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Schweiz-USA: Partnerschaft für Neurowissenschaft

Bundesrat Didier Burkhalter (rechts) und EPFL-Präsident Patrick Aebischer auf dem Weg zur Harvard Medical School in Boston. Keystone

Die ETH Lausanne und die renommierte amerikanische Harvard Medical School haben ein Abkommen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Hirnforschung unterzeichnet. Das Programm wird finanziell unterstützt von der Bertarelli-Stiftung.

Durch die Zusammenarbeit der beiden Forschungs-Institutionen mit ihren jeweiligen Stärken sollen neue Wege gefunden werden, die Lebensqualität von Menschen zu verbessern, die an neurologischen Krankheiten leiden. Dies gaben die Verantwortlichen am Freitag bei der Unterzeichnung der Vereinbarung in der altehrwürdigen Gordon Hall der HMS bekannt.

Ziel ist es, Brücken zu schlagen zwischen der angewandten Forschung der Eidg. Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) auf dem Gebiet des Neuro-Engineering, der Erforschung des Gehirns mit Methoden der Ingenieurskunst und der klinischen Forschung der Harvard Medical School (HMS) – in Englisch wird der Ansatz als «Translational Medical Science» bezeichnet. Das Programm soll zu einem Austausch von Studierenden, Forschenden und Professoren zwischen den beiden Institutionen führen – und sich in beide Richtungen bewegen.

Ein Bertarelli-Lehrstuhl in Harvard

Die Bertarelli-Stiftung unterstützt das neue Programm mit einer Spende von 9 Millionen Dollar. Vier Millionen entfallen auf die Finanzierung eines Lehrstuhls – Bertarelli Professorship in Translational Medical Science – an der HMS. Der erste Mann auf dem neuen Lehrstuhl wird William Chin, derzeit Exekutiv-Vorsteher Forschung an der HMS.

Auch an der EPFL finanziert die Stiftung Bertarelli mit 10 Millionen Franken zwei Lehrstühle, am Forschungszentrum für Neuroprothesen, dem bei der nun vereinbarten Zusammenarbeit eine bedeutende Rolle zukommt. Neuroprothesen sind winzige Implantate, die zwischen dem Gehirn und einem Teil des Körpers, der beeinträchtigt ist, als Nahtstelle funktionieren.

Bei der Unterzeichnung des Abkommens erklärte William Chin, dass sich das neue Programm zu Beginn mit dem Bereich Hören befassen werde. Ziel sei es, viel effizientere Hörgeräte entwickeln zu können, als das, was man heute kenne. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte sich das Programm dann auch mit anderen sensorischen Fragen befassen.

Keine Verpflichtungen gegenüber Geldgebern

Die Namen der ersten Professoren, die für die von der Bertarelli-Stiftung finanzierten Lehrstühle berufen werden, dürften bis im Dezember bekannt gegeben werden, wie EPFL-Präsident Patrick Aebischer am Freitag am Rande der Unterzeichnung des neuen Abkommens erklärte.

Auf die Frage von swissinfo.ch, was er Kritikern entgegne, die solchen Finanzierungen von Forschungsinstitutionen durch Private mit Skepsis begegneten, weil sie befürchten, die akademische Unabhängigkeit könnte darunter leiden, erklärte Aebischer: «Die Gelder für die beiden Lehrstühle in Lausanne und das heute unterzeichnete Programm sind ein Geschenk, sie sind an keine Verpflichtungen gebunden. Was soll daran falsch sein?»

Von der neuen Partnerschaft mit der HMS ist Aebischer begeistert. «Es ist fantastisch: Die Schweiz, damit die EPFL, sind bekannt für ihre Kompetenz in der Mikrotechnik, klein, komplex und zuverlässig – wie auch schon das Beispiel der Uhren zeigt. Und die HMS verfügt über beste Fachleute in der Neurobiologie und kann dank ihrem Zugriff auf ein grosses Spitalnetz die nötigen klinischen Tests durchführen.» Ganz wichtig seien aber auch die Menschen, die an dem Programm beteiligt seien.

Lob von Bundesrat Burkhalter

Die Unterzeichnung des Abkommens erfolgte im Beisein von Bundesrat Didier Burkhalter, der aus Anlass des 10-Jahre-Jubiläums von swissnex, dem «Wissenschaftskonsulat» der Schweiz, nach Boston gereist war und zahlreiche Gespräche geführt hatte, unter anderem mit Vertretern der Universität Harvard und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und mit jungen Schweizer Forschenden.

Das Abkommen über die Hirnforschung sei «historisch», sagte der Schweizer Innenminister. Er bezeichnete den Vertrag als «solide transatlantische Brücke im Bereich der Neurowissenschaften, eine Brücke zwischen zwei Instituten und indirekt zwischen zwei Ländern».

Burkhalter unterstrich die Bedeutung der Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Institutionen in der Forschung, das sei heute unverzichtbar.

Kein Land, keine Universität könne die grossen Herausforderungen unserer Zeit, die sich etwa in den Bereichen Energie, Umwelt oder Gesundheit stellten, alleine angehen. «Es ist wichtig, den Dialog zwischen den Ländern und unter den Menschen zu fördern.»

«Diplomatie durch Wissenschaft»

Die Forschung sei wahrscheinlich das einzige Gebiet, in dem das kleine Land Schweiz wirklich zur Weltspitze gehören könne. Das dürfe man mit einem gewissen Stolz sagen, es dürfe aber keinenfalls in Arroganz münden, erklärte Burkhalter gegenüber swissinfo.ch zum Abschluss seines Besuchs in Boston.

Deshalb sei es auch wichtig, dass die Schweiz mit ihrem Konzept der «Diplomatie durch Wissenschaft» bestehende Beziehungen weiter vertiefe und neue Partnerschaften aufbaue. Was er in den beiden Tagen in Boston gesehen und gehört habe, sei sehr inspirierend gewesen.

Ernesto Bertarelli erläuterte bei der Unterzeichnung seine Motivation, die EPFL und die HMS zu unterstützen: Seit er in Harvard studiert habe, habe er den Kontakt mit der Schule aufrecht erhalten. Und auch seine Bande mit der EPFL seien eng. «Ich kenne beide Regionen, beide Kulturen und dachte, es wäre interessant, die jeweiligen Stärken der beiden Seiten für gemeinsame Projekte zusammen zu bringen.» Und es zeige, dass Europa und die USA zusammenarbeiten könnten, um die Wissenschaft voranzubringen.

Das Schweizer Wissenschafts-Konsulat swissnex Boston feierte diese Woche sein 10-Jahre-Jubiläum. Bundesrat Didier Burkhalter hat sich bei seiner ersten Reise in die USA einen Einblick in die Aktivitäten verschafft und unter anderem die Harvard-Universität und das Massachusetts Institute of Technology (MIT) besucht.

Neben Gesprächen mit hochrangigen Vertretern der beiden Forschungs-Institutionen hatte der für Bildung und Forschung zuständige Burkhalter auch die Gelegenheit zu Treffen mit drei jungen Akademikern aus der Schweiz, die derzeit am MIT forschen.

Mit dem Netzwerk swissnex, einem Instrument der eidgenössischen Politik, geht die Schweiz bei Forschung, Bildung, Innovation und Kunst seit einigen Jahren einen neuen Weg und markiert durch «wissenschaftliche Diplomatie» grössere Präsenz in Forschungs- und Innovations-Schwerpunkten wie den USA, China, Singapur und bald auch in Indien.

Ziel von swissnex ist es, den globalen Austausch von Wissen und Kompetenz zwischen der Schweiz und dem Ausland zu fördern. swissnex soll dazu beitragen, den Bekanntheitsgrad des Denk- und Werkplatzes Schweiz global zu steigern und den Austausch mit dem Ausland in beide Richtungen zu fördern.

Neben den USA (Boston und San Francisco) gibt es swissnex-Häuser noch in Peking, Singapur und ab nächstem Jahr in Bangalore (Indien).

Unterstellt sind die Häuser dem Staatssekretariat für Bildung und Forschung (SBF) und dem Schweizer Aussenministerium. Der Bund kommt für etwa einen Drittel der Kosten auf. Der Rest stammt aus anderen, teils privaten Quellen.

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