Keine Angst vor Killerviren?
Schon bald kommen Killerviren wie Ebola oder Marburg ins Berner Oberland: In Spiez wurde das erste biologische Labor der Sicherheitsstufe 4 in der Schweiz eröffnet, um tödliche Krankheitserreger und Kampfstoffviren möglichst schnell analysieren zu können.
Dicke Metalltüren, Betonwände, tresorähnliche Kasten, Neonlicht, beim Ausgang ein paar farbige Knöpfe: Abgeschottet von der Aussenwelt hantieren Männer in weissen Schutzanzügen und hellblauen Handschuhen wie in Zeitlupe mit Spritzen und Reagenzgläsern.
Sie sind mit einem an der Decke befestigten blauen Schlauch verbunden, aus dem Sauerstoff in den Anzug gepumpt wird. Im engen Raum herrscht Unterdruck.
Diese Szene stammt keineswegs aus einem James-Bond-Film oder einem Kinothriller, sondern sie ist Realität: Das Labor Spiez im Berner Oberland hat das erste biologische Labor der Schweiz für Viren der Risikostufe 4, der höchsten überhaupt, eingeweiht.
Bereits 2011 sollen hier potenzielle Krankheitserreger und Kampfstoffe wie etwa Ebola oder Marburg analysiert werden, die medizinisch nicht behandelbar sind.
Das biologische Hochsicherheitslabor, von denen es weltweit nur rund 30 vergleichbare gibt, ist in einem unscheinbaren Beton- und Glasstahlbau untergebracht, hinter dem sich der Niesen wie eine riesige dunkle Pyramide erhebt.
«Gefahr ist real»
Weshalb braucht die Schweiz ein solches Labor? «Wir schliessen hier eine wichtige Sicherheitslücke im Bereich der biologischen Abwehr», sagt Verteidigungsminister Ueli Maurer gegenüber swissinfo.ch.
«Wir wissen, dass sich biologische Waffen möglicherweise in den Händen von Terroristen und von Staaten mit einer geschwächten Regierung befinden.» Die Gefahr, dass solche Waffen eingesetzt werden könnten, sei durchaus real.
Andreas Stettbacher, Oberfeldarzt der Armee, nennt etwa die Kontamination von Migranten mit biologischen Kampfstoffen (B-Waffen) als Beispiel für einen Fall, wo das neue Labor in Spiez rasche Erkenntnisse liefern könne.
Auch für Thomas Binz, den Leiter der Sektion biologische Sicherheit und Humangenetik des Bundesamts für Gesundheit (BAG), ist ein schneller und sicherer Labornachweis von zentraler Bedeutung. Für ihn steht die Bedrohung der Bevölkerung durch Pandemien wie SARS, Vogelgrippe oder H1/N1 (Schweinegrippe) im Vordergrund.
«Beitrag zur Sicherheit der Welt»
Bisher liess die Schweiz gefährliche Proben im Ausland analysieren, nun verfügt sie also über ihr eigenes Labor.
«Wenn man vom Ausland etwas will, muss man auch etwas bieten. Der Glaube, man gäbe uns etwas gratis, ist eine Illusion», erklärt Maurer. «Wir leisten hier einen Beitrag zur Sicherheit der Welt. Und das ist eine vornehme Aufgabe.»
Laut Andreas Bucher, Chef Strategie und Kommunikation des Labors Spiez, muss die Schweiz im Krisenfall unabhängig sein: «Bei einer Pandemie oder einem Anschlag mit B-Kampfstoffen ist jedes Land auf sich selbst gestellt», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Das heisse jedoch nicht, dass sie nicht mit dem Ausland zusammenarbeite. Mit dem neuen Labor werde namentlich mit der Weltgesundheitsorganisation eine verstärkte Zusammenarbeit anvisiert, ja man wolle für sie zu einem Ausbildungszentrum werden.
Zusammenarbeit mit Militär
Das Labor Spiez liegt auf dem Gelände einer militärischen Ausbildungsstätte. Überall Soldaten, tarngrüne Militärfahrzeuge, ein Helikopter. Vetreter des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und des Verteidigungsdepartements betonten in ihren Reden zur Einweihung des neuen Labors, das rund 29 Mio. Franken kostete und für dessen Bauleitung Armasuisse Immobilien verantwortlich zeichnete, immer wieder die Zusammenarbeit von militärischen und zivilen Behörden und Institutionen.
Wie muss man sich das konkret vorstellen? «Die B-Spezialisten der Armee werden nicht in den Labors der Sicherheitsstufe 4 arbeiten. Diese Labors dürfen nur von den Profis des Labors Spiez betrieben werden», sagt Bucher. «Der Nachweis von B-Kampfstoffen auf dieser Sicherheitsstufe wird aber der Armee als Dienstleistung zur Verfügung gestellt.»
Auf eventuelle Gefahren einer solchen Zusammenarbeit angesprochen, sagt Bundesrat Ueli Maurer: «Das ist eine Bereicherung und keine Vermischung. Wir achten selbstverständlich darauf, dass die Trennlinien bei der Zusammenarbeit bestehen bleiben. Ob zivil oder militärisch, wir wollen die Sicherheit der Bevölkerung garantieren. Der gegenseitige Erfahrungs- und Wissensaustausch trägt zur höheren Sicherheit bei.»
Bucher ergänzt: «Für unsere Arbeit spielt es eigentlich keine Rolle, ob ein Virus natürlich auftritt und eine Krankheit verursacht oder ob es militärisch oder terroristisch absichtlich freigesetzt wird. Es geht schliesslich darum, dass man diese Krankheitserreger möglichst schnell diagnostizieren kann, um dann die nötigen medizinischen Gegenmassnahmen einzuleiten.»
«Überlagernde Notfallszenarien»
Um ins oder aus dem Labor zu gelangen, müssen die Mitarbeitenden unzählige Sicherheitsschleusen passieren sowie eine Dusche unter einer chemischen Brause nehmen. Die Laborkleidung wird in einem speziell dafür vorgesehenen Behälter deponiert und sorgfältig gereinigt.
Durch ein komplexes System aus Rohren und Filtern werden Luft und Abwasser gereinigt. Laborabfälle kommen in eine Art Ofen, wo allfällige Keime in heissem Dampf abgetötet werden.
Doch was passiert, falls sich trotzdem einmal ein Unfall ereignen und ein Virus oder ein B-Kampfstoff in die Umwelt gelangen sollte? Für Maurer ist das quasi ein Ding der Unmöglichkeit: «Es gibt sich mehrfach überlagernde Notfallszenarien. Wir können davon ausgehen, dass hier nichts, aber auch gar nichts, nach draussen dringt. Jedes System, jede Maschine ist mehrfach abgesichert.»
Um auch ein menschliches Versagen zu verhindern, würden mit den Mitarbeitern Notfallszenarien minutiös durchgespielt, erklärt Marc Strasser, Chef des Fachbereichs Virologie im Labor Spiez.
Und wer kontrolliert, was im Labor geschieht? «Die Kontrolle wird hier vor Ort gewährleistet, aber die funktioniert», sagt Maurer.
Auch für Bucher liegt die Verantwortung in erster Linie beim Labor. «Wir stellen keine Kampfstoffe her», stellt er fest. Ausserdem würden die Abläufe und Prozesse von übergeordneten Behörden kontrolliert.
«Die wollen ja auch alle leben»
Die Besucher, die am Tag der offenen Tür eine erste und letzte Möglichkeit hatten, das Labor zu betreten, scheinen volles Vertrauen in die Betreiber zu haben. «Die Sicherheitsmassnahmen sind sehr hoch. Da bin ich zuversichtlich, die wollen ja alle auch leben», sagte eine ältere Besucherin. «Das Labor braucht es, die Bedrohung ist da», wirft ihr Mann ein.
Sie habe keine Angst, eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nirgends auf der Welt, sagt Erika Giger aus Bern. Auch der Biologiestudent Philipp aus Bern stuft die Wahrscheinlichkeit für einen Unfall als äusserst minimal ein.
Keine Opposition
An manchem anderen Ort hätte sich gegen ein Hochsicherheitslabor mit ziviler und militärischer Komponente wohl eine Opposition gebildet, wäre der geplante Bau mit einer Lawine von Einsprachen torpediert worden. Nicht so in Spiez: Hier gab es keine einzige Einsprache.
«Die offene und stringente Informationspolitik hat sicher dazu beigetragen, dass Vertrauen geschaffen werden konnte», sagt der Spiezer Gemeindepräsident Franz Arnold.
Eine kleine Umfrage bei den umliegenden Firmen im Industriegebiet zeigt: Das neue Labor ist kein Diskussionsstoff. «Das Thema wurde bei uns nicht gross behandelt», sagt ein Mitarbeiter in einer Autogarage. Er sei zwar schon etwas stutzig geworden, als er kürzlich im Fernsehen Aufnahmen aus dem Sicherheitslabor gesehen habe, «doch als Normalbürger können wir sowieso nichts machen».
Auch in der Firma daneben, die Isolierplatten herstellt, ist praktisch nicht über das neue Labor diskutiert worden, wie es heisst. «Es ist den Leuten gar nicht so bewusst, dass es eine Gefahr darstellen könnte», sagt ein Mitarbeiter. Die Informationen seien sehr spärlich.
Jakob Rieder von der Schnydrig AG hat Vertrauen in die Leute vom Labor. «Aber ein absolut minimes Restrisiko bleibt zwangsläufig immer. Und da wären wir schon unmittelbar betroffen, nur ein paar 100 Meter daneben», sagt er.
«Das Labor gibt es schon lange, es gehört zu uns», sagt ein Mitarbeiter der Spiezer Firma Colasit, der auf der Entsorgungsstelle in der Nähe des Labors Spiez vor seinem Camion wartet. Auch mit dem Labor der Sicherheitsstufe 4 könne er leben: «Wir verdienen auch Geld damit.»
Corinne Buchser, Spiez, swissinfo.ch
Das Labor Spiez ist das schweizerische Fachinstitut für den Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen (ABC) Bedrohungen und Gefahren.
Das Labor wurde vor 85 Jahren in Wimmis gegründet, seit 55 Jahren befindet es sich in Lattigen bei Spiez.
Das neu eingweihte Hochsicherheitslabor ist das erste Labor der Sicherheitsstufe 4 zur Diagnostik von humanpathogenen Krankheitserregern in der Schweiz.
2006 sprach das eidgenössische Parlament den Investitionskredit für das neue Labor im Betrag von 28,5 Mio. Franken gut.
Ende 2007 erfolgte nach einer rund zehnjährigen Planungsphase der Baubeginn.
Das neue Labor soll 2011 in Betrieb genommen werden.
Das Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI) bei Bern, das ebenfalls Sicherheitsstufe 4 aufweist, analisiert Proben für den veterinär-medizinischen Bereich.
Das Nationale Referenzzentrum für neuauftretende Virusinfektionen (NAVI) der Hôpitaux Universitaires in Genf untersucht klinische Verdachtsproben.
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