«Unsere Daten machen die Klimamodelle genauer»
Nach zwölf Wochen auf einer der grössten Polarexpeditionen der Geschichte ist Martin Schneebeli Anfang April nach Davos zurückgekehrt. Im Gepäck hat der Schneeforscher des WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung spannende Daten. Sie sollen helfen, den Klimawandel besser zu prognostizieren.
Am 20. September 2019 nahm das deutsche Forschungsschiff «Polarstern» mit einer internationalen Gruppe von Forscherinnen und Forschern vom norwegischen Tromsø aus Kurs auf die Arktis.
Dort liess es sich im November an einer Scholle festfrieren und erhebt nun über den Zeitraum von einem Jahr Daten für ein besseres Verständnis des Klimawandels.
Der Schweizer Martin Schneebeli war von Mitte Dezember bis Ende Februar Teil der weltweit beachteten Expedition. SWI swissinfo.ch sprach mit ihm nach seiner Rückkehr.
swissinfo.ch: Als sie Ende November von Norwegen aus zur «Polarstern» aufbrachen, war das Coronavirus noch kein Thema. Als sie zurückkamen, gab es kein anderes mehr. War das ein Schock?
Martin Schneebeli: Eigentlich nicht, es gab auf dem Schiff jeden Tag eine vierseitige Zeitung mit den neusten Nachrichten. Ich konnte emailen und Whatsapp benutzen und wusste also, wie die Lage zuhause in der Schweiz war.
Aber unsere Rückkehr war sehr speziell. Ursprünglich war geplant, vom norwegischen Tromsø direkt zurück in die Schweiz fliegen. Das ging wegen des Virus Ende März dann nicht mehr. Stattdessen wurde die ganze Forschergruppe mit einer Chartermaschine nach Bremen gebracht. Mein Kollege und ich haben uns dort uns ein Auto gemietet und sind über menschenleere Autobahnen in die Schweiz gefahren.
Das fühlte sich schon seltsam an. Aber wir hatten ja noch Glück. Die Wissenschaftler, die Mitte Mai an Bord gehen werden, müssen vorher in Quarantäne, um jedes Risiko auszuschliessen, dass das Virus auf das Schiff eingeschleppt wird.
MOSAIC ExpeditionExterner Link: Seit vergangenem September fahren rund 70 Wissenschaftler aus 17 Nationen in Schichten für mindestens zwei Monate an Bord der «Polarstern» mit.
Die Teams untersuchen die Beschaffenheit des Schnees und Eises, des Wassers, der Biologie und der Atmosphäre und führen diese Daten zusammen.
Dann werden sie abgelöst und mit einem Versorgerschiff, das die «Polarstern» auch mit neuen Vorräten und Treibstoff beliefert, zum Festland zurück gebracht. Inklusive der An- und Abreise sind die Forscherinnen und Forscher je nach Wetterverhältnissen bis zu vier Monate im Eis unterwegs.
Das aus Martin Schneebeli und Matthias Jaggi bestehende Team des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung wurde Anfang März nach einer einwöchigen Übergangsphase von einer Kollegin abgelöst. Deren Ablösung verzögert sich derzeit wegen der mittlerweile strikten norwegischen Quarantänevorschriften.
swissinfo.ch: Sie sind Schneeforscher. Was macht den arktischen Schnee so interessant?
M.S.: Die Arktis verändert sich rasant unter der globalen Erwärmung. Was dort passiert, beeinflusst zugleich das globale Klima. Der Schnee gilt als ein Seismograph der Veränderung, er bildet eine Isolationsschicht zwischen der Luft und dem Eis.
Unser Institut analysiert in mehreren Teams über die Wintermonate hinweg, wie sich die Beschaffenheit des Schnees auf dem Polareis entwickelt. Die Daten fliessen in genauere Klimamodelle ein.
swissinfo.ch: Wie haben Sie den Schnee genau untersucht?
M.S.: Da gibt es unterschiedliche Methoden: Anhand von Fotos der Schneeoberfläche lässt sich deren Struktur bestimmen. Um den Aufbau der Schneeschichten zu analysieren, haben wir Gräben gegraben und das freigelegte Schneeprofil unter Infrarotlicht fotografiert.
Besonders spannend war die Arbeit mit einem Computertomograf, den unser Team an Bord gebracht hat. Mit dem können wir Schneeproben, die wir mit einem Hohlbohrer entnommen haben, später dreidimensional durchleuchten. An Silvester bin ich dabei in den unteren Zentimetern des Schnees über dem Eis auf Salzeinschlüsse gestossen.
