik in Kemptthal vorbereitet. Dort sollen die 22 Mitarbeiter mehr Platz haben und die Produktion um das Sechs- bis Zehnfache steigern können.
«Wir wollen europaweit expandieren und sowohl das Produkt wie auch den Produktionsprozess optimieren», erklärt Bieri. Momentan sei viel los. Ihr Unternehmen stösst auf grosses Medieninteresse. Es sei wichtig, sich «jetzt auf das Wesentliche zu konzentrieren».
Von der Wasserlinse zum Superfood
Wie zuvor die Planted AG erhielt auch das Zürcher Unternehmen LemnaPro im vergangenen Jahr ein Start-up-Stipendium der ETH in der Höhe von 150’000 Franken.
Cyrill Hess und seine Forschungspartnerin Melanie Binggeli, beide Umweltwissenschaftler, haben auch Grosses vor mit pflanzlichen Proteinen. Bei ihnen steht die kleinste Blütenpflanze der Welt im Fokus: die Wolffia, die den Wasserlinsengewächsen zuzuordnen sind.
Hess führte mich durch einen klimatisierten Raum im Untergeschoss des ETH-Gebäudes für Land- und Forstwirtschaft, wo die Wolffia-Kultur in einem flachen Becken angebaut wird. Das Wasser ist von einem Teppich aus leuchtendem Grün bedeckt. Wenn die Bedingungen stimmen, verdoppelt sich jeden Tag das Volumen der winzigen Pflanze.
«Ich fragte mich, warum wir sie nicht essen, denn Wolffia ist eine so nachhaltige, schnell wachsende und qualitativ hochwertige Proteinquelle. Ich beschäftigte mich mit Proteinen und unserem Essverhalten und plötzlich tat sich diese Geschäftsidee vor meinem inneren Auge auf», erklärt er.
In Asien sei Wolffia seit längerem bekannt und werde frisch gegessen, in Europa hingegen ist sie noch neu und entsprechend ohne Zulassung. Denn neue Lebensmittel müssen erst als solche anerkannt werden, bevor sie eingeführt werden dürfen. Hess und Binggeli versuchen nun, diese Hürde zu nehmen und eine Zulassung zu erhalten, während sie an den perfekten Produktionsbedingungen tüfteln.
Doch was für ein Produkt soll daraus entstehen? Eine Möglichkeit sei, die Pflanze nach der Ernte in ein Proteinpulver umzuwandeln, sagt Hess.
Anbau mit 90 Prozent weniger Wasser
Nicht nur die Nahrung, die wir zu uns nehmen, sondern auch die Art und Weise, wie wir sie produzieren, erfordert neue technologische Lösungen. Rund die Hälfte der in der Schweiz verkauften Salate und Kräuter wird vor Ort angebaut. Der Rest wird, hauptsächlich während der Wintermonate, importiert.
CombaGroup, ein Unternehmen im Norden des Kantons Waadt, hat ein Gewächshaussystem für Blattgemüse entwickelt, in dem während des ganzen Jahres gesunde Pflanzen wachsen. Das Grün wird ohne Erde, platzsparend und mit 90 Prozent weniger Wassereinsatz als in der herkömmlichen Landwirtschaft angebaut. Dabei werden keine Pestizide eingesetzt.
Diese Methode verringert oder eliminiert die meisten Umweltbelastungen wie Transport oder Wasserverschwendung. In einer stressfreien Umgebung sind die Pflanzen gesund und schmackhaft, ohne dass Blätter für die Ernte verschwendet werden.
Die Technologie heisst Aeroponik. Dabei werden die Pflanzen in der Luft fixiert, während ihre Wurzeln mit Wasser und darin gelösten Nährstoffen besprüht werden.
Die Treibhäuser der CombaGroup sind ein Merkmal des 200-Seelen-Dörfchens Molondin. Die 15 Mitarbeitenden teilen sich ihren Arbeitsplatz mit anderen, eher traditionellen Agrarunternehmen. CEO Serge Gander sieht in seinem System eine Chance für die Produzenten.
«Das Produktionsvolumen, das mit unserem System erreicht werden kann, ist atemberaubend. Die traditionelle Bodenkultur ergibt 30 Tonnen pro Hektar und Jahr. Mit unserem System sind es 800 Tonnen.»
Das Unternehmen hat seine ersten Projekte in Frankreich und der Schweiz lanciert und verhandelt inzwischen mit Kunden aus Schweden, Kuwait und Russland. Das Geschäftsmodell sieht vor, ein vollständiges Anbausystem zusammen mit einem Servicepaket zu verkaufen.
«Wir können überall und insbesondere auch an Orten wachsen, welche in Bezug auf Landqualität, Umweltverschmutzung, Klima, Zugänglichkeit oder politische Krisen problematisch sind», sagt Gander.
(Übertragung aus dem Entglischen: Christoph Kummer)
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