CO2-Entnahme aus der Luft – Wagnis oder Notwendigkeit?
Aus Sicht des Weltklimarats (IPCC) reicht es nicht mehr aus, Klimagas-Emissionen zu reduzieren. Zusätzlich muss CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden. Auf diesem Gebiet gehört die Schweiz zu den führenden Ländern. Worin liegen die Potenziale und Grenzen der Technologien zur CO2-Abscheidung?
«Bedaure, ich habe eine schlechte Nachricht», erklärte Mitte Oktober der Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur (IEA). Laut Fatih Birol haben die weltweiten CO2-Emissionen bereits in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres einen neuen Rekordwert erreicht.
Diese Entwicklung steht in klarem Widerspruch zu den Schlussfolgerungen des jüngsten IPCC-Berichts: Der UNO-Weltklimarat hält eine drastische Emissionsreduktion für unabdingbar, wenn die globale Erwärmung auf 1,5°C begrenzt werden soll, wie es das ambitiöse Ziel des Pariser KlimaabkommensExterner Link vorsieht.
Gemäss dem Weltklimarat sollten die durch menschliche Aktivitäten verursachten Nettoemissionen bis 2030 im Vergleich zu den Werten von 2010 um 45% zurückgehen und bis 2050 bei Null liegen.
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Die Klimaforscher warnen, eine Reduktion der Emissionen reiche jedoch nicht aus, um den Temperaturanstieg auf einem nachhaltigen Niveau zu begrenzen. Es müssten zusätzlich Milliarden von Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden.
CO2-Staubsauger aus der Schweiz
Wie Sonia SeneviratneExterner Link, Forscherin am Institut für Atmosphäre und Klima an der ETH Zürich und Mitverfasserin des jüngsten IPCC-Berichts, gegenüber swissinfo.ch erklärt, ist die Schweiz im Bereich der Sequestrierung von CO2 «an vorderster Front» dabei.
2017 wurde in Hinwil, eine halbe Autostunde von Zürich entfernt, die weltweit erste industrielle Anlage in Betrieb genommen, die in der Lage ist, in der Atmosphäre vorhandenes Kohlendioxid mittels DAC-Technologie (Direct Air Capture) abzuscheiden und zu nutzen.
Das vom Schweizer Start-up-Unternehmen ClimeworksExterner Link entwickelte System vermag jährlich bis zu 900 Tonnen CO2 zu absorbieren, was den Emissionen von ungefähr 450 Personenwagen entspricht.
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Ein riesiger CO2-Staubsauger
Gestützt auf die in der Schweiz gesammelten Erfahrungen, hat Climeworks bereits DAC-Anlagen in sechs Ländern in Betrieb genommen, unter anderem in ItalienExterner Link und IslandExterner Link. Die Anlage in Island ist die erste weltweit, mit der CO2 aus der Atmosphäre abgeschieden und in den Untergrund geleitet wird, wo es sich in Gestein umwandelt.
Mittelfristiges Ziel des Start-ups, das kürzlich verkündet hat, es seien finanzielle Mittel in der Höhe von rund 30 Millionen Franken beschafft worden, ist es, bis 2025 ein Prozent der globalen CO2-Emissionen (das entspricht jährlich rund 300 Millionen Tonnen) aus der Luft zu filtern.
600 Franken pro Tonne CO2
Wie Louise Charles, Kommunikationsbeauftragte von Climeworks, betont, besteht der Vorteil der firmeneigenen Module darin, dass ein Abfallprodukt in einen Rohstoff verwandelt wird.
Soll das CO2 nicht in die Tiefe gepumpt werden, kann es in Gewächshäusern als Luftdünger zur Beschleunigung des Pflanzenwachstums verwendet werden, zur Herstellung kohlensäurehaltiger Getränke oder – wie im Fall des italienischen Projekts – zur Produktion von Treibstoff.
CO2 direkt aus der Umgebungsluft anzusaugen, wo die Konzentration nur bei 0,04% liegt, ist jedoch teuer. Derzeit kostet die Abscheidung einer Tonne CO2 rund 600 Franken. «Unser Ziel ist es, auf 100 Franken herunterzukommen», erklärt Louise Charles.
Geringer CO2-Ausstoss im Inland, aber hoher Anteil an grauen Emissionen
Gemäss dem Global Carbon AtlasExterner Link wurden 2016 in der Schweiz 38 Mio. Tonnen CO2 ausgestossen, das entspricht rund 0,1% der globalen CO2-Emissionen.
Betrachtet man die Pro-Kopf-Emissionen, so liegt die Schweiz mit 4,5 Tonnen etwas unter dem weltweiten Durchschnitt (4,8 Tonnen).
Diese Zahl bezieht sich allerdings nur auf die innerhalb der Landesgrenzen erzeugten Klimagase. Berücksichtigt man dagegen auch die importierten Waren und Dienstleistungen, verdreifacht sich der CO2-Fussabdruck von Herrn und Frau Schweizer.
Laut Augustin FragnièreExterner Link, Forscher beim Schweizer Think Tank Foraus, gehört die Schweiz zu jenen Ländern, die mehr CO2 importieren, als sie im Inland emittieren.
Hindernisse und Fragezeichen
Nach Aussage von Urs Neu, Direktor des Schweizer Forums für Klima und globale Umweltveränderungen (ProClimExterner Link) und Mitglied der Akademien der Wissenschaften Schweiz, ist der Kostenfaktor nicht das einzige Hindernis. «Die Technologie der CO2-Abscheidung aus der Luft ist noch in der Experimentierphase. Die Zahl der weltweit aktiven Anlagen ist gering und es gilt, sichere Lagerstätten im Untergrund zu finden. Wir sind noch weit von der angestrebten Nutzung im grossen Massstab entfernt», erklärt Neu gegenüber swissinfo.ch.
Diese Systeme benötigen ausserdem viel Energie. Sie sind daher nur sinnvoll, wenn sie durch erneuerbare Quellen gespeist werden (im Fall von Climeworks wird in Hinwil die Abwärme einer Verbrennungsanlage genutzt, in Island geothermische Energie).
Urs Neu, Mitverfasser einer Publikation zum ThemaExterner Link, ist jedoch skeptisch: «Man muss sich fragen, ob es nicht besser wäre, grünen Strom einzusetzen, um das Verbrennen fossiler Brennstoffe zu vermeiden und so die Emissionen zu senken, anstatt damit CO2 aus der Atmosphäre zu absorbieren.»
Bäume pflanzen? Besser gar nicht fällen
Fachleute halten die sogenannte BECCS-Technik (Bio-Energy with Carbon Capture and Storage) für die vielversprechendste Technologie mit Negativemissionen. Mit diesem Verfahren wird aus der Verbrennung von Biomasse Strom gewonnen; das bei der Verbrennung erzeugte CO2 wird abgeschieden und in tief liegenden Erdschichten gelagert. «Man könnte Holzabfälle und biologische Abfälle verwenden, die allerdings nur in begrenztem Masse vorhanden sind», betont Neu.
Das Haupthindernis sieht er hier bei der Platzfrage. «Um BECCS im grossen Stil einzusetzen, müssten zuvor grossflächig schnell wachsende Pflanzen angebaut werden, die sich für die Energienutzung eignen, wie beispielsweise Mais. Dies stünde jedoch in Konkurrenz zu anderen Landnutzungen, allen voran der Lebensmittelproduktion», betont der Direktor von ProClim.
Bei der BECCS-Methode müssten Schätzungen zufolge Hunderte von Millionen Hektar Boden mit Energiepflanzen bebaut werden, um greifbare Ergebnisse zu erzielen.
Dasselbe gilt für die einfachste Methode zur Senkung der CO2-Werte in der Atmosphäre: die Wiederaufforstung. «Die am besten für diese Art von Intervention geeigneten Gebiete liegen in den Tropen. Es sind jedoch Regionen, in denen die Landwirtschaft aufgrund der Klimaveränderungen ohnehin unter grossem Druck steht. Folglich wird es schwierig, Flächen für das Pflanzen von Bäumen zu finden», erklärt Neu.
Er erinnert auch daran, dass die Herausforderung im Moment nicht so sehr darin besteht, die Aufforstung zu fördern, sondern darin, die Abholzung zu stoppen. «Noch bevor Bäume gepflanzt werden, sollte man damit aufhören, sie zu fällen.»
Weitere Methoden, wie die gezielte Düngung der Weltmeere oder Techniken zur Erhöhung des CO2-Gehalts im Boden sind, wie Neu präzisiert, vorerst blosse Theorie. «Wir wissen nicht, ob sie tatsächlich spürbare Auswirkungen auf die CO2-Konzentration haben und vor allem, ob sie Risiken für das Ökosystem des Meeres und die Umwelt im Allgemeinen mit sich bringen.»
Eine Notlösung
Die Technologien zur CO2-Sequestrierung wie auch jene der künstlichen Klimaveränderung (Geo-Engineering) stossen nicht auf einhellige Zustimmung. Laut dem Wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Akademien (EASAC) wird eine Entfernung von CO2 aus der Umgebungsluft den Klimawandel nicht aufhalten.
Keine Technologie vermag Kohlendioxid im erforderlichen Umfang und in einem Tempo aus der Atmosphäre zu entfernen, wie der IPCC dies vorsieht, schreiben die europäischen Forscher in ihrem jüngsten BerichtExterner Link und betonen, der einzige gangbare Weg sei eine Senkung der CO2-Emissionen.
Auch die Klima-AllianzExterner Link, die mehr als siebzig Schweizer Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Entwicklungs- und Sozialpolitik umfasst, hält eine massive CO2-Entfernung für «riskant und zu teuer». Ihrer Ansicht nach sollten eine rasche Reduktion der Emissionen und der Schutz der natürlichen Kohlenstofflager beziehungsweise der Wälder und Ozeane oberste Priorität haben.
Dem stimmt auch Urs Neu von ProClim zu: «Die CO2-Sequestrierung sollte eine Übergangslösung sein, keine Langzeitperspektive. Es geht um eine Notfallintervention. Ausweg gibt es nur einen: Emissionen vermeiden.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Cornelia Schlegel)
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