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Schweizer Professoren überschreiten die Grenzen

Deutsche Universitäten ziehen hunderte Schweizer Professoren an. imagepoint

Deutsche Professoren in der Schweiz waren kürzlich Thema heisser Diskussionen. Kaum bekannt ist, dass fast gleich viele Schweizer Professoren an deutschen Unis arbeiten. swissinfo.ch hat mit einigen über die Gründe für den Wechsel nach Deutschland gesprochen.

Gemäss Statistischem Bundesamt Deutschland waren im Jahr 2008 insgesamt 772 Schweizer Professoren an deutschen Hochschulen tätig. Die meisten von ihnen forschen und lehren im Bereich der Mathematik und Naturwissenschaften (198), den Sprach- und Kulturwissenschaften (161) sowie in der Kunst und den Kunstwissenschaften (116).

Mehr als doppelt so viele Professoren, nämlich 1628 sind aus Österreich nach Deutschland gekommen. Die Österreicher stellen damit die grösste Gruppe ausländischer Professoren in Deutschland dar.


Rein zahlenmässig sind mehr Schweizer Professoren in Deutschland tätig als deutsche in der Schweiz. Nach Angaben des Schweizer Bundesamtes für Statistik hatten im Jahr 2009 insgesamt 719 Deutsche einen Lehrstuhl an einer Schweizer Hochschule inne.

(Keine) Wahlmöglichkeit

Ein Grund für die Entscheidung, eine Professur in Deutschland anzutreten, kann eine  Spezialisierung auf ein Fach sein, für das es in der Schweiz nur wenige Lehrstühle gibt. Das war zum Beispiel im Fall von Othmar Marti so, der eine Professur am Institut für Experimentalphysik der Uni Ulm inne hat.

Im Jahr 1990 ist Professor Marti seinem damaligen Chef aus der Schweiz nach Deutschland gefolgt, der einen Ruf an die Uni Konstanz erhalten hatte. «Meine Spezialität ist die Rastersonden-Mikroskopie. Als ich mich 1993 um eine Professur bewerben wollte, war der Markt in der Schweiz in diesem Bereich gesättigt», sagt er.

In anderen Bereichen gibt es im gesamten deutschsprachigen Raum nur sehr wenige Professuren. «In meinem Fachgebiet, der Englischen Mediävistik, gibt es nur eine Handvoll Stellen.

Da kann man nicht wählen, sondern muss sich bewerben, sobald sich eine Möglichkeit ergibt», sagt zum Beispiel Professor Thomas Honegger, der Lehrbeauftragter an der Uni Zürich war, bevor er in Jena zum Professor berufen wurde.

Forschungs- und Kooperationsmöglichkeiten

Vor allem die vielfältige deutsche Forschungslandschaft spielt bei der Entscheidung für eine Professur in Deutschland häufig eine Rolle.

Forschungsgesellschaften wie zum Beispiel die Max-Planck-Gesellschaft oder die Helmholtz-Gesellschaft bieten gute Kooperations- und Vernetzungsmöglichkeiten und stellen wichtige Fördergelder zur Verfügung.

«In der Schweiz gibt es fast keine ausseruniversitären Institutionen», sagt Dominik Perler. Er ist Professor für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin, an der ausser ihm noch sechs weitere Schweizer einen Lehrstuhl inne haben.

«Gerade in bestimmten Spezialbereichen fehlen in der Schweiz Einrichtungen, die zum Beispiel mit dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte vergleichbar wären», sagt Perler. 

Ein weiteres Beispiel dafür ist das Karlsruhe Institute of Technology (KIT), an dem vier Schweizer Professoren tätig sind.

«Das KIT ist eine renommierte Forschungsanstalt und die erste technische Hochschule Deutschlands. Ich geniesse hier die vielfältigen Freiheiten, auf verschiedensten Gebieten zu forschen und auf noch mehr Gebieten zu lehren», begründet Professor Jürg Leuthold, der an der ETH Zürich promovierte und seit 2004 am KIT das Institut für Phototonik und Quantenelektronik leitet, seinen Wechsel nach Süddeutschland.

Berlin als attraktiver Wissenschaftsstandort

«Man sollte nicht Länder miteinander vergleichen, sondern Standorte in Deutschland und der Schweiz und zwar von Fach zu Fach», sagt Professor Perler.

Für Perler ist Berlin als Wissenschaftsstandort besonders attraktiv, da es Regierungssitz ist und politische Debatten hier stattfinden. Er selbst wird von politischen Gremien zum Beispiel öfter zu Vorträgen über tierethische Fragen eingeladen. «Und dank des reichen Wissenschaftskontextes kann man im Fachbereich Philosophie sehr gute Leute nach Berlin locken», sagt er.

Auch der aus Zürich stammende Professor Jürg Kramer, der 10 Jahre lang das Institut für Mathematik der Humboldt-Uni geleitet hat, wäre in keine andere deutsche Stadt als Berlin gegangen. Für ihn sind die  Kooperationsmöglichkeiten mit der Freien Universität (FU) und der Technischen Universität (TU) besonders wichtig.

Mithilfe von Fördergeldern der Deutschen Forschungs-Gesellschaft (DFG) und anderen Geldgebern hat er daran mitgewirkt, in Kooperation mit der FU und TU eine Reihe von Forschungsprojekten umzusetzen – unter anderen ein Graduiertenkolleg in Zusammenarbeit mit der ETH und der Uni Zürich. Im Bereich Mathematik rangiert Berlin neben dem Standort Bonn inzwischen deutschlandweit an der Spitze.

Deutschsprachiger Markt

Bei der Bewerbung um eine Professur komme es für Wissenschaftler vor allem auf die Universität und deren Forschungsumfeld an, sagen einige Professoren. Sie weisen darauf hin, dass man den deutschsprachigen Raum als Ganzes betrachten müsse.

So sagt zum Beispiel Professor Thomas Maissen, der an der Uni Zürich habilitiert hat und nun Professor für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg ist: «Der deutschsprachige Raum ist für Akademiker ein zusammenhängender Markt. Ich war 1993-95 auch schon Assistent in Potsdam und empfinde es als normal, in diesem Beruf die nationalen Grenzen zu überschreiten.»

Die deutschen Professoren an Schweizer Hochschulen waren vor einem Jahr ein grosses Thema in einigen Medien. Dabei ging es insbesondere um die Zahl der Berufungen deutscher Wissenschaftler an der Uni Zürich.

Ausgelöst hatte die Diskussion eine Kampagne der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die den «deutschen Filz» an Zürcher Hochschulen anprangerte.

Als Reaktion auf die Kampagne schalteten 207 Zürcher Professoren eine Gegen-Annonce, in der sie der SVP eine «rassistische und fremdenfeindliche Rhetorik» vorwarfen.

 

Im Jahr 2009 waren insgesamt 719 deutsche Professoren an Schweizer Hochschulen beschäftigt, die meisten von ihnen an der Uni Zürich (173 von insgesamt 496 Professuren).

Es folgen die ETH Zürich, an der 120 Deutsche einen der insgesamt 388 Lehrstühle inne haben, und die Uni Bern, an der von insgesamt 352 Professoren 115 Deutsche tätig sind (Quelle: Schweizer Bundesamt für Statistik).

Die deutschen stellen damit unter den ausländischen Professoren in der Schweiz die weitaus grösste Gruppe dar.

Auch bei den übrigen Dozierenden sowie den Assistenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern bilden Deutsche die Mehrheit des ausländischen Hochschul-Personals.

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