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Mit Mikrotechnik die Uhrenbranche revolutionieren

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Ein neues Forschungszentrum in Neuenburg, im Kernland der Schweizer Uhrenbranche, hat grosse Ambitionen: Es soll zu einem globalen Knotenpunkt für Mikrotechnik werden und zu einer Transformation der Uhrentechnologie beitragen. Die schwächelnde lokale Wirtschaft könnte diese Ambitionen jedoch bremsen.

Diskret platziert mitten in einem der neuen Labors der Microcity dreht sich ein kleiner metallischer Würfel ruhig auf einem mit Stromquellen und Sensoren verkabelten Tisch.

Der Prototyp mag nicht sehr besonders erscheinen, aber Professor Simon Henein und sein Instant-Lab-Team hegen grosse Hoffnungen, dass er die Effizienz und Präzision mechanischer Uhren revolutionieren könnte, die seit Ende des 18. Jahrhunderts konzeptionell nicht verändert wurden.

«Es handelt sich nicht um eine stufenweise Verbesserung. Was wir vorschlagen, könnte für die Herstellung mechanischer Uhren einen Durchbruch bedeuten», erklärt Henein. Er hält den Patek Philippe Lehrstuhl für Mikromechanik und Uhrentechnologie, der 2012 aus einer Partnerschaft des Luxusuhren-Herstellers und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) hervorging.

Im Innern des metallischen Objekts, das den Namen «IsoSpring» trägt, dreht sich ein Oszillator kontinuierlich in der gleichen Richtung. Neu ist, dass er ohne Einsatz einer Hemmung funktioniert. Die Hemmung ist der komplizierteste und heikelste Uhrenmechanismus – und Quelle für das Ticken einer Uhr.

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Seine Erfinder sagen, das neue Gerät habe das Potenzial, zu einem sehr genauen Zeitmesser zu werden.

«Der traditionelle Tick-Tack-Hemmungsmechanismus macht eine Menge unnötigen Lärm und hat einen Wirkungsgrad von nur etwa 35%. Dies hier ist erst ein Prototyp, er verliert aber pro Tag ohne jegliche Optimierung oder Öl nur eine Sekunde. Damit ist er schon heute genauer als gewisse teure Pendeluhren», erklärt der Wissenschaftler Ilan Vardi.

Nach der Patentierung und Validierung ihres Konzepts planen Henein und sein Team nun, industrielle Partner zu finden, um die Entwicklung weiter voranzutreiben. Der nächste Schritt wird die Miniaturisierung sein, damit das Objekt in eine Armbanduhr eingesetzt werden kann.

Patek Philippe ist nicht der einzige Uhrmacher, der an der Arbeit von Microcity finanziell beteiligt ist, einer staatlich geförderten Einrichtung, die am 8. Mai offiziell eingeweiht wurde. Im April hatten die EPFL und die Luxusgüter-Gruppe Richemont, die hinter Luxusuhren wie Cartier, Jaeger-LeCoultre und Piaget steht, die Einrichtung eines Lehrstuhls für «mehrstufige Fertigungstechnologien» bekannt gegeben.

Obwohl traditionelle Stanz- und Bearbeitungstechniken bei der Herstellung von Uhren weiterhin eine bedeutende Rolle spielen, richten Firmen den Blick vermehrt auf neue Technologien wie Laserbearbeitung, 3D-Druck und Plasma-Ätzen.

«Wir sind konfrontiert mit einer anspruchsvollen und gehobenen Kundenbasis, mit wachsender Konkurrenz und fortwährendem technologischem Fortschritt», sagte Richemont Co-CEO Richard Lepeu. «Diese neuen Technologien eröffnen ein breites Spektrum technischer Möglichkeiten, um auf künftige Anforderungen der Industrie reagieren zu können.»

Die PX Group, ein führender Schweizer Hersteller von Uhrenzubehör, unterstützt mit 500’000 Franken pro Jahr ihrerseits einen Lehrstuhl für «thermomechanische Metallurgie».

