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Die Alpen werden grau anstelle von weiss

Zwei Männer in den Bergen
Cristian Scapozza, rechts, ist Koordinator der Gruppe Permafrost im Tessin. Michele Novaga

Die Erwärmung des Permafrosts, also des Bodens, der dauerhaft gefroren ist und einen Viertel der Erdoberfläche bedeckt, hat in verschiedenen Regionen der Welt schwerwiegende Folgen. Sein Abbau, der eine direkte Folge des Temperaturanstiegs ist, betrifft auch die Schweizer Alpen. Wir haben die Forscher bei den Messungen begleitet.

Es ist früh am Morgen, als der Hubschrauber die Forschenden des Instituts für Geowissenschaften der Fachhochschule Südschweiz (SUPSIExterner Link) in Lugano in die Höhe bringt. Ziel ist der felsige Gletscher von Stabbio di Largario im oberen Val Soi im Tessin. Etwas weiter spiegelt das ewige Eis der Adula, dem höchsten Punkt des Kantons südlich der Alpen, das Sonnenlicht wider, das am Himmel aufgeht.

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Der felsige Gletscher ist eine Fläche aus Gneisblöcken, aber die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler gilt dem, was tiefer liegt. Nämlich dem PermafrostExterner Link, dem Dauerfrostboden. Forscher untersuchen seit über einem Jahrzehnt das Verhalten des Dauerfrostbodens und haben GPS-Antennen auf diesem instabilen Gelände platziert, um die Massenverschiebung der Gletscherblöcke und verschiedener Temperatursensoren zu messen.

Ziel ist es, Daten zu sammeln und sie in einen alle zwei Jahre erscheinenden Bericht über Permafrost in der Schweiz einfliessen zu lassen, der MessungenExterner Link anderer Forschender an verschiedenen Stellen in der Schweiz zusammenführt.

PermosExterner Link ist das vom Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie und vom Bundesamt für Umwelt finanzierte Schweizer Permafrostmessnetz. Am Projekt beteiligt sind mehrere Schweizer Universitäten, darunter die Universitäten in Zürich, Lausanne und Freiburg, die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich und das Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos.

Die Berge bewegen sich

Cristian ScapozzaExterner Link, Geomorphologe und Forscher an der SUPSI, leitet die Messungen und das Monitoring dieses felsigen Gletschers. Mit seinem Stativ, das die Bewegungen des Permafrostes erkennt, steigt er wie ein Steinbock die instabilen Felsen hinauf, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.

«In den letzten zehn Jahren hat sich der felsige Gletscher sieben bis acht Meter bewegt, mit einer konstanten Beschleunigung zwischen 2009 und 2015 und einem Rückgang in den folgenden Jahren. Der Grund für die Verschiebung ist der Anstieg der Bodentemperatur durch heisse Sommer und schneereiche Winter. In diesem Jahr erlebten wir einen heissen Sommer, dem ein Winter mit starker Schneedecke vorausging, was die Abkühlung des Bodens einschränkte. Wenn der Schnee schmilzt, gelangt viel Wasser in das System, das den Untergrund erwärmt. Und so bewirkt das Wasser zusammen mit den frostigen Temperaturen eine starke Erhöhung der Bewegungsgeschwindigkeit dieser Stellen», erklärt Scapozza.

Diese Entwicklung zeigt sich auch an den anderen überwachten Tessiner und Schweizer Standorten sowie in den Alpenböden der Nachbarländer.

Das Verschwinden der alpinen Gletscher

Aber wird der Permafrost in den Alpen abnehmen? «Nach den von uns in den letzten zehn Jahren erhobenen Daten hat sich der Permafrost in der Fläche nicht verringert, aber ist deutlich wärmer geworden und volumenmässig zurückgegangen. Dadurch wird irgendwann nicht mehr genügend Eisvolumen vorhanden sein, um die Bewegung dieser Felsgletscher zu gewährleisten. Wenn der Permafrost vollständig destabilisiert ist, beginnt er zu schmelzen und in vier oder fünf Jahrzehnten kann man das Verschwinden von Eis im Boden sehen», sagt Scapozza.

Was bereits heute schmilzt, sind die Alpengletscher: Diese drohen durch Gletscherschmelze zu verschwinden. «Die Gletscher ziehen sich zurück, weil sie schneller den klimatischen Veränderungen, insbesondere den Temperaturschwankungen, ausgesetzt sind und somit unter der Erwärmung der letzten Jahre leiden. Im Falle des Permafrostes haben wir die sogenannte aktive Schicht, die als Puffer dient und das direkte Schmelzen des Eises verhindert.»

Die Folgen der Erwärmung des Permafrostes

Laut einer StudieExterner Link von kanadischen Wissenschaftlern der University of Guelph, die in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, trägt der Abbau von Permafrost, der in Orten wie Sibirien, dem hohen Norden Europas und Nordamerika stattfindet, zur Freisetzung von Treibhausgasen wie CO2 und Methan in die Atmosphäre bei.

Eine Gefahr, die für Cristian Scapozza «im Zusammenhang mit dem alpinen Permafrost sehr gering oder sogar Null ist und die nur die arktischen Gebiete betrifft, in denen viel organische Substanz, die teilweise abgebaut wurde, in die dauerhaft gefrorenen Böden integriert wurde, die sich erwärmen und abbauen und das in Zehntausenden von Jahren gespeicherte Methan freisetzen.»

Das Phänomen des Aufwärmens des Permafrostes kann jedoch eine Reihe weiterer Folgen nach sich ziehen, die ebenso wirkungsvoll und handfest sind, betont der SUPSI-Forscher, der drei mögliche Entwicklungen sieht.

«Die erste ist ein Einfluss auf Naturgefahren. Diese felsigen Gletscher sind bewegliche Körper, die bei Erwärmung des Eises zur Beschleunigung neigen und eine direkte Rolle bei der Materialversorgung von Bächen spielen können und so Murgänge auslösen. Die zweite ist Wasser: Der Rückzug der Gletscher und die Abnahme des im Permafrost gespeicherten Eisvolumens beeinflussen dieses Reservat. Die zunächst steigende Wassermenge wird mit der Zeit abnehmen, was den Wasserhaushalt verändern wird: Die Wasserläufe werden nicht nur durch Schnee und Eis an der Oberfläche und unter der Erde gespeist, sondern zunehmend fast ausschließlich durch Niederschläge.»

Die dritte Konsequenz, so der Experte weiter, betrifft «grau» werdende Landschaften. «Wir befinden uns in einer Schlüsselperiode: Auf der einen Seite sind da die Gletscher, die sich jedes Jahr oder Jahrzehnt zurückziehen, auf der anderen Seite ist da der Permafrost, der eine ähnliche Entwicklung hat, aber langsamer. Grau tritt an die Stelle von Weiss, und im Laufe von Jahrzehnten oder Jahrhunderten wird Grün und Wald hochwachsen.»

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(Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi)

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