Wir werden nun im Laufe der Expedition an derselben Stelle weiter Proben entnehmen um zu verfolgen, wie diese dort hinkommen. Zusätzlich haben wir auch noch die Dichte des Schnees gemessen und Proben für chemische Analysen genommen. Aus all dem setzt sich ein komplexes Bild zusammen.
swissinfo.ch: Was macht denn den Schnee in der Arktis so besonders?
M.S.: Die Schneedecke auf dem Meereis ähnelt eigentlich jener auf der Tundra. Mit einem wesentlichen Unterschied: In der Arktis bewegt sie sich mit der driftenden Eisscholle und ist damit unterschiedlichen Windrichtungen ausgesetzt. Es ist interessant, wie dynamisch dadurch die Schneedecke dort ist, wie der Wind sie wegträgt und sie sich dadurch verändert.
Dadurch ergibt sich eine grosse räumliche Variabilität, das heisst, der Aufbau der Schneeschicht unterscheidet sich an den verschiedenen Messpunkten stark. Vorher gab es noch nie die Chance, diese Veränderungen und den Schichtaufbau des Schnees über einen so langen Zeitraum am immer selben Ort zu untersuchen.
swissinfo.ch: Während der zwölf Wochen, die sie in der Arktis geforscht haben, herrschte ewige Dunkelheit und zeitweilig eine Temperatur von gefühlt bis zu minus 60 Grad. Wie kann man unter diesen Bedingungen eigentlich im Freien forschen?
M.S.: Das ist in der Tat nicht ganz einfach. Mit starken Scheinwerfern und Stirnlampen sieht man immer nur Ausschnitte der Landschaft. Um die “Polarstern“ herum ist auf einer riesigen Scholle eine Art Forschungs-Camp aufgebaut mit einer Infrastruktur aus Strom- und Datenkabeln und Wegen. Da konnte man sich ganz gut zurechtfinden.
Wir haben an acht festen Punkten regelmässig gemessen. Die waren gut markiert und auch im Dunkeln leicht wiederzufinden. Zu unserem Schutz vor Eisbären waren wir immer mindestens zu zweit unterwegs, einer trug eine halbgeladene Waffe bei sich.
swissinfo.ch: Wie sah Ihr Arbeitsalltag aus?
M.S.: Eigentlich immer gleich: Ich bin um halb sieben aufgestanden und habe erstmal mit dem Computertomograf die Proben vom Vortag untersucht. Nach dem Frühstück und einem Morgen-Briefing über das Wetter sind wir jeden Vormittag und Nachmittag für mehrere Stunden mit zwei Raupenschlitten bepackt mit unseren Instrumenten runter aufs Eis und haben unsere Messstellen angefahren. Es hat allein 30 Minuten gedauert, um drei bis vier Schichten Kleidung anzuziehen.
Mittags gab es eine Pause auf dem Schiff, zum Essen und Aufwärmen, aber auch, weil die Eisbärenwächter sie brauchten. Sie stehen fast reglos mit Suchscheinwerfern in der Kälte und halten Ausschau nach den Tieren, um Alarm zu schlagen, wenn sich eins nähert. Das hält man bei der Kälte nicht ewig durch. Abends haben wir unsere Instrumente getrocknet, Daten eingegeben und den Schlitten für den nächsten Tag gepackt, gegessen und geschlafen.
swissinfo.ch: Das klingt nicht, als hätten Sie viel Freizeit gehabt.
M.S.: Weihnachten hatten wir einen halben Tag frei (lacht). An dem Abend gab es ein schönes Nachtessen und die verschiedenen Forscherteams haben Geschenke ausgetauscht.
Ich habe viel gearbeitet, auf so einer Expedition nutzt man die Zeit so gut es geht und es gibt immer etwas zu tun. Offiziell gilt an Bord die 6,5 Tage Woche. Abends gab es häufig Präsentationen der anderen Forscherteams und einen informellen Austausch. Das war schon sehr spannend.
swissinfo.ch: Auf was haben Sie sich an Bord am meisten gefreut?
M.S.: Neben meiner Familie vor allem auf die Berge und auch die Sonne nach so langer Finsternis. Eigentlich hat mir die ewige Dunkelheit nicht soviel ausgemacht, wie ich vermutet hatte. Aber gerade geniesse ich die Sonne wirklich sehr.
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