Leben könnte auf hunderttausend Exoplaneten existieren
Um herauszufinden, ob es Leben auf Exoplaneten gibt, wird die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten das Spektrum des Lichts untersuchen. Exoplaneten absorbieren oder reflektieren das von ihrem Stern ausgesandte Licht. Die Messung hilft zu verstehen, ob sie Sauerstoff, Methan oder Stickstoff in ihrer Atmosphäre haben. Das wären echte biologische Signaturen. Aber welche Bedeutung hätte die Entdeckung eines solchen Lebenszeichens?
Allein in der Milchstrasse sollen über 100’000 Planeten irgendeine Form von Leben aufweisen. Die Entdeckung einer einzigen biologischen Signatur könnte mit über 95 Prozentiger Wahrscheinlichkeit darauf schliessen lassen.
Das zeigt eine statistische Berechnung von Claudio Grimaldi, Forscher am Laboratorium für Physik der komplexen Materie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule LausanneExterner Link (EPFL), und Amedeo Balbi, Professor für Astronomie und Astrophysik an der römischen Universität «Tor Vergata»Externer Link. Die Studie wurde in der US-amerikanischen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of SciencesExterner Link (PNAS) veröffentlicht.
sind Planeten, die um einen anderen Stern als unsere Sonne kreisen. Der erste wurde 1995 von Schweizer Astrophysikern entdeckt, den heutigen Nobelpreisträgern Michel Mayor und Didier Queloz.
Seitdem wurden mehr als 4300 extrasolare Planeten entdeckt, von denen etwa 200 felsig und ähnlich gross wie die Erde sind.
Die spektroskopische Analyse erfordert eine bestimmte Position in Bezug auf den Stern und nicht zu viel Abstand vom Beobachter: Sie wird daher nur «bei einer Handvoll der vielversprechendsten Exoplaneten» durchgeführt.
Ein lange gehegter Traum
Es wird aber einige Zeit dauern, solche Zeichen zu finden, um Zweifel ausschliessen zu können. «Es handelt sich dabei um ein relativ neues Forschungsfeld», sagt Balbi. «Dies auch, weil sich die Bemühungen in den letzten 25 Jahren auf die Entdeckung neuer Exoplaneten konzentriert haben. Die spektroskopische Untersuchung von Atmosphären ist viel jüngeren Datums und hat sich momentan vor allem für Planeten mit einer starken Gaskomponente als durchführbar erwiesen.»
Auf den extrasolaren Planeten, die der Erde ähnlicher sind, eine starke felsige Komponente aufweisen und auf denen man letztlich Leben erwarten kann, ist die Atmosphäre im Vergleich zur Gesamtmasse des Himmelskörpers klein. Für diese Art der Beobachtung reicht die derzeitige Technologie nicht aus.
In der Studie von Balbi und Grimaldi geht es nicht darum, wie man eine einzelne Spektroskopie liest, sondern um den Umfang der Entdeckung einer biologischen Signatur.
Die Frage ist also nicht, welche Exoplaneten Leben beherbergen können, sondern wie viele.
«Wir brauchen dafür das Hubble-Nachfolger-Weltraumteleskop, das James Webb-Weltraumteleskop, das vielleicht nächstes Jahr gestartet wird. Oder spezielle Instrumente wie den ESA-Satelliten Ariel. Dieser soll die Exoplaneten und ihre Atmosphären erkunden. Wenn wir Glück haben, wird er dies auch mit erdähnlichen Planeten tun. Schliesslich werden wir grosse Teleskope am Boden bauen lassen. Aber das sind Dinge, die in eine Zeitspanne von etwa 20 Jahren fallen», so Balbi weiter.
«Diese Art der Datenerfassung wird mit einer sehr begrenzten Stichprobe durchgeführt. Wir denken an fünf bis zehn Planeten. Im besten Fall werden wir in der Lage sein, biologische Signaturen auf Planeten in einem Radius von etwa hundert Lichtjahren von der Erde aus zu beobachten», sagt Grimaldi.
«Im Vergleich zum Raumvolumen unserer Galaxie ist das extrem klein. Die Milchstrasse enthält etwa zehn Milliarden ‹erdähnliche› Exoplaneten, die ’sonnenähnliche› Sterne umkreisen. Aber wir können diese spektroskopische Analyse nur an einem unendlich kleinen Teil von ihnen durchführen.»
Um Schlussfolgerungen ziehen zu können, ist deshalb ein statistisches Modell nötig. Was aber, wenn keine biologische Signatur gefunden wird? «Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es anderswo Leben gibt. Vielleicht auf weiter entfernten Planeten. Denn wenn ich einen Eimer nehme, ihn ins Meer tauche und keinen Fisch darin finde, bedeutet das nicht, dass es im Meer keine Fische gibt. Im Vergleich zu den Weiten des Ozeans ist die Probe zu klein «, sagt Grimaldi.
