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Dem Konsumverhalten der Schweizer auf der Spur

Stau an der Grenze
Einkaufstourismus bedeutet auch oft, lange im Stau zu stehen und sich in Geduld zu üben. Ennio Leanza/Keystone

Warum kaufen Schweizerinnen und Schweizer so häufig auf der andern Seite der Grenze ein? Was hat sich in deren Essverhalten in der letzten Zeit verändert? Diesen und anderen Konsumfragen geht der Forscher Thomas Rudolph nach – ein Deutscher, der die Schweiz zu seinem Lebensmittelpunkt erkoren hat.

Thomas RudolphExterner Link war für sein Doktorat noch nicht lange in der Schweiz, als er 1992 für eine Studie in den St. Galler Grenzort St. Margarethen reiste. Eigentlich ging es ihm um das Erscheinungsbild von Verkaufsstellen. Dazu wollte er bei einem Detailhändler hundert Kundinnen und Kunden befragen.

«Das vergesse ich nie: An diesem Tag kamen Heerscharen von Österreichern und Deutschen zum Einkauf von Schokolade, Nudeln und Kaffee. Und die haben teilweise 20, 30 Tafeln Schokolade, 15 Pack Nudeln eingekauft», erzählt er.

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Heute ist es genau umgekehrt, der Einkaufstourismus geht seit Jahrzehnten genau in die entgegengesetzte Richtung. Seit der Schweizer Franken an Wert zugelegt hat.

Rudolph ist heute Professor für Marketing und Internationales Handelsmanagement am Gottlieb Duttweiler Lehrstuhl der Universität St. GallenExterner Link (HSG). Doch das Thema hat ihn nicht mehr losgelassen. Regelmässig veröffentlicht er mit seinem Team Studien über den Einkaufstourismus.

Gefallen an der Schweiz gefunden

Rudolph, der heute auch den Schweizer Pass besitzt, studierte in Mannheim. Als er für sein Doktorat Bewerbungen an unterschiedliche Universitäten und Firmen geschickt hatte, kam auch ein Angebot aus St. Gallen. «Das hat mir sehr gut gefallen, und ich bin dann letztlich hier auch hängen geblieben.»

Zwar wollte er die Schweiz ein paar Mal auch verlassen. Doch daraus wurden nur drei halbjährige Aufenthalte an ausländischen Universitäten in den USA und in Neuseeland. «Es war schon geplant, zurückzukommen. Als er dann eine Familie gründete, war seiner Frau und ihm klar, dass sie längere Zeit in der Schweiz bleiben wollten. «Und dann hat sich auch das mit St. Gallen sehr gut entwickelt. Deshalb bin ich sehr zufrieden mit diesem Lebensmittelpunkt, der Schweiz», sagt er.

10 Milliarden Franken ins Ausland

Thomas Rudolph
Thomas Rudolph prisma-hsg.ch

Und nun forscht er also über das Konsumentenverhalten der Schweizerinnen und Schweizer und über das Thema Geschäftsmodell-Transformation.

Fragen wie einerseits: «Sind Kunden beim Einkaufen inspiriert? Wie kann man deren Inspiration messen?», und andererseits: «Welche Konzepte entwickeln wir, um auf dieses Verhalten zu reagieren?», wie er zusammenfasst.

Seine jüngste Studie zum Einkaufstourismus der Schweizerinnen und Schweizer auf der anderen Seite der Grenze hat 2017 ergeben, dass das Thema immer noch aktuell ist, allerdings nur noch leicht zugenommen hat. In den untersuchten Bereichen Lebensmittel, Textil, Möbel, Sport und Unterhaltungselektronik gingen stationär und online fast zehn Milliarden Franken aus der Schweiz ins Ausland.

Ein «sehr zentrales Ergebnis» seiner Forschung sei auch, dass «der Einkaufstourismus heutzutage noch stärker online wächst», betont Rudolph. Und da spielten unterdessen nicht nur die benachbarten Länder eine wichtige Rolle, sondern auch China, etwa mit Aliexpress. «Die Konkurrenten aus der ganzen Welt sind mittlerweile einen Mausklick entfernt.»

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Als Gründe für den Einkaufstourismus nennt Rudolph in erster Linie ganz klar den Preis. Da müsste der Euro-Wechselkurs schon bis 1,40 Franken für einen Euro ansteigen, damit der Preis im Ausland nicht mehr attraktiv wäre. Zweitens sei es aber auch der Wunsch nach anderen Sortimenten wie etwa Wurst- oder Brotsorten, der Schweizerinnen und Schweizer ins Ausland locke. Zudem biete der Einkauf im Ausland immer auch die Möglichkeit, gemeinsam einen Ausflug zu machen.

Angebot in der Schweiz verbessern

Rudolph macht sich mit seinem Team auch Gedanken, wie dem Einkaufstourismus zu begegnen wäre. Zentral dabei sei, dem Preiskampf aus dem Weg zu gehen. «Das geht nur, indem man Produkte, Sortimente anbietet, die sich unterscheiden. Sprich: Es braucht mehr Eigenmarken, mehr lokale, regionale Sortimente. Die Geschmäcker, die in der Schweiz doch ganz anders sind – Beispiele Brot oder Käse – müssen stärker berücksichtigt werden.»

Zweitens könne bei den Serviceleistungen einiges verbessert werden. Und diese Beratungstätigkeit müsse nicht einmal unbedingt etwas kosten. «Ich kann auch durch einen guten Internet-Auftritt die Vorauswahl unterstützen», gibt er ein Beispiel. Und nennt als zweites die Möglichkeit der Paketverfolgung, die der Kundschaft geboten werden könne.

Zudem würde gegenwärtig mit dem Thema Nachhaltigkeit ebenfalls Kundeninteresse geweckt. «Da werden von der Bevölkerung Innovationen erwartet. Und wahrscheinlich auch gut bezahlt, wenn sie wirklich überzeugen.»

Befangen wegen Migros?

Die Forschungsergebnisse des Gottlieb Duttweiler Lehrstuhls, benannt nach dem Gründer des Detailhandelsriesen Migros und finanziert von dieser, kommen natürlich auch der Migros zu Gute. Thomas Rudolph sitzt zudem seit 2003 im Migros-Verwaltungsrat. Das wirft natürlich die Frage nach der Befangenheit auf.

«Aus meiner Sicht gibt’s da keine Interessenskonflikte», betont er. Das Interesse des Schweizer Handels sei gross, zum Phänomen Einkaufstourismus und Kundenverhalten mehr zu erfahren. In ihren Studien würden sie schliesslich auch keine Ratschläge geben. «Jedes Unternehmen, das diese Studie liest, muss sich dann selber überlegen, wie es vorgehen will, um vielleicht ein Stück weit voranzukommen.» Ausserdem hätten sich seinem Forschungszentrum mittlerweile 27 weitere Firmen als Partner angeschlossen.

Jugendliche essen im Stehen einen Hamburger
Das Ess- und Verzehrverhalten der Schweizerinnen und Schweizer hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert. Martin Ruetschi/Keystone

Wie essen die Schweizer?

Ein weiteres, breites Forschungsfeld Rudolphs ist das Ess- und Verzehrverhalten der Schweizerinnen und Schweizer. Was und wo? Das sind dabei die wichtigsten Fragen. Ein starker Trend sei beispielsweise beim Frühstück zu beobachten: «Weg von zuhause, hin zum Frühstück ‹on the go› oder am Arbeitsplatz.»

Auch das Mittagessen verliere in der Schweiz zusehends an Bedeutung. Während man sich früher zu Mittag hinsetzte und gemeinsam die 12:30-Nachrichten hörte, habe sich die Situation heute stark verändert: «von anderthalb Stunden auf heute eine halbe Stunde oder 20 Minuten, oder direkt am Arbeitsplatz». Ähnliche Veränderungen seien zwar auch in anderen Ländern zu beobachten, das Ausmass sei aber in der Schweiz grösser.

Trotzdem seien die Schweizerinnen und Schweizer im Vergleich mit anderen Ländern sehr gesundheitsbewusst. «Ich war überrascht, wie viele Schweizer eine Diät machen», sagt Rudolph. «Das Interesse, sich gesund und qualitativ hochwertig zu ernähren, ist in der Schweiz schon besonders ausgeprägt.»

Das zeige sich auch in der Vielfalt der Restaurants. Im Inland möge uns das gar nicht so bewusst sein, doch zur Illustration hat Rudolph noch eine persönliche Geschichte parat: «Als ich hier in St. Gallen meine erste Wohnung bezogen habe, schlug ich  – damals noch – das Telefonbuch auf und sah: Restaurants gibt’s hier wie Sand am Meer. Und das in einer Stadt von rund 80’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. In Deutschland: Unmöglich, eine solche Dichte!»

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