Schweizer Archäologie: Im Boden liegt viel Stadtgeschichte
Stadtgeschichte in Schichten: In grösseren Schweizer Städten prüfen Archäologen jedes neue Bauvorhaben. Stösst jemand auf historische Überreste, rücken Wissenschaftler aus. Allein in Basel haben diese schon über 3000 Grabungen vorgenommen. Über Schweizer Städte und ihren doppelten Boden – am Beispiel Basel.
Guido Lassaus hat einen reizvollen Arbeitsplatz. In Basel leitet der 57-Jährige die kantonale Fachstelle für Archäologische Bodenforschung. «Es gibt zwar auch andere archäologische Paradiese, aber in Basel zu arbeiten, ist schon sehr spannend», findet der seit 2002 in der Nordschweiz tätige Archäologe. Er betont: «Die Altstadt Basel figuriert unter den Fundstellen von nationaler Bedeutung.»
Zur Illustration: Was in anderen Kommunen Sensationen und Bauverzögerungen auslöst, ist in Basel nichts Besonderes. Als beispielsweise im süddeutschen Rottenburg zu Beginn der 1990er Jahre ein Parkhaus errichtet werden sollte, stiessen die Bauarbeiter auf antike Erbstücke. Und hoben die grösste erhaltene römische Toilettenanlage Süddeutschlands aus. Pragmatismus wurde damals das Gebot der Stunde. Kurzerhand eröffnete die Stadt ein Museum unter dem neuen Parkhaus – bis heute das beliebteste Touristenziel des Städtchens.
Gut dokumentierter Untergrund
In Basel gibt es solche Zufallsfunde so gut wie nie. «Mittlerweile haben wir über 3000 Einzelfundstellen», sagt Lassau und erläutert: «Zu Verzögerung bei Bauprojekten kommt es aber nur selten.» Das hat in erster Linie mit der guten Aktenlage zu tun. Denn als die Basler im 19. Jahrhundert ihre Stadt neu gestalteten, erstellten sie detaillierte Abschriften alter Pläne. Hinzu kommt, dass die historischen Quellen zum mittelalterlichen Bischofssitz dicht sind.
Auf dieser Grundlage hat Basel früh eine breite Datenbank angelegt. «Seit 1962 forscht die Archäologische Bodenforschung», erklärt Lassau und sagt: «Wir können relativ genaue Aussagen darüber abgeben, wo es bei Bauvorhaben zu Konflikten mit potentiellen archäologischen Fundstellen kommen könnte.»
Claudius Sieber-Lehmann ist Privatdozent für die Geschichte des Mittelalters an der Universität Basel. Er weiss, wie wichtig die archäologische Bodenforschung ist: «Sie hilft uns Historikern, wenn es um sonstige Quellen schlecht bestellt ist. Durch genetische Untersuchungen und technische Innovationen sind ganz neue Erkenntnisse möglich.»
Spuren der Epidemie von 1814
So konnten Ausgrabungen an der ehemaligen Kaserne der Stadt und anschliessende Untersuchungen an den ausgehobenen Skeletten 2019 einen Fall mit aktuellem Bezug bestätigen: Als die Grande Armée Napoleons auf ihrem Heimweg im Frühjahr 1814 in der Rheinstatt kampierte, brachte sie das Fleckfieber mit. Über 30’000 Soldaten wurden damals in Basel einquartiert, mehrere Tausend erlagen dem Fieber. Die Epidemie sprang auf die Stadtbewohner über und raffte fünf Prozent der Bevölkerung dahin.
Durch solche Erkenntnisse können Historiker ein relativ lückenloses Bild der Stadtgeschichte nachzeichnen. Erste Siedlungen am Rheinufer gehen auf die Kelten im zweiten Jahrhundert v. Chr. zurück. Wenig später gründeten die Römer auf dem heutigen Stadtgebiet eine Kolonie. Der Name Basilia taucht erstmals im Zusammenhang mit einem Aufenthalt Kaiser Valentinians am Rheinknie 374 n. Chr. auf.
Als Basel die grösste Schweizer Stadt war
Im achten Jahrhundert wurde Basel zum Bischofssitz, gleichzeitig entstand das erste Münster, bald darauf die ersten Stadtmauern. «Das waren die Grundlagen dafür, dass Basel für mehrere Jahrhunderte die grösste Stadt der Schweiz war», sagt Historiker Sieber-Lehmann. 1460 öffnete die erste Universität der Schweiz hier ihre Türen. Als Umschlagplatz des Handels und später als Zentrum des Druckwesens stieg Basels Bedeutung. 1501 schloss sich die Stadt der Eidgenossenschaft an.
«In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebt dann auch Basel den klassischen Take-Off der Industrialisierung», berichtet Sieber-Lehmann. Innerhalb kürzester Zeit verdoppelten sich die Einwohnerzahlen. Wenig später lassen sich im 20. Jahrhundert dann Pharmaindustrie und Finanzbranche in der Nordschweiz nieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg begünstigen diese beiden Zweige den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt.
Wo Bevölkerung und Wirtschaft boomen, wird stets gebaut. Und das wiederum ruft in der Rheinstadt immer wieder Guido Lassau und sein Team auf den Plan. Mit jedem Bauvorhaben und jeder neuen Ausgrabung nimmt somit das Wissen über die Stadtgeschichte zu. Gewissermassen ein ewiger Kreislauf, der die Sedimente des doppelten Bodens der Stadt Stück für Stück aufdeckt.
Stück für Stück mehr Wissen
Im Vorort Riehen haben sie erst im April wieder begonnen, ein Areal von 10’000 Quadratmetern zu untersuchen. Funde bis zurück in die Bronzezeit sind dabei. «Archäologisch gehört Basel deshalb zu den am besten erforschtesten Städten der Schweiz», sagt der Chef der Bodenforschung nicht ohne Stolz. Wie gesagt, langweilig wird es an Guido Lassaus Arbeitsplatz so schnell nicht.
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