Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Römisches Schlachtfeld in der Schweiz enthüllt Geheimnisse einer historischen Schlacht

Archäologen graben im Kanton Graubünden nach römischen Artefakten
Studierende und Forschende der Universitäten Basel und Zürich untersuchen zusammen mit Freiwilligen ein römisches Schlachtfeld in der Nähe der Crap-Ses-Schlucht im Kanton Graubünden. Simon Bradley/SWI swissinfo.ch

In den vergangenen zwei Jahren haben Expert:innen Tausende von römischen Militärartefakten ausgegraben, die verstreut auf einem Hügel im Kanton Graubünden liegen. Das erste römische Schlachtfeld, das je in der Schweiz entdeckt wurde, liefert Hinweise darauf, was sich vor über 2000 Jahren an diesem Ort abgespielt hat.

«Bip… Bip… BIIIIIP… BIIIIIIIIIIIP.» Mit starken Metalldetektoren durchkämmen Archäolog:innen den steilen Grashügel auf der Suche nach alten Schwertern und anderen Zeugen einer entscheidenden Schlacht zwischen den Römern und einem einheimischen Stamm.

Andere ihrer Kolleg:innen kratzen kniend oder sitzend mit Kellen und Handsonden kleine Löcher in die Alpenwiese im Südosten der Schweiz. Leuchtend gelbe Fähnchen, die frühere Funde markieren, flattern neben grossen Erdschollen am grünen Hang im Wind.

Die beschauliche Szenerie an der Flanke des idyllischen Juliertals südlich von Chur täuscht über eine gewalttätige Vergangenheit hinweg. Vor zwei Jahren entdeckte ein Hobbyarchäologe mit einem Metalldetektor einen spektakulären, 2000 Jahre alten Dolch und weckte damit das Interesse an der Fundstelle.

Schweizer Historiker:innen gehen heute davon aus, dass an diesem abgelegenen Berghang um 15 v. Chr. eine wichtige Schlacht zwischen den über die Alpen nach Norden vorrückenden römischen Truppen und den einheimischen Suanetes-Kämpfern stattfand, die einen historischen Wendepunkt markierte: den Beginn der römischen Besetzung der Schweiz.

Peter-Andrew Schwarz steht oben auf dem Feld, nuckelt an seiner Pfeife und blickt stolz auf sein Team aus jungen Universitätsstudent:innen und Freiwilligen.

«Ich sage meinen Studierenden, dass dies wahrscheinlich das erste und einzige Mal in ihrer Karriere sein wird, dass sie die Möglichkeit haben, auf einem Schlachtfeld zu arbeiten; einem römischen Schlachtfeld hier in der Schweiz», sagt Schwarz, Archäologieprofessor an der Universität Basel.

In ihren Warnwesten sind die Archäolog:innen kaum zu übersehen. Anouk Duttweiler bearbeitet mit einer kleinen Kelle die zähe, trockene Erde.

Es ist erst ihr dritter Tag auf der Ausgrabungsstätte, aber die Archäologiestudentin aus Basel im zweiten Semester hat schon viele interessante Fundstücke ausgegraben.

«Bei vielen Ausgrabungen muss man lange arbeiten, bis man etwas findet, das etwas aussagt. Aber hier findet man Schleudergeschosse und andere Dinge von einem richtigen Schlachtfeld», sagt sie.

Überall in der Schweiz zeugen elegante Säulen, Villen, Amphitheater und andere Überreste antiker Siedlungen vom Leben unter römischer Herrschaft. Auf Schweizer Territorium waren jedoch bis jetzt noch keine Schlachtfelder identifiziert und erforscht worden.

In den letzten zwei Jahren haben rund 40 Wissenschaftler:innen der Universitäten Basel und Zürich zusammen mit freiwilligen Sondengänger:innen Tausende von römischen Militärobjekten auf der hügeligen Wiese ausgegraben.

Darunter finden sich antike Schwerter, Schleudergeschosse, Fibeln, Münzen, Schildfragmente und mehrere tausend römische Hobelnägel. Allein in diesem Herbst wurden in drei Grabungswochen täglich etwa 250 bis 300 Fundstücke geborgen.

Nun ist die Grabungsphase offiziell beendet. Doch viele Fragen bleiben offen: Was genau geschah vor über 2000 Jahren auf dieser idyllischen Wiese? Und was war der genaue historische Hintergrund der blutigen Schlacht?

