Covid-19 rückt in der Schweiz ins Zentrum der Forschung
Es ist eine Premiere: Erstmals lanciert der Schweizerische Nationalfonds ein Programm, das direkt der Aktualität entspringt. Wissenschaftliche Teams, die zum neuen Coronavirus forschen, erhalten 30 Millionen Franken. Welches sind die innovativsten Projekte?
Die Übertragbarkeit sowie die Auswirkungen und Behandlungen der Krankheit besser verstehen, um sie mit gezielten Massnahmen zu bekämpfen. Das ist das Ziel des Nationalen Forschungsprograms 78Externer Link, «Covid-19». Es ist auf zwei Jahre angesetzt.
Das ist eine gute Nachricht für die verschiedenen Forschungsgruppen, die an Universitäten und Unispitälern der Schweiz über das Virus und dessen Konsequenzen forschen. Bis zum 25. Mai haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zeit, ihre Forschungsprojekte einzureichen.
Anfang März lancierte der Schweizerische Nationalfonds (SNF) einen ersten Appell, um die Forschung zum neuen Coronavirus anzustossen. Er wurde gehört: Bereits sind 284 Gesuche eingetroffen. Hier drei der vielversprechendsten Projekte.
Das Institut für Viruskrankheiten und ImmunprophylaxeExterner Link (IVI) der Universität Bern verfügt im bernischen Mittelhäusern über eines der wenigen genügend gesicherten Labors in der Welt, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Proben hochpathogener Viren umgehen können.
Darunter fällt auch Sars-CoV-2, das für die Krankheit Covid-19 verantwortliche Virus. Schon vorher arbeitete man hier an bereits bekannten Coronaviren und Zoonosen – jenen Tierkrankheiten, die auf den Menschen übertragen werden können.
Schon Mitte Februar gelang einem Team unter der Leitung der Professoren Volker Thiel und Jörg Jores die Rekonstruktion eines synthetischen Klons des neuen Coronavirus. Diesen hatten sie auf einer aus einem Patienten im chinesischen Wuhan isolierten Virussequenz und unter Verwendung einer neuen, schnelleren Technik mit der Hefe Saccharomyces cerevisiae geschaffen.
Das sei eine Grundlage, um möglichst schnell Impf- und Wirkstoffe finden zu können, erklärte Thiel im März am Schweizer Fernsehen SRFExterner Link. «Wir können jetzt das Virus gezielt verändern. Wir können beispielsweise ein Gen rausnehmen und schauen, ob sich das Virus danach schlechter vermehrt. So können wir feststellen, welche Bedeutung die einzelnen Gene für die Vermehrung des Virus haben.»
Seither wurde sein Team von etwa hundert akademischen Forschungsgruppen auf der ganzen Welt für seine synthetischen Klone angefragtExterner Link, noch bevor die Studie dazu veröffentlicht wurde.
«Wir haben unsere Konstruktionen bereits an etwa vierzig Gruppen geschickt, um die Forschung über das Virus zu erleichtern. Aber wir müssen immer noch sicherstellen, dass sie über die notwendigen Zertifikate verfügen, um das Virus unter optimalen Sicherheitsbedingungen zu handhaben», sagt Fabien Labroussaa, Forscher an der Universität Bern und Mitautor der Studie.
Mehr
Schweizer Forscher im Wettlauf gegen das Coronavirus
In der Westschweiz arbeitet ein Team seit fünf Jahren an der Entwicklung einer virustötenden (viruziden) antiviralen Breitbandbehandlung auf Zuckerbasis. Caroline Tapparel Vu, Professorin für Virologie an der Universität Genf und Forscherin am «Centre médical universitaire de Genève» (CMU), und Francesco Stellacci, Forscher auf dem Gebiet der Nanomaterialien an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), bündelten dafür ihre Kompetenzen auf dem Gebiet der Nanomaterialien.
Sie veröffentlichten Ende Januar die Ergebnisse ihrer Forschung in der Zeitschrift Science AdvanceExterner Link. Bei ihrer Methode gehe es nicht mehr nur darum, das Wachstum des Virus zu blockieren, sondern die infektiösen Partikel des Virus zu zerstören, sagt Tapparel Vu: «Wir arbeiteten zuerst an Gold, dann an einem Zuckermolekül, Clyclodextrin, und modifizierten dieses Molekül, um Virus-Anhaftungsrezeptoren nachzuahmen und es viruzid zu machen.»
Diese chemischen Verbindungen wirken auf viele verschiedene Viren, wie das Respiratory-Syncytial-Virus oder das Herpesvirus. Die beiden Wissenschaftler sind deshalb optimistisch, dass diese auch gegen Covid-19 wirksam sein werden.
«Wir liessen unsere Moleküle von Professor Ronald Dijkman, einem Mitglied des Instituts für Immunologie und Virologie in Bern, an Wildstämmen des Sars-CoV-2-Virus testen, und es zeigte sich, dass sie auch gegen dieses Virus aktiv sind. Wir bestätigten diese Ergebnisse anschliessend in unserem Labor am CMU mit defekten Virusmodellen sowie seit dieser Woche am Wildvirus im Labor der Sicherheitsstufe 3 (BSL3) an der EPFL», sagt Tapparel Vu.
«Jetzt müssen wir umfangreiche Tests an menschlichen Zellen und dann in Tiermodellen durchführen, um im Idealfall zur klinischen Anwendung zu kommen.» Das Ziel: Die Entwicklung eines präventiven und kurativen Medikaments, das die Form eines Nasensprays annehmen könnte… innerhalb von zwei bis vier Jahren.