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Die Microcity-Forscher erklären, ihre Arbeit sei nicht spezifisch auf ihre Sponsoren ausgerichtet, und sie seien wissenschaftlich völlig unabhängig.

Abschwung umkehren

Von ihren Ursprüngen in Genf und im angrenzenden Jura im 16. Jahrhundert dehnte sich die Schweizer Uhrenindustrie auf die Kantone Neuenburg, Bern, Solothurn und bis Basel aus, wo heute die jährliche Uhrenmesse Baselworld stattfindet. Im September 2013 hatten mehr als 57’000 Personen in der Uhren- und Mikrotechnologiebranche gearbeitet, in insgesamt 572 Firmen. Fast 15’500 der Arbeitsplätze lagen im Kanton Neuenburg.

Offizielle Vertreter der Branche sind zuversichtlich, dass die Synergien aus der direkten Nachbarschaft des Forschungszentrums Microcity mit dem Schweizer Zentrum für Elektronik und Mikrotechnologie (CSEM) in Neuenburg, wo 600 Forschende zusammenkommen, helfen werden, die Schweizer Wirtschaft und die Uhrenbranche anzukurbeln. Letzerer musste jüngst beim Exportvolumen einen Abschwung verzeichnen, der vor allem auf sinkende Nachfrage in China zurückging.

Die Schweizer Uhrenexporte, der beste Indikator für die Marktgrösse, stiegen im letzten Jahr um 1,9% auf 21,8 Mrd. Franken, deutlich weniger als die üppigen zweistelligen Zuwachsraten vergangener Jahre.

«Microcity liegt im Zentrum dieses Clusters. Es wird daher Können und Forschungsprojekte anziehen und den Wettbewerb in einer für die ganze Uhrenbranche profitablen Art und Weise stimulieren», sagte Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH).

«Wir müssen fortdauernd innovativ bleiben, vor allem im Bereich Mikrotechnologie, der Grundlage unserer Branche.»

Das neue Forschungszentrum in der Stadt Neuenburg wurde am 8. Mai offiziell eingeweiht. Der 71 Mio. Franken teure Bau, der dem Kanton Neuenburg gehört, aber von der ETH Lausanne (EPFL) betrieben wird, will zu einer Anlaufstelle für Mikrotechnik-Expertise in der Schweiz werden.

Zusammen mit dem benachbarten Schweizer Zentrum für Elektronik und Mikrotechnologie (CSEM) wird der dezentralisierte EPFL-Campus 600 Forschende in 12 Forschungslabors beherbergen, sowie den Neuenburger Startup-Park Neode.

Der Microcity-Bau vereint alle in Neuenburg angesiedelten Aktivitäten des Instituts für Mikrotechnologie (IMT) unter einem Dach. IMT legt seinen Fokus zurzeit auf Projekte wie grüne Produktion, Motoren mit sehr geringem Energieverbrauch und Dünnschicht-Solarzellen. Das Institut zielt aber darauf ab, seine Aktivitäten auszuweiten, die engen Beziehungen zur Uhrenindustrie sollen jedoch aufrecht erhalten bleiben.

Das neue Zentrum will Synergien schaffen zwischen der angewandten Forschung und der Industrie. Verschiedene der Lehrstühle werden von Unternehmen wie der Luxusgüter-Gruppe Richemont, der Uhrenfirma Patek Philippe und dem Uhrenzubehör-Produzenten PX Group finanziell unterstützt.

Die Region Neuenburg ist historisch als ein Zentrum für Uhrmacherkunst bekannt, dessen Wurzeln im 17. Jahrhundert liegen, während in jüngerer Zeit die Entwicklung der Mikrotechnologie-Branche hinzu kam.

Kantonale Schwächen

Auch von ausserhalb der Schweiz findet die Microcity-Initiative ihre Anhänger.

