Schweiz sucht internationale Anerkennung für Berufslernende
Die Berufslehre – eine Säule des Schweizer Bildungssystems – leidet unter mangelnder Anerkennung im Ausland. Das könnte sich ändern, wenn die Schweiz Bachelor- und Mastertitel für Berufstätige einführt.
Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFIExterner Link) prüft, ob es den schweizerischen höheren Berufsabschlüssen neue Namen geben soll, um ihren Wert auf dem internationalen Arbeitsmarkt zu erhöhen, berichtete die SonntagsZeitungExterner Link. Zur Diskussion steht die Schaffung von zwei Abschlüssen: «Bachelor Professional» und «Master Professional»
Das SBFI habe ein spezielles Projekt lanciert, um «eine ganzheitliche Überprüfung der aktuellen nationalen und internationalen Positionierung der Höhere Fachschulen sowie ihrer Bildungsprogramme durchzuführen», bestätigt das SBFI gegenüber SWI swissinfo.ch.
Ziel ist es, herauszufinden, ob Titel wie Bachelor und Master Professional – die an einer Fachhochschule und nicht an einer Universität erworben werden – auf dem internationalen Parkett überlebensfähig sind.
Impulse kommen aus dem Nachbarland Deutschland, das ebenfalls über ein starkes Ausbildungssystem verfügt. Anfang 2020 führte es einen «Bachelor Professional» und «Master Professional» ein. In der Schweiz wurden ebenfalls mehrere Motionen ins Parlament eingebracht, die argumentieren, dass die Schweizer international – und zu Hause – durch das Fehlen anerkannter Titel benachteiligt werden. Die jüngste MotionExterner Link stammt von Matthias Aebischer.
Konkret fordert Aebischer die Regierung auf, «moderne Titelbezeichnungen» zu prüfen, die «die Titel- und Niveauäquivalenz mit anderen Titelbezeichnungen im In- und Ausland herstellen (‹Professional Bachelor›, ‹Professional Master›).»
Wieso besteht Handlungsbedarf?
Die Schweiz schneidet bei internationalen Berufsbildungs-Wettbewerben regelmässig mit Bestnoten ab, warum also fasst man diese Veränderungen ins Auge?
Die Antwort liegt darin, wie das Schweizer Bildungssystem aufgebaut ist. Rund zwei Drittel der Schweizer Schulabgänger absolvieren eine Berufsausbildung: meist eine Lehre, die aus einer betrieblichen Ausbildung in Kombination mit der Berufsschule besteht. Nach zwei bis vier Jahren haben sie einen Abschluss mit direktem Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz ist im Vergleich zu anderen Industrieländern generell recht niedrig (ca. 8% im Jahr 2020).
Danach gibt es mehrere Wege, um die Ausbildung fortzusetzen: Die Berufsmatura ermöglicht ein reguläres Bachelor-Studium an einer Fachhochschule (FH), den eher praktisch orientierten Hochschulen der Schweiz, die meist von Lehrabgängerinnen und Lehrabgängern besucht werden. Für den Besuch einer akademischen Hochschule ist eine zusätzliche Prüfung erforderlich (im Allgemeinen besuchen nur etwa 25% der jungen Menschen in der Schweiz eine akademische Hochschule).
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Junge Erwachsene können ihr Fachwissen und ihre Managementfähigkeiten auch über eidgenössische Diplome und höhere Fachschulen vertiefen. Dies wird als Höhere Berufsbildung bezeichnet und ist eine Schweizer Spezialität. Ziel ist es, hoch qualifizierte Arbeitskräfte in Bereichen wie Technik, Gesundheit, Verwaltung und Tourismusdienstleistungen zu gewinnen. Rund ein ViertelExterner Link der Jugendlichen, die eine Lehre absolviert haben, schlägt diesen Weg ein.
Diese Hochschulen sind allerdings nicht offiziell von den Schweizer Behörden anerkannt, wohl aber die 430 Abschlüsse, die sie anbieten.
Anerkennung gewinnen
Es ist gerade diese Einzigartigkeit des Schweizer Bildungssystems, die Veränderungen nötig macht. In einigen Berufen, etwa in der IT oder der Pflege, ist der Erwerb eines höheren Abschlusses weit verbreitet. Aber es gibt Probleme mit der Anerkennung, wie Aebischer in seiner Motion aufzeigt.
Urs Gassmann, Geschäftsführer des Schweizerischen Verbands der Höheren Fachschulen (ODEC), erklärt es so: «Wenn Sie jemanden haben, der in der Schweiz ausgebildet wurde und als Maschineningenieur ins Ausland geht, um dort eine Maschine aufzubauen oder ein Projekt zu leiten, hat er oft das Problem, dass sein eidgenössisches Diplom für Englischsprachige nichts bedeutet». Er sagt, dies könne auch bei internationalen Unternehmen oder Hotelketten in der Schweiz vorkommen, die eher einen akademischen Bachelor-Abschluss kennen oder sogar voraussetzen, um dort zu arbeiten.
Deshalb führte seine Organisation bereits 2006 einen «Professional Bachelor ODECExterner Link» für ihre Mitglieder ein, in der Erwartung, dass sich der gesamte tertiäre Sektor schliesslich in Richtung Bachelor, Master und PhD (Doktorat) bewegen würde. ODEC würde auch einen Übergang zu einem nationalen Bachelor Professional unterstützen.
Die Universitäten sind jedoch nicht überzeugt von Aebischers Antrag. Swissuniversities, der Dachverband der Branche, sagte am 22. Juni gegenüber RTS: «Bachelor- und Mastertitel sind der Wissenschaft vorbehalten. Eine Ausweitung auf andere Ausbildungsformen wird zu Verwirrung führen.»
Die Schweizer Regierung hat sich ebenfalls gegen Aebischers Motion ausgesprochen (seine zweite: er hat 2012 eine ähnliche Motion eingereicht, die vom Parlament abgelehnt wurde) und verweist auf frühere Bestrebungen zur Klärung der beruflichen Hochschulbildung – es gibt zum Beispiel jetzt offizielle englische Übersetzungen für einige Titel – und auf die aktuellen Aktivitäten des SBFI.
Steht ein Wandel bevor?
Die offizielle Schweizer Position sei lange gewesen, dass die höhere Berufsbildung in der Schweiz stärker sei, wenn sie als eigener Weg mit eigenen Stärken betrachtet werde, sagt Jürg Schweri, Professor am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHBExterner Link).
Man sei der Ansicht gewesen, dass akademisch anmutende Titel die Verwirrung zwischen den verschiedenen Wegen und Diplomen verstärken und den Eindruck erwecken könnten, bestehende Titel, die in der Schweiz in vielen Berufsbereichen gut akzeptiert seien, «abzuwerten». Ausserdem würden diese neuen Titel nicht dasselbe Ansehen geniessen wie ein akademischer Bachelor und Master.
«Der deutsche Entscheid setzt jedoch einen Standard, weil Deutschland das grösste und bekannteste Beispiel für ein Land mit einer starken Berufs- und Lehrlingstradition ist», schreibt er in einem E-Mail-Kommentar gegenüber SWI swissinfo.ch. «Wenn sich die deutsche Lösung bewährt, könnte es schwierig werden, eine andere Schweizer Lösung zu etablieren, wenn es um die internationale Anerkennung von Schweizer Berufsbildungs-Abschlüssen geht.»
Aebischers Motion, die letztes Jahr eingereicht wurde, muss im Nationalrat noch debattiert werden. In der Zwischenzeit wird der Bericht des SBFI über die Schweizer Fachhochschulen und ihre Abschlüsse bis Ende 2021 erwartet.
Laut den neuesten verfügbaren ZahlenExterner Link gab es im Studienjahr 2019/20 35’1000 Studierende an Schweizer Fachhochschulen. Die beliebtesten Studiengänge sind: Krankenpflege, gefolgt von «Management und Verwaltung» und «Kinder- und Jugendarbeit».
Die von ODECExterner Link für 2019/20 zusammengestellte Statistik zeigt einige typische Gehälter pro Sektor für Absolventinnen und Absolventen von Höheren Fachschulen (Teilzeitstudium, weniger als 2 Jahre nach Abschluss). Höchster Lohn: Rechtsassistent, 101’800 Franken pro Jahr; niedrigster: Krankenpflege 63’700 Franken.
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