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«Auch die Probe, die wir beobachten werden, ist verschwindend klein. Aber gerade deshalb würden wir, wenn wir auch nur eine einzige biologische Signatur finden würden, vor der Möglichkeit stehen, dass die Galaxie extrem mit Planeten bevölkert ist, die mehr oder weniger mikroskopische Lebensformen aufweisen.»
Optimisten oder Pessimisten
Ausgehend von einem agnostischen Standpunkt – unabhängig davon, ob es Leben ausserhalb der Erde gibt oder nicht – und unter der Annahme, dass auf den Planeten unabhängig voneinander Leben entstanden ist – und die Galaxie daher gleichmässig bevölkert ist –, schätzte das Team, dass eine einzige biologische Signatur innerhalb von hundert Lichtjahren etwa 100’000 Planeten mit Lebensformen in der gesamten Milchstrasse anzeigen könnte. Und wenn das Raumvolumen, in dem ein Lebenszeichen gefunden wird, noch kleiner ist, dann würde die Zahl der vermutlich bewohnten Planeten noch grösser sein.
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Die Einschätzung kann jedoch je nach Einstellung – diagnostisch, optimistisch oder pessimistisch – und je nach der Art und Weise variieren, wie man glaubt, dass das Leben entstanden ist: durch Abiogenese (spontane Erzeugung) oder Biogenese (Übertragung durch bereits existierende Lebewesen).
Astronomen sind im Allgemeinen optimistisch: Sie glauben, dass, wenn es zehn Milliarden erdähnliche Planeten gibt, es wahrscheinlich auch mehr bewohnte Planeten geben wird. Chemiker, Biologen und Geologen sind eher pessimistisch: Das Leben braucht eine ganze Reihe von besonderen Bedingungen, um sich durchsetzen zu können.
Die Studie berücksichtigt diese unterschiedlichen Positionen. Balbi stellt aber klar, dass sich diese nicht auf die Anzahl der Planeten auswirken, die geeignete Lebensbedingungen bieten, sondern vielmehr auf die Kluft zwischen bewohnbaren Planeten und der Schätzung der tatsächlich von Lebensformen bewohnten.
Schliesslich sei zu bedenken, dass sich das Leben möglicherweise nicht unabhängig entwickelt habe. Vermutlich wurde es «in mikroskopisch kleinen Formen von einem Sternensystem zum anderen transportiert, eingeschlossen in kleinen Asteroiden oder Kometen, die sozusagen zur Befruchtung eines anderen Planeten weiterflogen».
Die von Grimaldi beschriebene Theorie wird als Panspermie bezeichnet. «Auch diese kann aus statistischer Sicht untersucht werden», sagt er. Ganz allgemein ausgedrückt bedeutet dies, dass auf den erdnäheren Planeten mit grösserer Wahrscheinlichkeit Leben zu finden ist als auf den weiter entfernten. Dies würde «die Schätzung der Gesamtzahl der Planeten, die in der Galaxie Leben aufweisen, erheblich verringern».
Die Methode
Um ihr Modell zu entwickeln, benutzten die Forscher Bayes’sche Wahrscheinlichkeiten. Das ist eine statistische Technik, die auf dem Grad der Glaubwürdigkeit basiert, der besonders bei kleinen Datenstichproben angemessen sei, wie die EPFL in einer Mitteilung schreibt.
«Wissenschaftliche Untersuchungen gehen nie von einem unbeschriebenen Blatt aus. Wir haben immer ein gewisses Vorwissen, das wie in diesem Fall auch extrem bruchstückhaft sein kann, aber es ist immer vorhanden. Wir haben einfach all die verschiedenen Elemente getrennt und erstellten daraus ein mathematisch und probabilistisch strenges Modell», sagt Balbi.
«Wenn jemand im eigenen Garten in Lausanne einen Elefanten beobachtet, zieht diese Person eine Schlussfolgerung auf der Grundlage dessen, was bereits bekannt ist; zum Beispiel über die Verbreitung der Art in einigen Regionen der Erde und nicht in anderen. Sie wird zum Schluss kommen, dass es wahrscheinlich einen Zirkus gibt, aus dem das Tier ausgebrochen ist. Das ist die Arbeit, die wir machen», so Balbi.
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Konkret hat die Forschung aus den seit 1995 gemachten Beobachtungen Schätzungen oder Informationen erhalten über die Anzahl der Exoplaneten in der Galaxie, ihre Verteilung, die Entfernung von ihrem Stern (damit sich Leben entwickeln kann, darf sie nicht zu gross sein) und andere astrophysikalische Faktoren.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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