Unter römischer Herrschaft

Zu Beginn des dritten Jahrhunderts v. Chr. eroberten die Römer das Gebiet des heutigen Südtessins in der italienischsprachigen Schweiz. Rund 75 Jahre später gelang es ihnen, Südfrankreich, das Rhonetal mit Genf und die Route von Italien nach Spanien unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die römische Herrschaft wurde nach und nach durch die Gründung von Kolonien gefestigt, vor allem in der Westschweiz. Die Kontrolle über die Alpenübergänge war jedoch nur von kurzer Dauer.

Im ersten Jahrhundert v. Chr. drangen römische Truppen mehrmals in die Berge vor. Auf die Römer spezialisierte Geschichtsforscher:innenExterner Link vermuten verschiedene Gründe für diese Feldzüge: die Unterdrückung von Unruhen und die Verhinderung von Überfällen auf Reisende, die Notwendigkeit, eine Transitroute nach Deutschland zu sichern, und zusätzliche Steuereinnahmen.

Was archäologische Funde über die Schlacht verraten

Frühere Funde wie Münzen und Schleudergeschosse, die in einem weiter südlich gelegenen römischen Militärlager geborgen wurden, lieferten wichtige Anhaltspunkte für die Chronologie der Schlacht im Juliertal.

Man vermutet, dass das Lager am Septimerpass die letzte Station der römischen Soldaten war, bevor sie weiter unten im Tal gegen die Suaneten kämpften.

In vorrömischer Zeit bevölkerten der keltische Stamm der Helvetier das Mittelland und das heutige Südwestdeutschland.

Die östlichen Teile der Schweiz wurden von den Rätern bewohnt, einer Konföderation alpiner Stämme, zu denen auch die Suaneten gehörten.

Es wird vermutet, dass die Suaneten im Hinterrheingebiet und im Oberhalbstein im Kanton Graubünden lebten.

Das Tropaeum Alpium wurde sechs Jahre vor Christus in La Turbie, Frankreich, als römische Trophäe zur Feier des Siegs von Kaiser Augustus über die 45 Stämme, welche die Alpen bewohnten, errichtet. Einer der Steine des Turms trägt die Namen der Stämme, darunter auch die der Suaneten.

Das Basler Team geht davon aus, dass eine 2000 Mann starke Truppe aus drei Militäreinheiten – der dritten, zehnten und zwölften römischen Legion – auf dem Gipfel des Hügels in der Nähe der Crap-Ses-Schlucht zwischen Tiefencastel und Cunter auf 500 bis 1000 einheimische Kämpfer traf.

Verteilung der Kämpfer auf dem römischen Schlachtfeld in der Schweiz
Computergeneriertes Bild der Schlacht, die um 15 v. Chr. an einem abgelegenen Berghang südlich von Chur zwischen den über die Alpen nach Norden vorrückenden römischen Truppen und den einheimischen Suaneten stattgefunden haben soll. Courtesy of Leona Detig

Flück zieht seinen Strohhut herunter, um sein Gesicht vor der Spätherbstsonne zu schützen. Der Archäologieprofessor, der das Projekt mitkoordiniert, verfügt über ein enzyklopädisches Wissen über die römischen Funde.

«Wir haben keine Quellen, aber aufgrund der Verteilung der Funde und der Tatsache, dass wir viele zerbrochene Ausrüstungsgegenstände haben, gehen wir davon aus, dass die Suaneten verloren haben», sagt er.

Schuhnägel liefern fehlende Puzzleteile

Der Fund von Armbrustbolzen und zahlreichen rautenförmigen Schleudergeschossen lieferte wertvolle Informationen über die Legionen und den genauen Ort der Kämpfe.

Einige der Geschosse tragen eine römische Zahl oder ein Muster, das die jeweilige Militäreinheit identifiziert.

Auch wenn viele Details der Auseinandersetzung noch unbekannt sind, gehen die Archäolog:innen davon aus, dass die Römer die Suaneten zunächst mit weitreichenden Waffen und Steinschleudern beschossen. Die Verteilung der Schleudergeschosse und ihre Markierungen weisen auf ihre Positionen auf dem Schlachtfeld hin.

Römisches Bleischleuder-Geschoss mit Inschrift
Ein auf dem Schweizer Schlachtfeld gefundenes Bleischleuder-Geschoss, das der zehnten römischen Legion gehörte. Simon Bradley/SWI swissinfo.ch

Die kleinen Schleudergeschosse waren tödlich. Einige neuere Experimente Externer Linkhaben gezeigt, dass die schweren Blei- oder Steingeschosse in den Händen geübter Kämpfer fast die Schlagkraft einer modernen Handfeuerwaffe hatten.

Die wichtigsten Funde seien jedoch die Schuhnägel, so Schwarz. Die Stiefel der römischen Soldaten hinterliessen rund 2500 Hobelnägel, die verstreut auf dem Feld lagen.

Mithilfe moderner Technik werden die Forschenden die Position jedes einzelnen Hobelnagels erfassen, um herauszufinden, wo die Kämpfer standen oder fielen und wie die Schlacht verlief.

Ein römischer Schuhnagel
Einer der 2500 Schuhnägel von Stiefeln römischer Soldaten, die auf dem Schlachtfeld gefunden wurden. Simon Bradley/SWI swissinfo.ch

Zuoberst auf dem Hügel fanden Schwarz und sein Team Fragmente von Schwertern und anderen Waffen – aber keine menschlichen Knochen. Die Römer und die Einheimischen pflegten die Gefallenen zu verbrennen.

Hartnäckige Sondengänger:innen geben einen Hinweis

Der Reichtum an archäologischen Funden hätte durchaus im Verborgenen bleiben können. Anfang der 2000er-Jahre wurden auf der steilen Wiese mehrere römische Artefakte gefunden.

Doch danach glaubte man, dass die Fundstelle nichts mehr hergibt. Bis 2018, als ein lokaler Hobbyarchäologe mit seinem Metalldetektor immer mehr römische Funde entdeckte.

Lukas Schmid, praktizierender Zahnarzt, durchkämmte in seiner Freizeit das Schlachtfeld und andere lokale Fundstellen. Über einen Zeitraum von drei Jahren entdeckte er 250 wichtige Fundstücke, darunter einen spektakulären 2000 Jahre alten römischen Dolch.

Ein römischer Dolch, gefunden im Kanton Graubünden
Diesen 2000 Jahre alten römischen Dolch fand der Hobbyforscher Lukas Schmid in der Nähe von Flur Plang Ses im Kanton Graubünden. Courtesy of CVMBAT

«Ohne Sondengänger:innen wie Lukas hätten wir nichts von diesem Ort gewusst. Er hat die ersten wichtigen Funde gemacht», sagt Schwarz, der seit 2021 am archäologischen Forschungsprojekt «CVMBATExterner Link» im Juliertal arbeitet.

Von der Wiese ins Museum

Das archäologische Team muss die Artefakte nun sorgfältig restaurieren und auswerten, um die Geschichte der Schlacht zu erzählen. «Eine Arbeit, die noch nicht abgeschlossen ist – aber die interessanteste Arbeit überhaupt», sagt Schwarz.

Allerdings wird es schwierig sein, das genaue Alter des Schlachtfelds zu bestimmen. «Normalerweise ist es nicht möglich, Funde wie Schleudergeschosse oder Hobelnägel auf ein bestimmtes Jahr zu datieren», sagt der Archäologieprofessor.

Einige Historiker:innen gehen davon ausExterner Link, dass das Gebiet der heutigen Schweiz um 15 v. Chr. unter Kaiser Augustus erobert wurde, obwohl es keinen direkten Bericht über den erfolgreichen Alpenfeldzug gibt.

Archäolog:innen gehen davon aus, dass die Schlacht bei der Crap-Ses-Schlucht wahrscheinlich um diese Zeit herum stattgefunden hat.

Grafik
Kai Reusser / swissinfo.ch

Auch wenn es sich nicht um eine grosse Schlacht gehandelt zu haben scheint, war sie doch höchstwahrscheinlich ein wichtiger Wendepunkt. Die Römer siegten und konnten bald darauf entlang des Rheins in Richtung des Schweizer Mittellands und der österreichischen Stadt Bregenz am Bodensee marschieren.

«Aus der Geschichte wissen wir, dass die Schweiz bald darauf unter römischer Kontrolle stand, mit Siedlungen und einem wichtigen Legionslager in Vindonissa, Windisch in der Nordschweiz», sagt Schwarz.

Das Team der Basler Archäolog:innen ist überzeugt, dass die wenig bekannte Geschichte der Schlacht und dieses wichtigen Abschnitts der schweizerischen und römischen Geschichte auf breiteres Interesse stossen wird.

Für 2025 sind ein Dokumentarfilm über das Forschungsprojekt und eine Ausstellung in einem lokalen Museum geplant.

Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

Mehr

Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft