Schweizer «Hauswart-Satellit» soll das All säubern
Schweizer Forscher wollen bis 2016 einen Mini-Satelliten bauen, der einen Teil des Mülls, der über unseren Köpfen kreist, entsorgen soll. "CleanSpace One" soll laut der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) 10 Millionen Franken kosten.
«Es ist an der Zeit, dass endlich etwas gegen die grosse Anzahl von Trümmern gemacht wird, die im All herumkreist», sagte der Schweizer Astronaut und EPFL-Professor Claude Nicollier am Mittwoch in Lausanne.
Nach zwei Jahren Forschung wollen die Forschenden nun einen ersten Prototypen bauen, der später einmal zu einer ganze Familie von Reinigungssatelliten heranwachsen könnte.
Die erste Mission des kleinen Müllroboters wird das Aufspüren und Vernichten eines von zwei Schweizer Satelliten sein – des Swiss Cube oder des TIsat, die 2009 und 2010 ins All geschossen worden sind.
Andere Organisationen wie etwa die deutsche, die russische oder die europäische Weltraumbehörde sowie die NASA sind ebenfalls daran, das internationale Müllproblem anzugehen, doch die Schweizer hoffen, die ersten zu sein, deren System operativ wird.
Technische Herausforderungen
Doch für die Schweizer Forscher liegen noch einige Steine im Weg. Das erste Problem: Der Antrieb. Einmal im All, muss der 30x10x10cm kleine «Hauswart» seinen Kurs anpassen, um sich genau auf die Umlaufbahn des zu entsorgenden Teils ausrichten zu können. Dafür hat die EPFL einen ultrakompakten Motor entwickelt.
Einmal in der Nähe des Zielobjekts – zwischen 600 und 700 km über der Erde unterwegs mit einer Geschwindigkeit von 28’000 km/h – wird «CleanSpace One» dieses ergreifen und stabilisieren müssen.
Dabei haben sich die Wissenschafter von der Tier- und Pflanzenwelt inspirieren lassen. Geplant ist eine Art tentakelartiger Greifmechanismus, der das rotierende Objekt einfangen soll.
«Die Natur ist sehr energieeffizient», sagte Muriel Richard, stellvertretende Direktorin des Swiss Space Center an der EPFL. «Denken Sie an Quallen oder Anemonen, die Objekte in allen möglichen Formen ergreifen können, die an ihnen vorbeiziehen. Wir werden sie als Beispiele nutzen.»
Einmal eingefangen, wird die letzte Aufgabe des «Hauswarts» schliesslich sein, zusammen mit dem überflüssig gewordenen Satelliten oder Schrottteil in den Tod zu stürzen. Dazu muss er seinen Motor erneut zünden und Richtung Erde steuern. Den Rest erledigt die Physik: Beim Eintritt in die Atmosphäre verglühen «Hauswart» und Weltraumschrott.
Keine Eintagsfliege
Die gesamte Prozedur vom Start mit einer Rakete bis zum Höllenritt zurück in die Erdatmosphäre soll sechs Monate dauern.
Doch auch wenn der Prototyp auf seiner ersten Mission zerstört wird, soll das Projekt dennoch keine einmalige Sache sein.
«Wir wollen eine ganze Familie von gebrauchsfertigen Systemen anbieten, die so nachhaltig wie möglich konstruiert werden. Sie sollen in der Lage sein, verschiedene Arten von Satelliten zu entsorgen», erklärte Volker Gass, Direktor des Swiss Space Center.
«Weltraumbehörden sind sich immer mehr bewusst, dass das Problem des heute nutzlos herumfliegenden Materials, das sie einmal hinaufgeschickt haben, angepackt werden muss. Wir wollen in diesem Bereich Pioniere sein.»
Am Wendepunkt
Die internationale Weltraumgemeinschaft ist sich einig, dass das Problem mit dem Weltraumschrott eine kritische Grösse erreicht hat.
Seit 1957 der Satellit Sputnik die Erde umkreiste, wurden mit 4700 Raketen etwa 6000 Satelliten in die Umlaufbahn geschossen. Doch lediglich 800 davon sind noch funktionstüchtig, 200 sind explodiert, 100 neue werden jedes Jahr hochtransportiert.
«Wenn man im All ist, ist man zuallererst fasziniert von seiner Schönheit und Makellosigkeit. Doch der erste Eindruck trügt», sagt Astronaut Nicollier, der viermal im All war.
Tatsächlich sind es um die 600’000 Objekte, die sich in der Umlaufbahn tummeln, die meisten in einer Höhe zwischen 300 und 900 km. Dazu gehören abgesprengte Raketenstufen, nutzlos gewordene Satelliten, Solarzellen, Werkzeuge, Farbsplitter und Festbrennstoff.
«Der meiste Müll stammt von Satelliten, die nicht mehr genutzt werden – typischerweise haben sie keine Energie mehr, weil ihre Solarpanels kaputt oder die Batterien am Ende sind. Wenn sie zusammenstossen, entsteht eine Menge Weltraumschrott», erklärt Nicollier.
Weltraumforscher sind sich einig, dass das grösste Risiko nicht für die Menschen auf der Erdoberfläche besteht, da die meisten Teile verglühen, wenn sie Richtung Erde stürzen. Gefährdet hingegen sind Weltraum-Missionen und aktive Satelliten.
Alle ausser 16’000 grösseren Objekten in dieser um die Erde kreisenden Müllhalde sind kleiner als ein Tennisball. Doch mit Geschwindigkeiten von bis zu 35’000 km/h werden Kollisionen mit Raumschiffen oder Satelliten – auch wenn es winzige Teilchen sind – zu einem dramatischen Ereignis, das hohe Kosten für Betreiber und Versicherungen verursachen kann.
«Diese riesige Masse an unkontrollierbarem Schrott wächst exponentiell», sagte Anton Ivanov, Forscher an de EPFL. «Wenn wir jetzt nicht etwas unternehmen, werden wir nicht mehr in der Lage sein, Satelliten für Meteorologie, GPS oder Telekommunikation hochzubringen.»
2006 hat die NASA, welche die grösseren Schrottteile beobachtet, in einer Studie gezeigt, dass bald ein kritischer Punkt erreicht sein wird. Man ist sich einig, dass ab 2020 pro Jahr 5 bis 15 der grossen Müllteile entsorgt werden müssen, um zu verhindern, dass die Situation ausser Kontrolle gerät.
Das Netzwerk der US-Weltraum-Behörde hat rund 16’000 Abfall-Objekte im Auge, die grösser als zehn Zentimeter sind. Aber der grösste Teil des Abfalls entzieht sich der Beobachtung.
Laut der Europäischen Weltraumagentur ESA befinden sich mehr als 600’000 Objekte mit mehr als einem Zentimeter Durchmesser auf einer Umlaufbahn um die Erde.
Informationen über Weltraumschrott werden von amerikanischen, russischen und europäischen Radar- sowie optischen Systemen aufgezeichnet. Sie dienen dazu, Modelle über die Abfall-Umgebung zu entwickeln.
In Zusammenarbeit mit der ESA hat das Astronomische Institut der Universität Bern seit zehn Jahren Weltraumschrott aufgespürt und Gutachten darüber erstellt.
Das 5-köpfige Berner Team benutzt optische Teleskope, die in Teneriffa und in Zimmerwald bei Bern aufgestellt sind, um jenen Abfall zu suchen und aufzuzeichnen, der in einer Höhe von 20’000 bis 36’000 km die Erde umkreist.
Die Schweiz gehört zu den Gründerstaaten der Europäischen Weltraum-Behörde (European Space Agency ESA).
Die Schweizer Weltraum-Industrie umfasst 28 Forschungsinstitute und 54 Unternehmen.
Diese sind meistens spezialisiert auf Bodenausrüstung, optische Apparaturen, Telekom-Systeme, Uhren, Roboter, Mikrogravitations-Forschung und Wetter-Überwachung.
Der Schweizer Claude Nicollier, Astrophysiker, Testpilot und Astronaut, wurde als erster ausländischer Spezialist mit einer NASA-Mission beauftragt. Er erledigte vier Aufträge an Bord der Raumfähre Space Shuttle.
Seinen ersten Raumfähren-Auftrag flog er mit der Atlantis.
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub und Alexander Künzle)
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