«Microcity wird der Region Neuenburg und der Schweiz aller Voraussicht nach weitere Wachstumsimpulse geben und ihre führende Stellung im Bereich Mikrotechnologie bekräftigen, nicht nur in Europa, sondern weltweit», erklärte Iris Lehmann, Wirtschaftsforschungs-Managerin bei IVAM, einem internationalen Fachverband von Firmen und Instituten aus den Bereichen Mikro- und Nanotechnologie mit Sitz in Deutschland.

«IVAM hat die Entwicklung von Mikro- und Nanotechnologie-Clustern in ganz Europa seit einer Weile verfolgt. Die Region Neuenburg ist in Europa ein Brennpunkt für Mikrotechnologie und ein hervorragendes Beispiel dafür, wie traditionelle Industrien wie die Uhrenbranche oder Präzisionstechnik in hoch innovative Spitzentechnologien vorstossen können.»

Doch nicht alle sind überzeugt. Elias Hafner, Analyst bei der Grossbank UBS, sagte, auf dem Papier scheine das Projekt «zur lokalen Wirtschaft zu passen» und habe das Potenzial, sich zu entwickeln, zu einem positiven Impuls für die Neuenburger Wettbewerbsfähigkeit zu werden. «Aber im europäischen Vergleich, oder sogar innerhalb der Schweiz, ist es ein sehr kleines Projekt», fügte er hinzu.

Auf der französischen Seite des Jurabogens ist die Mikrotechnik ein bedeutender Sektor. Wie auch in Deutschland. Und innerhalb der Schweiz wird Microcity sich konfrontiert sehen mit Zürich, einem weiteren Zentrum für Mikrotechnik und Nanotechnologie, vor allem an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETHZ) und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA).

Der Campus in Neuenburg ist die erste klare Manifestation des von der ETH Lausanne geplanten dezentralisierten Forschungshubs, zu dem auch das neurowissenschaftliche Human Brain Project in Genf sowie eine weitere Aussenstelle mit 11 Labors für angewandte Forschung in Sitten im Kanton Wallis (Inbetriebnahme geplant für 2015) und das künftige «Smart Living Lab» in Freiburg gehören, wo Bautechnologie und Architektur im Zentrum stehen werden.

Die ETH Lausanne und die Westschweizer Kantone – Waadt, Wallis, Freiburg, Neuenburg und Genf – hoffen, dass dieses dezentralisierte Forschungsnetzwerk als ihr künftiger Beitrag an den nationalen Innovationspark akzeptiert werden wird, der zusammen mit der ETH Zürich und anderen Regionen entstehen und zwei Hauptstandorte (Hubs) haben soll.

Innovativ, aber nicht vielfältig

Im kantonalen Wettbewerbsindikator 2014 der UBS lag Neuenburg auf dem 20. von 26 Rängen. Im Bereich Innovation lag der Kanton auf Platz vier und auf Platz zwei bei der Dynamik, schnitt aber in den Bereichen Diversifizierung und Arbeitsmarkt schlecht ab.

«Das Risiko ist, dass der Kanton zu viel seiner Ressourcen für ein solches Projekt ausgibt, zu viele Hoffnungen darin setzt und sich nicht genug mit anderen wichtigen Bereichen auseinandersetzt. Gegen aussen ist der Kanton stark, mit hohen Exportzahlen, guten Unternehmen und der Fähigkeit zu Innovation, die sich zum Beispiel an der Zahl der Patente messen lässt. Aber innerhalb sehe ich Schwächen und Substanz, die den Kanton verlässt», warnte der UBS-Analyst Hafner.

«Die Jugendarbeitslosigkeit ist die höchste in der Schweiz, und Leute mit hohen Einkommen verlassen Neuenburg für andere Kantone. Zudem ist die öffentliche Verschuldung relativ hoch, und die öffentlichen Renten sind unterfinanziert. Dies schränkt den künftigen finanziellen Spielraum, die Attraktivität des Kantons zu stärken, klar ein. Diese Fragen sollten konsequenter angegangen werden.»

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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