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Nobelpreis für Prophezeiung des Higgs-Teilchens

Peter Higgs (links) und François Englert. AFP

Mit der Verleihung des Physik-Nobelpreises an den Briten Peter Higgs und den Belgier François Englert würdigt das Komitee die theoretischen und praktischen Forschungen zum Higgs-Boson. Dessen Nachweis war vor gut einem Jahr am Teilchenforschungs-Zentrum CERN bei Genf gelungen.

Dort war der Jubel am Dienstag gross. Weit über 100 Forscher hatten sich im grossen Foyer des Bürogebäudes am CERN verteilt und verfolgten live die Übertragung der Preisverkündung, die sich gut eine Stunde verzögerte. Das CERN gratulierte  Englert und Higgs in einem Communiqué.

«Ich bin begeistert, dass der diesjährige Nobelpreis an die Teilchenphysik geht», erklärte darin CERN-Generaldirektor Rolf Heuer. Die Entdeckung des Higgs-Boson letztes Jahr am CERN sei der Höhepunkt von jahrzehntelangen intellektuellen Leistungen vieler Leute weltweit gewesen.

Die Akademie kommentiert in der Regel niemanden, der nicht geehrt wurde, sagt Mats Larsson, Mitglied des Nobelpreis-Komitees auf die Frage, wieso das CERN nicht auch mit einem Preis bedacht wurde: «Aber wenn Sie sich die Vergangenheit einmal betrachten, sehen Sie, dass wir den Nobelpreis in Chemie oder Physik noch keiner Organisation verliehen haben.»

Forschungsminister hocherfreut

Auch der Schweizer Forschungsminister, Bundesrat Johann Schneider-Ammann, zeigte sich hocherfreut über die Vergabe des Preises: «Dass heute ein dritter Physiknobelpreis nach Genf kommt, ist das wohlverdiente Resultat einer einzigartigen weltweiten Zusammenarbeit auf wissenschaftlich und technisch höchstem Niveau.»

Er habe mit grosser Freude und Genugtuung von der Vergabe des Preises Kenntnis genommen und gratuliere allen in Genf tätigen Personen zum Erfolg ganz herzlich, so Schneider-Ammann.

«Überwältigt» und «glücklich»

Die beiden Preisträger bezeichneten sich als «überwältigt» und «glücklich», als sie von der Auszeichnung erfuhren. Englert und Higgs hatten die Theorie 1964 unabhängig voneinander aufgestellt, Englert zusammen mit seinem inzwischen verstorbenen belgischen Kollegen Robert Brout.

Bis dahin galt das nach dem neuen Nobelpreisträger Higgs benannte Teilchen als der letzte fehlende Baustein im bewährten Standardmodell der Elementarteilchen-Physik. Mit dem sogenannten Higgs-Mechanismus erklären Physiker seit 1964, wie die Teilchen – also die Grundbausteine der Materie – ihre Masse erhalten. Dabei gehen die Forscher davon aus, dass die umherfliegenden Elementarteilchen von einem sogenannten Higgs-Feld gebremst werden.

Physiker mögen ihn nicht und benutzen den Spitznamen «Gottes-Teilchen» nie. In dem Medien jedoch ist er sehr beliebt. Am Ursprung steht der Reflex eines prüden amerikanischen Verlegers.

1993 veröffentlichte der Nobelpreisträger für Physik, Leon Lederman, ein Buch, dem er den Titel «The goddamn particle» gab(«das verdammte Teilchen»), um die Frustration der Gesellschaft auszudrücken. Aber der Verlag fürchtete empörte Reaktionen und bestand darauf, das Buch «The God particle» («Gottes-Teilchen») zu nennen.

Seinen Untertitel hat das Werk übrigens über all die Jahre behalten: «Wenn das Universum die Antwort ist, was war dann die Frage?»

Eine Art Sirup

Das stellen sich Wissenschaftler wie eine Art Sirup vor: Sämtliche anderen Elementarteilchen fliegen durch diesen Sirup und werden unterschiedlich stark davon gebremst. In dieser Trägheit zeigt sich ihre Masse. Dabei gilt: Je stärker das Elementarteilchen auf das unsichtbare Feld reagiert, umso mehr Masse hat es.

Die Higgs-Teilchen sind quasi die beweglichen Teile dieses Feldes, ähnlich wie Photonen jene Teilchen sind, die ein magnetisches Feld bilden. Die Suche nach diesem Teilchen gehört zu den zentralen wissenschaftlichen Vorhaben im riesigen Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) beim CERN nahe Genf.

Grösste Maschine

Der LHC gilt als grösste Maschine, die jemals von Menschen erbaut wurde. Mehr als hundert Meter unter der Erde lassen die CERN-Wissenschaftler in dem 27 Kilometer langen Ringtunnel Protonen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen. Er ist derzeit für eine zweijährige Revision ausgeschaltet.

Bei den Zusammenstössen entstehen neue Teilchen, die gleich wieder zerfallen und dabei Spuren hinterlassen. Nach Zerfallsspuren von Higgs-Bosonen wurde dabei mit den riesigen LHC-Detektoren «Atlas» und «CMS» gesucht: «Atlas» ist mit einer Länge von 46 Metern und 25 Metern Durchmessern der grösste Detektor, «CMS» mit einem Gewicht von 12’500 Tonnen der schwerste Detektor, der je an einem Beschleuniger gebaut wurde.

Durch die Kollisionen von Materieteilchen in der gigantischen LHC-Anlage wollen die Wissenschaftler in den nächsten Jahren die derzeit grössten Geheimnisse der Physik entschlüsseln. Dabei geht es nicht nur um den Nachweis des Higgs-Teilchens: Die CERN-Forscher unternehmen mit dem LHC auch eine Zeitreise zum Urknall, durch den vor 13,7 Milliarden Jahren das Universum entstand.

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