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Wie der Klimawandel klingt

Mikrofone zeichnen Sound der Berge auf
Hochempfindliche Mikrofone zeichnen Geräusche vom Eigergletscher und den Berner Hochalpen auf. swissinfo.ch

Hoch oben in den Berner Alpen fing der australische Künstler Philip Samartzis die Klänge des Klimwawandels ein. Heraus kam eine Komposition aus stöhnenden Winden, abbrechenden Steinen und klirrendem Gletschereis.

Philip SamartzisExterner Link lehrt Design am Royal Melbourne Institute of Technology in Australien – und er ist ein Klangkünstler, der den Klimawandel fassbar macht. Jüngst verbrachte der Australier drei Wochen auf der Forschungsstation Jungfraujoch in den Berner Alpen, um Tonaufnahmen zu machen. Samartzis› Ziel war es, die Klanglandschaft der Alpen aufzuzeichnen, um so auf die Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam zu machen.

Forscher Philip Samartzis
Der Forscher Philip Samartzis ist Klangkünstler, ein Job, den er als «an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft» beschreibt. swissinfo.ch

Mit zahlreichen Mikrofonen, Hydrophonen und Beschleunigungssensoren nahm Samartzis rund 150 Stunden Ton aus dem Gebiet der Forschungsstation auf. Anschliessend schuf er damit am Institute for Computer Music and Sound Technology der Zürcher Hochschule der Künste eine 45-minütige Komposition. Sie vermittelt einen guten Eindruck von den natürlichen und auch künstlichen Klängen in diesem hochalpinen Gebiet.

«In vielerlei Hinsicht ist es eine Konvergenz von Kunst und Wissenschaft», erklärt Samartzis. «Ich setze Kunst ein, um einige der Beobachtungen und Bedenken hinsichtlich des Klimawandels einem breiten Publikum zu vermitteln.»

Er sagt, dass die meisten Menschen, zum Beispiel seine australischen Landsleute, «öfters von schrumpfenden Gletschern und Klimawandel in den Bergen lesen und hören», aber sie hätten nicht die Gelegenheit, die Entwicklung aus der Nähe zu erleben.

«Mit der Hilfe von Kunst können wir fassbare und eindringliche Begegnungen mit diesen Veränderungen schaffen, die sehr vielfältig und dynamisch sein können», sagt der 56-Jährige.

Aufzeichnung von Bergstürzen und Wäldern

Christophe Giovannini ist Leiter Kommunikation beim Schweizerischen NationalfondsExterner Link (SNF), der zur Finanzierung von Samartzis› Forschung beigetragen hat. Er sagt, der Klimawandel müsse unbedingt wissenschaftlich angegangen werden. Doch er sei auch ein gesellschaftliches Problem, das unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden müsse, einschliesslich der Kunst.

«Das Projekt von Samartzis ist ein neuer Ansatz aus einer ungewöhnlichen Perspektive, und ungewöhnliche Perspektiven können neue Facetten des Verstehens eröffnen», sagt Giovannini.

Beispielsweise gründeten Forschende der ETH Zürich und der Universität Zürich ein Konsortium namens «PermaSense»Externer Link , um klimatische Veränderungen am MatterhornExterner Link besser verstehen zu können. Für ihr Projekt setzten sie seismische und akustische Sensoren ein, um die internen Frequenzen des Bergs wie ein Musikinstrument zu überwachen und potenzielle Steinschläge vorherzusagen.

Andere Wissenschaftler zeichnen die Geräusche der Wälder auf. Yvonne Volkart,Externer Link Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Nordwestschweiz, leitet ein vom SNF gefördertes Projekt, für das ihr Kollege Marcus Maeder Tonaufnahmen des PfynwaldsExterner Link im WallisExterner Link erstellte. Seine Aufzeichnungen zeigen, welche Auswirkungen Dürre und Hitzewellen auf die Gesundheit des Waldes und dessen Bewohner haben.

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Bis die Stimme verstummt

«Das Geräusch des nahe gelegenen Flusses ist leiser geworden, weil er weniger Wasser führt. Gebirgsbäche versiegen», schrieb Maeder in seinem Blog, der das Projekt dokumentiert. «Die Tiere ziehen sich zurück, sind weniger aktiv und daher ruhiger. Die Luftfeuchtigkeit nimmt ab, während zugleich die Temperatur steigt. Dies führt zu einer Klangsynthese der Waldstimme. Tiefere Töne werden immer tiefer und höhere immer höher, bis sie ausserhalb des hörbaren Bereichs liegen und die Stimme verstummt.»

