Mit Energie aus Sonne und Seele um die Welt
Ihr Fluggerät, die Solar Impulse 2, soll die Erdkugel mit Energie aus der Sonne umrunden. Die Piloten Bertrand Piccard und André Borschberg wollen ihre Kräfte auch aus Selbsthypnose, Yoga und Meditation schöpfen.
Grössere Spannweite als ein Jumbo Jet, Gewicht wie ein Familienauto: Das ist die Solar Impulse 2Externer Link, eine Schweizer Entwicklung der Sonderklasse. Mit dem Hightech-Flieger wollen Bertrand Piccard und André Borschberg als erste die Welt ohne einen Tropfen Treibstoff umrunden.
Trotz allen Hightech-Materialien und -Gerät an Bord: Die SI2 verkörpert eigentlich eine Rückkehr zu den Anfängen der Luftfahrt, denn ein Mensch steuert die Maschine allein durch die Unwägbarkeiten der Lüfte und der Elemenete – eine Prüfung von Geschicklichkeit, Ausdauer und mentaler Stärke.
Die 35’000km mit der SI2 wollen Bertrand Piccard, 56, und der 62-jährige André Borschberg, ein ehemaliger Kampfpilot, in mehreren Etappen absolvieren, bei denen sie sich am Steuer abwechseln. Sie rechnen, dass sie 25 Tage in der Luft verbringen werden. Gesamthaft sind aber rund drei Monate veranschlagt, weil sie bei den 12 geplanten Zwischenstopps auf die Nachhaltigkeit des Unternehmens Solar Impulse aufmerksam machen wollen.
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Solar Impulse oder die lange Reise bis zum Start
Piccard und Borschberg haben sich akribisch auf Extrembedingungen vorbereitet, mit denen sie rechnen: Temperaturen von bis zu -40 Grad in 8000 Metern Höhe, andernorts Hitze bis zu 40 Grad. Die Arbeit während fünf Tagen – und Nächten! – im ungeheizten, 3,8 Kubikmeter engen Cockpit ohne Druckausgleich stellen höchste physische und mentale Anforderungen.
«Wir haben die technologischen Verbesserungen derart vorangetrieben, dass der limitierende Faktor der Mensch ist», erklärt Piccard.Die spezifischen Anforderungen haben das Piloten-Duo zu unkonventionellen Lösungen geführt, was mentale Frische, Energiehaushalt, Erholung und Schlaf betrifft.
Die Schlaf-Phasen fallen dabei mit lediglich 20 Minuten sehr kurz aus, pro 24 Stunden will der Pilot nicht mehr als 2 bis maximal 6 Stunden schlafen. In dieser Zeit übernimmt ein Autopilot das Kommando.
Die zwei haben sich aber für unterschiedliche Techniken entschieden. Piccard, von Haus aus Psychiater und Psychotherapeut, vertraut auf Selbsthypnose. Diese helfe, aufmerksam zu bleiben, wenn man müde sei, aber nicht einschlafen dürfe, und wenn man schlafen sollte, aber nicht müde sei, so Piccard. Er nahm auch die Hilfe von Bernhard TrenkleExterner Link in Anspruch, einem deutschen Psychologen und Hypnose-Spezialisten.
«Mit Hypnose kann man die Erholung beschleunigen, in Schlaf fallen und nach 20 Minuten frisch erholt aufwachen. Aus meiner hypnotischen Trance musste ich innert 1,5 Sekunden vor den Kontrollgeräten sitzen, was extrem schnell ist», beschrieb Piccard eine Übung während einer 72 Stunden dauernden Flugsimulation 2013.
Raphael Heinzer, Schlafforscher am Lausanner UniversitätsspitalExterner Link, der die Tests mit den beiden Piloten leitete, ist zuversichtlich, dass die beiden bestens vorbereitet zu ihrem Abenteuer starten.
«Wir fanden heraus, dass ihre Reflexe nach 72 Stunden mit diesen ‹Mini-Siestas› funktionierten. Auch die neurologischen Tests zeigten gute Ergebnisse, was sehr beruhigend war. Bertrand Piccard ist ein ausgiebiger Schläfer, der seine 8 bis 9 Stunden braucht. Borschberg kommt mit 5 bis 6 Stunden pro Nacht aus, aber beide bestanden die Tests problemlos», so Heinzer. Es blieben aber unbekannte Risiken, räumt er ein.
Der Pilotensitz, der vieles kann
Borschbergs Methoden zur Beibehaltung der Konzentration und zur Selbstkontrolle sind Yoga und Meditation. «Ich benütze Meditation und Atemtechniken, um mich zu erholen und von stressigen Gedanken zu lösen. Damit kann ich den Puls senken und innert weniger Minuten einschlafen», sagt der ehemalige Pilot der Schweizer Luftwaffe, der seit über zehn Jahren Yoga praktiziert.
Für das SI2-Projekt hat er Sanjeev BhanotExterner Link ins Boot geholt. Der erfahrene indische Yogi aus Rajasthan erarbeitete ihm ein Programm, das auf die spezifischen Bedingungen während des Fluges zugeschnitten ist. Der Sitz im Cockpit ist ein Wunderding – Massagegerät, Bett und Yoga-Matte in einem.
Laut Bhanot sind beide Piloten absolut parat. Was ihm aber Unbehagen bereitet, sind die langen Etappen über fünf Tage und Nächte. «Die Kabine hat weder Druck- noch Temperaturausgleich. Sie tragen Socken, Schuhe und Kleider, die mit elektrischer Heizung versehen sind. Bei minus 40 Grad ist es aber selbst mit guter Ausrüstung hart. Besonders, wenn man nur sitzt», sagt der Inder.
Verbringe man zwei oder drei Tage im selben Sitz und schlafe nur 20 Minuten am Stück, spiele die kognitive Koordination völlig verrückt. «Die Folgen können Halluzinieren und ein extremer Anstieg von Stickstoff im Blut sein, was zu verminderter Blutzirkulation im Körper führen kann.»
Bhanot wird den jeweils fliegenden Piloten vom Boden aus eng überwachen und mit Rat bereit stehen, falls der hoch oben in Schwierigkeiten gerät.
«Es ist nicht auszuschliessen, dass wir nach drei Tagen oder so nervenaufreibende Störungen als Folgen von Schlafmangel, Müdigkeit, zu viel Stickstoff im Körper beobachten können, was zu Blähungen führen kann. All dies kann zu grossen Herausforderungen werden.»
Solar Impulse in Zahlen
Reiseroute: 35’000km
Gesamtflugzeit: 500 Stunden
Maximale Reiseflughöhe: 8500 Meter
Geschwindigkeit: 36 bis 140 km/h, je nach Flughöhe
Dauer der Mission: 5 Monate (März-August 2015)
Grösse Cockpit: 3,8 m3
Im einsitzigen Cockpit verbringt der Pilot bis zu 5 oder 6 Tage und Nächte ununterbrochen
Wetterbedingungen: -40 ° bis + 40 ° Celsius
Sauerstoffflaschen an Bord: 6
Fallschirm: 1
Rettungsinsel: 1
Verpflegung pro Tag: Lebensmittel: 2,4 kg; Wasser: 2,5 l; isotonisches Getränk: 1 l
Spannweite: 72 Meter (breiter als eine Boeing 747)
Durchschnittsgewicht Mittelklassewagen: 2300 kg
Lithium-Batterien: 633 kg
Solarzellen: 17’000, jeweils 135 Mikrometer dick
«Geburtsjahr»: 2003
Team: 70 Personen
Partner: 80
Budget 150 Mio. $
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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