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Schweizer Lösungen für die Speicherung der Energie von morgen

Wasserstoff, die grüne Revolution im Tank

Wasserstoff-Zapfsäule
Die erste Wasserstoff-Tankstelle der Schweiz wurde 2016 eröffnet. © Keystone / Alexandra Wey

Werden wir in Zukunft Wasserstoff tanken? Dank eines einzigartigen Geschäftsmodells will die Schweiz den Weg für eine emissionsfreie Mobilität ebnen. Fossile Brennstoffe sollen durch grünen Wasserstoff ersetzt werden.

«Wasserdampf! Wasserdampf», rief der italienische Komiker Beppe GrilloExterner Link während einer Show, in der er ein in der Schweiz gebautes wasserstoffbetriebenes Auto vorstellte. Aus dem Auspuffrohr kämen keine giftigen Dämpfe, sondern Wasserdampf. «Dies ist die Technologie der Zukunft», sagte Grillo.

Fünfundzwanzig Jahre später hat sich die Prophezeiung des Mitbegründers der 5-Sterne-Bewegung noch nicht erfüllt. Im Schweizer Strassenverkehr können Wasserstofffahrzeuge an den Fingern einer Hand gezählt werden. Eine Situation, die sich bald ändern könnte.

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Deutschland und Frankreich haben Milliarden-Investitionen in die Wasserstofftechnologie angekündigt. Im Juli legte die Europäische Kommission eine StrategieExterner Link vor, um Klimaneutralität auch durch erneuerbaren Wasserstoff zu erreichen.

Auch die Schweiz steht am Ursprung des europäischen Programms. Obwohl sie nicht Teil der EU ist, hatte die Schweiz zusammen mit sechs Mitgliedstaaten eine Roadmap für die Nutzung von WasserstoffExterner Link gefordert.

Der Bund will eine führende Rolle bei der Produktion von grünem Wasserstoff spielen. Dieser gilt als einer der vielversprechendsten alternativen Energieträger zu fossilen Brennstoffen. Die Schweiz ist das erste Land der Welt, das eine neue Form der emissionsfreien Mobilität auf nationaler Ebene eingeführt hat.

«Nicht nur Europa, sondern die ganze Welt blickt auf die Schweiz. Es ist uns gelungen, das Huhn-Ei-Dilemma in Bezug auf Wasserstoff zu lösen», sagt Elektroingenieur Thomas Fürst gegenüber swissinfo.ch.

Grüner Wasserstoff aus dem Wasserkraftwerk

Warum sollte man ein Wasserstofffahrzeug kaufen, wenn man es nicht betanken kann? Und warum in eine Tankstelle investieren, wenn es keine Fahrzeuge zum Tanken gibt? Das ist das Dilemma, das Fürst meint und das die Schweiz dank einer Initiative des Privatsektors überwunden hat: «Zum ersten Mal haben sich alle Partner entschlossen, gemeinsam zu investieren, anstatt abzuwarten und zu beobachten, was andere tun», sagt er.

Fürst ist Geschäftsführer von HydrospiderExterner Link – einer von der Schweizer Elektrizitätsgesellschaft Alpiq und dem Privatunternehmen H2Energy gegründeten Aktiengesellschaft – und für den ersten Schritt in der Kette verantwortlich: die Produktion von grünem Wasserstoff.

Mehr als 90% des weltweit produzierten Wasserstoffs stammt aus fossilen Brennstoffen wie Öl, Erdgas und Kohle. In diesem Fall spricht man von grauem Wasserstoff, weil seine Herstellung mit klimaschädlichen Emissionen verbunden ist.

Blauer Wasserstoff stammt ebenfalls aus Erdgas, aber das dabei entstehende CO2 wird abgeschieden und dauerhaft gespeichert.

Von grünem Wasserstoff spricht man dann, wenn er aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt wird. In dieser Form kann Wasserstoff eine zentrale Rolle bei der Energiewende spielen.

Hydrospider nutzt die vom Wasserkraftwerk Gösgen im Kanton Solothurn erzeugte Elektrizität, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen (Elektrolyse). Dessen 2-Megawatt-Anlage, die grösste in der Schweiz, kann bis zu 300 Tonnen Wasserstoff pro Jahr produzieren. Das ist eine Menge, die etwa 50 Lastwagen oder etwa 1700 Autos antreiben könnte.

Der Wasserstoff in gasförmiger Form wird in einem speziellen Behälter gespeichert. Wenn dieser voll ist, wird er zu den Tankstellen transportiert. «Es ist das gleiche Prinzip wie bei Gasflaschen: Wir liefern die vollen Behälter und holen die leeren ab», sagt Fürst. Der Bau ähnlicher Anlagen wie die fünf Millionen Franken teure Tankstelle in Gösgen werden auch in St. Gallen und Basel geprüft.

Container
Sobald der Wasserstoffbehälter voll ist, wird er zur Tankstelle transportiert. Ein Behälter enthält etwa 350 kg Wasserstoff und reicht aus, um den Tank von zehn Lastwagen zu füllen. Jean-Luc Grossmann, Photopulse

Volltanken mit Wasserstoff

Als zweite Komponente der Wasserstoffmobilität entstehen in verschiedenen Regionen der Schweiz nach und nach Tankstellen. Der ersten öffentlichen Tankstelle, die 2016 im aargauischen Hunzenschwil eröffnet wurde, und der im Juli 2020 eröffneten St. Galler Tankstelle sollen bis Ende des Jahres weitere in den Kantonen Zürich, Bern und Waadt folgen.