An der Universität Genf arbeitet die Forschungsgruppe von Professor Karl-Heinz KrauseExterner Link an der Entwicklung von in-vitro-Zellmodellen. Diese menschlichen Zellmodelle sollen in der Lage sein, eine grosse Anzahl von Molekülen zu testen, die auf das neue Coronavirus wirken. Der Schwerpunkt dabei soll auf spezifischen und definierten Zielen liegen.
Dafür wird die Methode des Hochdurchsatz-Screenings eingesetzt. Dabei handelt es sich um die gleichzeitige Reaktion mehrerer Moleküle, mit Hilfe von Robotern, um rasch festzustellen, welche Moleküle eine Wirkung auf das Virus haben werden. Die Forschenden entwickeln derzeit drei Zellmodelle für drei verschiedene Arten von Tests mit verschiedenen Zielen.
Mehr
Schweizer Impfstoff gegen Covid-19 in Reichweite?
Das erste betrifft den Eintritt des Virus in die Zelle: «Anhand eines Pseudovirus – ein Prototyp des Virus, der nur die äussere Hülle des Virus besitzt – werden wir die Reaktionen untersuchen, die auftreten, wenn es in unser Modell eindringt», sagt Krause. «Speziell werden wir in der Lage sein, die Qualität der natürlichen und therapeutischen Antikörper nach einer Infektion und dann nach einer Impfung zu testen, um unterscheiden zu versuchen zwischen jenen, die mit dem Virus in Verbindung stehen, und jenen, die es blockieren.»
Das zweite Ziel ist das Protein NSP1. Dieses hat die Besonderheit, dass es in der Lage ist, die Wirtszelle in einen «Zombie» umzuwandeln. So kann das Virus die zelluläre Aktivität blockieren, um sich in ihr zu entwickeln.
Hier sei das Hochdurchsatz-Screening besonders nützlich, sagt Vincent Jaquet, Leiter der Plattform der «RE.A.D.S Unit»Externer Link der Medizinischen Fakultät. «Wir wollen ein Modell entwickeln, das es uns ermöglicht, ein Molekül zu finden, das in der Lage ist, dieses virale Protein zu hemmen. So soll die die infizierte Zelle geschützt und ihr namentlich eine normale angeborene Immunantwort ermöglicht werden.»
Der letzte Test schliesslich soll einem «klassischeren» Ziel dienen: Die Polymerase des Virus ist jenes Enzym, das es diesem ermöglicht, sein Erbgut zu reproduzieren und sich so im menschlichen Körper rasch zu vermehren. Normalerweise werden Molekültests an Polymerasen nur mit reinen biochemischen Modellen durchgeführt. Doch für diese ist ein Hochdurchsatz-Screening schwierig. Deshalb wird hier das Ziel verfolgt, ein zelluläres Modell zu reproduzieren, um diese Tests in vitro durchführen zu können.
Das Ziel der Wissenschaftler besteht darin, zelluläre Modelle zu entwickeln, die in der Lage sind, zunächst vorhandene Medikamente, aber auch neue Moleküle zu testen, was letztendlich zur Entwicklung eines neuen Medikaments führen kann.
«Im Moment wird viel über Hydroxichloroquin gesprochen, aber auch viele andere Behandlungsmethoden wie Remdesivir gegen Ebola und antivirale Medikamente gegen HIV. Aber keine dieser Behandlungsmethoden hat nachweislich eine therapeutische Wirkung auf das neue Coronavirus. Es gibt also noch viel Raum für die Entwicklung eines neuen Medikaments, das wirklich wirksam ist», sagt Krause.
Spinoff soll Kluft zur Pharmaindustrie überbrücken
Das Spinoff Neurix, untergebracht im markanten Gebäude La Tulipe neben der Medizinischen Fakultät der Universität Genf, stellte während des Lockdowns nicht alle Aktivitäten ein: Es verwaltet die Anfragen, die der Forschung über das neue Coronavirus gewidmet sind.
Das Jungunternehmen wurde 2011 von Professor Karl-Heinz Krause gegründet. Es profitiert vom Technologietransfer aus dem Universitätslabor. Das Ziel: Pharmaunternehmen bei der Suche nach neuen Behandlungsmethoden für neurodegenerative Erkrankungen zu unterstützen.
Unter Verwendung menschlicher Stammzellen entwickelte Neurix ein 3D-System zur Reproduktion von Hirngewebe, das «mini brain» genannt wird und in der Lage ist, die Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus im menschlichen Gehirn zu testen.
«Bis jetzt schenkten die Medien der Sars-CoV-2-Infektion von Nervengewebe wenig Aufmerksamkeit. Einige Studien deuten jedoch darauf hin, dass Atem- und Geruchsbeeinträchtigungen teilweise durch eine Infektion der neuronalen Endungen in diesen Organen verursacht werden könnten», sagt Sébastien Mosser, operativer Geschäftsleiter von Neurix.
«In ähnlicher Weise sind die früheren Coronaviren Sars-CoV (Vogelgrippe) und Mers-CoV (Schweinegrippe) in der Lage, Hirngewebe zu infizieren und neurologische Störungen ähnlich wie Covid-19 auszulösen. Das versuchen wir mit unseren ‹mini brains› zu überprüfen. Diese Tests sollen ein besseres Verständnis der Covid-19-Krankheit ermöglichen, um neue Behandlungsmethoden zu erforschen.»
Angesichts der Gesundheitskrise stellt Neurix seine Expertise auch der Pharmaindustrie zur Verfügung. Dies, indem Testsysteme für deren Moleküle angeboten werden, mittels der von der Gruppe von Professor Krause entwickelten Hochdurchsatz-Screening-Methode für Zellmodelle.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch