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Die Roboterrevolution im Kanton Tessin

Mann mit zwei Mini-Robotern in der Hand
Professor Francesco Mondada mit seinem Mini-Roboter Thymio. © KEYSTONE / JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Das Dalle Molle Institut für künstliche Intelligenz in Lugano etabliert sich zunehmend als Leuchtturm der Robotik in der Schweiz.

Eine hybride Welt, in der Menschen und Maschinen harmonisch zusammenarbeiten: Das ist die Vision von Luca Maria Gambardella, Direktor des Instituts Dalle Molle für künstliche IntelligenzExterner Link (IDSIA) in Lugano, Kanton Tessin.

«Unser Ziel ist, die Symbiose zwischen dem Roboter und dem Menschen durch maschinelles Lernen zu fördern, das heisst, durch die Nachbildung bestimmter Verhaltensweisen und Modalitäten des menschlichen Gehirns im Roboter, durch ein künstliches neuronales Netzwerk», sagt der Professor.

Thymio, der Bildungsroboter

Anfang Oktober erhielt das 2007 gegründete Robotik-Labor die Auszeichnung «Optimus Agora»Externer Link des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Das Siegerprojekt zielt darauf ab, Grund- und Mittelschüler sowie deren Eltern und Lehrer an die «computational thinking modality» heranzuführen. Das heisst, Probleme anhand von theoretischen Computerkonzepten und mit Hilfe des Bildungsroboters Thymio lösen.

«Wer weiss, wie Probleme systematisch anzugehen sind, kann einfacher mit Computern interagieren. Das ist eine wertvolle Fähigkeit im digitalen Zeitalter», sagt Gambardella. Der Mini-Roboter Thymio, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) von Francesco Mondada entwickelt wurde, ist dank seinen Rädern mobil, mit Sensoren zum Hören ausgestattet und kann Geräusche und farbiges Licht aussenden.

«Kinder und Erwachsene bringen ihm Verhaltensweisen bei, die sie selber programmieren können, um eine Interaktion zwischen ihnen und dem Roboter zu erzeugen. Es macht eine Menge Spass», sagt Gambardella.

Die Initiative ist Teil eines wichtigen Forschungsprojekts des SNF, das insgesamt mit 20 Millionen Franken dotiert ist und dem auch die EPFL, die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) und die Universität Zürich angeschlossen sind. Das Ziel: die Förderung der exakten Wissenschaften.

Mit Gesten gesteuerte Drohne

In diesem Rahmen werden am IDSIA zwei weitere Leuchtturm-Projekte der Robotik durchgeführt. Eines davon wurde Ende letzten Jahres an der Hubweek Boston vorgestellt: Eine Drohne, die nicht mit per Fernbedienung, sondern durch Gesten bedient wird.

«Es reicht, ihr mit einem Finger in die Richtung zu zeigen, in die sie fliegen soll. Und das, ohne dass die pilotierende Person Sichtkontakt zur Drohne haben muss», sagt Gambardella.

Ein zwetschgengrosses künstliches Gehirn, mit dem die Drohne bestückt wurde, machte diese beiden Weltpremieren möglich. Die künftigen Einsatzmöglichkeiten einer solchen Drohne sind vielfältig, sowohl im häuslichen als auch im industriellen Bereich. «Zum Beispiel kann sie für Überwachungsaktivitäten oder den Materialtransport verwendet werden.»

Verirrte suchen und finden

Das andere Projekt ist ebenfalls eine Drohne. Diese kann verlorene Personen ohne die Hilfe eines Navigationsgeräts (GPS) im Wald finden. Ein Forscher sei dafür acht Stunden lang auf Waldwegen gewandert, mit drei Kameras auf dem Kopf, erzählt der Professor. Eine filmte nach vorn, die beiden anderen zur Seite.

Die Drohne schaute sich die gesammelten Bilder an, ohne dass ihr eine weitere Erklärung gegeben wurde. Danach konnte sie den Weg allein nachfliegen. «Es ist ähnlich wie ein autonomes Auto von Tesla, nur mit weniger Aufwand», so Gambardella.

«Wenn wir faul werden, sollten wir nicht dem Roboter die Schuld dafür geben!»

Indem man einer Maschine Milliarden von Daten füttert, wird diese darauf trainiert, sich wie ein Mensch zu verhalten: Sie lernt, Menschen zu erkennen, die Welt um sich herum wahrzunehmen, Entscheidungen zu treffen und sich im Lauf der Zeit weiterzuentwickeln», sagt der IDSIA-Leiter. «Der Roboter merkt sich alles, was ihm beigebracht wird. Und wenn er sich irrt, lernt er aus seinen Fehlern, wie ein Kind.»

Wird der Mensch dümmer?

Besteht bei den immer «intelligenter» werdenden Maschinen nicht die Gefahr, dass die Intelligenz der Menschen, die immer mehr an Roboter delegieren, abnimmt? Eine der grössten Herausforderungen der Digitalisierung bestehe tatsächlich darin, zu vermeiden, dass man sich aus Trägheit aus der Verantwortung schleiche, betont Gambardella.

«In einer hybriden Welt wird uns die Maschine helfen, Entscheidungen zu treffen, sie wird uns beraten. Aber sie wird uns unser kritisches Denken nicht nehmen. Wenn wir faul werden, sollten wir nicht dem Roboter die Schuld dafür geben!»

IDSIA

1988 gründete der italienische Geschäftsmann Angelo Dalle Molle das Institut. Er richtete auch zwei ähnliche Zentren in Martigny und Genf ein. Es arbeitet mit Unternehmen aus den Bereichen Finanzen, Verkehr, Energie und Medien zusammen.

Das Institut ist der Universität (USI) und der Fachhochschule der italienischsprachigen Schweiz (SUPSI) angeschlossen. Seit letztem Jahr bietet es den ersten Master-Abschluss mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz (KI) in der Schweiz an.

Es konnte bereits mehrere Erfindungen verkaufen, wie beispielsweise ein automatisches Spracherkennungs-System, das von digitalen Riesen wie Google, IBM und Microsoft gekauft wurde.

Das IDSIA beschäftigt rund 65 Mitarbeitende und betreut Projekte im Umfang von jährlich 3,5 Millionen Franken.

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(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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