Der Ausbau des Tankstellennetzes entlang einer der Hauptverkehrsachsen des Landes «markiert den Beginn einer neuen Ära der Mobilität in der Schweiz», sagt Jörg Ackermann, Präsident von H2 Mobilität SchweizExterner Link. In diesem Verband sind mehrere Ölgesellschaften wie Socar, Avia, Shell und Tamoil zusammengeschlossen.

Bei Kosten zwischen 1 und 1,5 Millionen Franken wäre eine wasserstoffbetriebene Zapfsäule «bereits ab 10 bis 15 Lastwagen rentabel», sagt Fürst von Hydrospider. «Natürlich können auch Autos, Busse oder Gemeindefahrzeuge betankt werden. Der Preis von Wasserstoff an der Zapfsäule ist an den Preis von Diesel gekoppelt. Auf diese Weise wollen wir sicherstellen, dass die Betriebskosten des Wasserstoff-LKW ähnlich hoch sind wie die eines Diesel-LKW.»

Gegenwärtig kostet ein Kilo grüner Wasserstoff zwischen zehn und zwölf Franken und ermöglicht es einem Lastwagen, etwa elf Kilometer zurückzulegen. Laut einer StudieExterner Link wird erwartet, dass sich der Preis in den nächsten zehn Jahren halbieren wird.

Ziel des Vereins H2 Mobilität Schweiz, dessen Mitglieder mehr als 2000 Tankstellen betreiben, ist es, bis 2023 das gesamte Schweizer Territorium abzudecken. «In Zukunft werden [Wasserstofffahrzeuge] an den gleichen Orten betankt werden, die gleiche Lebensdauer haben und eine ähnliche Reichweite [wie Benzinfahrzeuge] von 500 bis 700 km bieten», sagt Martin Osterwalder, Leiter der Geschäftsentwicklung bei Avia.

Weltweit erste wasserstoffbetriebene LKW-Flotte

Der in der Schweiz produzierte grüne Treibstoff soll zunächst für den Antrieb von Lastwagen verwendet werden. Im Rahmen eines Abkommens mit H2 Mobilität Schweiz soll der südkoreanische Hersteller Hyundai die Schweiz bis 2025 mit 1600 wasserstoffbetriebenen Lastwagen beliefern.

Die Fahrzeuge sind mit Brennstoffzellen ausgestattet, die durch die Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff Strom (und Wasser) erzeugen. Sobald die weltweit erste Flotte kommerzieller wasserstoffbetriebener Lastwagen einsatzbereit ist, soll sie die Freisetzung von rund 100’000 Tonnen CO2 pro Jahr in die Atmosphäre einsparen.

Lastwagen
Hyundai wird die Schweiz mit 1600 wasserstoffbetriebenen Lastwagen beliefern. Das Modell H2 Xcient (35-Tönner) hat eine Speicherkapazität von 35 kg Wasserstoff und eine Reichweite von über 400 km. Hyundai

Für Hyundai ist die Schweiz das ideale Testgelände für Lastwagen unter realen Bedingungen mit Blick auf eine Expansion nach Europa und in die USA: Die Eidgenossenschaft hat eine relativ hohe LKW-Gebühr (leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe LSVA, bis zu 80 Franken pro 100 km Fahrstrecke). Sie ermöglicht einen schnelleren Übergang zu einer nachhaltigeren Mobilität.

«Wasserstoff-LKW kosten mehr als Diesel-LKW. Da es sich aber um elektrisch betriebene Fahrzeuge handelt, sind sie von der LSVA befreit. Der Preis für die Nutzung der beiden Modelle ist daher ähnlich», hält Fürst fest. Die Lastwagen von Hyundai sollen an Logistik- und Transportunternehmen sowie an grosse Einzelhändler im Land vermietet werden. Auf diese Weise seien keine grösseren Anfangsinvestitionen erforderlich, sagt er.

Keine Klimaneutralität ohne Wasserstoff

«Ohne Wasserstoff sehe ich nicht, wie die Schweiz das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 erreichen kann», sagt Christian Bach. Er ist Laborleiter der Gruppe Antriebskonzepte an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). In der Schweiz verursacht der Transportsektor die meisten Emissionen.

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Der Einsatz von Wasserstoff befinde sich aber noch auf der Ebene von Pilotprojekten und Prototypen, erklärte Bach im Interview mit der Verlagsgruppe TamediaExterner Link: «Um auf eine nächste Stufe zu kommen, braucht es klarere Marktsignale. Vereinzelt sind solche Signale bereits zu sehen.»

Wasserstoff habe eine höhere Energiedichte als Batterien in Elektrofahrzeugen, sagt Fachjournalist Remo Bürgi. Brennstoffzellenfahrzeuge könnten daher längere Strecken zurücklegen, ohne schwerer zu sein als Elektrofahrzeuge.

«Wasserstoff kann auch langfristig gespeichert werden, was ein klarer Vorteil gegenüber Elektrizität ist», schreibt er. Damit Wasserstofffahrzeuge konkurrenzfähig werden, müssten die Preise jedoch erheblich sinken, betont er.

Wasserstoff könnte bei der Entwicklung erneuerbarer Energien helfen. Die überschüssige Elektrizität, die von Solarkraftwerken oder Windparks produziert wird, kann durch Elektrolyse in Wasserstoff gespeichert werden.

Dank BrennstoffzellenExterner Link, die chemische Energie in Elektrizität umwandeln, kann Wasserstoff später zur Erzeugung von Strom für Mobilität oder zum Heizen verwendet werden.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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