Volkart ist überzeugt, dass die Kunst den Menschen komplexe wissenschaftliche Forschung und Erkenntnisse leichter zugänglich machen kann. «Wenn etwa Physiker Daten sammeln und diese anhand einer Kurve oder eines Diagramms vermitteln, ist das abstrakt», sagt Volkart. «Wenn Künstler Daten aufzeichnen und daraus eine Komposition erstellen, wird daraus etwas Fassbares und auch sehr Schönes.»

Bergkompositionen

Samartzis entschied sich, die Ökologie der Alpen abzubilden. Er ist fasziniert von den Auswirkungen des Klimawandels auf extreme Klimazonen. Nach mehreren Reisen in die Antarktis, um dort Geräusche festzuhalten, erschien ihm das Schweizer Hochgebirge als logischer nächster Schritt, um das zu repräsentieren, was er als «das kalte Gesicht des Klimawandels» bezeichnet.

«Die Forschungsstation auf dem JungfraujochExterner Link ist für ihre Atmosphärenforschung bekannt», sagt Samartzis und weist darauf hin, dass die dort gesammelten Daten als Informationsgrundlage für wichtige internationale Verträge wie das Kyoto-Protokoll verwendet wurden. «Es sind speziell diese Daten vom Jungfraujoch, die weltweit für Gesprächsstoff sorgen und kontrovers diskutiert werden.»

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Nachdem Samartzis auf dem Jungfraujoch und dem darunter liegenden Aletschgletscher viele Stunden Ton aufgenommen hatte, ging er damit ins Tonstudio der Zürcher Hochschule, um eine Komposition zu schaffen.

Diese strotzt vor Vielfalt. Im ersten Teil konzentriert sich Samartzis auf den Wind, einschliesslich dessen, was passiert, wenn sich der kalte Wind, die Bise, und ihr warmer Zwilling, der Föhn, in den Bergen treffen. Die Kräfte bündeln sich, bis ein gespenstisches und heftiges Brüllen den Zuhörer gefangen nimmt.

Seile, welche die Forschungsstation an der Bergspitze befestigen, vibrieren wild in einem unheimlichen, metallischen Rauschen. Eisbrocken lösen sich und prallen wie ein Rammbock gegen eine Metalltür am Gebäude. Es klingt alles fast unerbittlich, bis sich die Atmosphöre verändert: Der Wind zieht weiter und lässt dabei kleine Eiskristalle aufwirbeln, klirrend und traumhaft.

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Später zeigt Samartzis, wie sich bei steigenden Temperaturen der Permafrost und der Aletschgletscher verändern. «Die Landschaft wird durch den Verlust des Permafrosts instabil, so dass vermehrt Steinschläge, Hangrutsche und Eisabbrüche auftreten.» Seine Aufnahme dokumentiert die schockierende Kraft von Steinen, die sich lösen und auf dem Eis aufschlagen. 

Samartzis nimmt die Zuhörer mit in die Tiefen des Gletschers. Hydrophone – Unterwassermikrofone – fangen die Eisschmelze ein, die in einen Wasserlauf tropft und schliesslich unterhalb der Forschungsstation in Richtung Kleine Scheidegg fliesst. Die Schmelze vermischt sich mit Wasserfällen und sammelt sich auf einer tiefer gelegenen Wiese an, wo Kühe grasen. Ihre Glocken läuten nicht weit von einem Bahnhof entfernt, an dem Züge mit Hunderten von Touristen zurück aufs Jungfraujoch fahren, wo der Prozess begonnen hat.

Flugzeuge, Züge und Touristen

Seine Erfahrung auf dem Jungfraujoch sei nicht nur ergiebig, sondern auch «ein bisschen paradox» gewesen, sagt Samartzis an Ende des Interviews.

«Einerseits ist es ein grossartiger, spektakulärer Ort, der schlicht atemberaubend ist.» Andererseits seien der menschliche Einfluss und die Wechselwirkung von Mensch und Natur auf dem Jungfraujoch sehr extrem.

Es sei schwierig gewesen, den Geräuschen menschlicher Aktivitäten zu entkommen, um klare Aufnahmen zu erhalten. Jeden Tag habe er gekämpft, um dem Lärm von Kampfjets, Hubschraubern und Touristen zu entfliehen. Und Lego. Denn während Samartzis auf dem Jungfraujoch war, ging eine PR-Veranstaltung des dänischen Spielzeugherstellers über die Bühne. Lego stellte eine riesiges Raumschiff auf dem Joch aus, um damit Werbung für ihre neuen Bausätze in der Star-Wars-Reihe zu machen.

«Auf dem Jungfraujoch herrscht eine perverse Art von Spannung zwischen den Menschen, die auf das Gebiet zugreifen, und den Auswirkungen dieses Zugriffs», sagt Samartzis.

(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)

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