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«Schweizer Uhrenindustrie hat Smartwatch-Trend verschlafen»

Die mit Spannung erwartete Apple Watch beunruhigt die Patrons der Schweizer Uhrenindustrie nicht. Zu Unrecht? AFP

Mit ihrer Weigerung, in den Markt für intelligente Uhren zu drängen, sei die Schweizer Uhrenbranche drauf und dran, den Fehler der 1970er-Jahre zu wiederholen, als sie die Konkurrenz der Quarzuhren aus Japan ignoriert hatte. Das sagt Elmar Mock, Miterfinder der Swatch, nach der Lancierung der Apple Watch.

Ende der 1970er-Jahre haben Jacques Müller und Elmar Mock unter der Leitung von Ernst Thomke die Swatch entwickelt, eine preiswerte Plastikuhr, die der Schweizer Uhrenindustrie – unter starkem Druck der Konkurrenz japanischer Quarzuhren – zu einer neuen Blüte verholfen hat.

Elmar Mock ist heute Direktor von Creaholic, einer Firma für Engineering und technische Beratung. Er wirft einen strengen Blick auf die Nicht-Beteiligung der Schweizer Uhrenbranche am wachsenden Markt für Smartwatches.

«Apple Watch» am Start

Die am 9. September vorgestellte Apple Watch soll ab Januar 2015 zu einem Preis ab 349 US-Dollar erhältlich sein. Auf den Markt kommen zwei verschiedene Grössen des berührungsempfindlichen Bildschirms und verschiedene auswechselbare Uhrenarmbänder.

Verschiedene Sensoren messen den Puls und Bewegungen des Trägers und zeichnen Gesundheits- und Fitness-Daten auf. Die Uhr funktioniert nur zusammen mit einem iPhone von Apple.

«Das ist das nächste Kapitel in der Geschichte von Apple», sagte Konzernchef Tim Cook bei der Präsentation in Kalifornien. Cook muss in der Tat beweisen, dass die Marke mit dem Apfel ihre Fähigkeit nicht verloren hat, wie der 2011 verstorbene Gründer Steve Jobs weitreichende Innovationen zu lancieren.

(Quelle: SDA)

swissinfo.ch: Viele sagen der Apple Watch das gleiche revolutionäre Potenzial voraus, wie es der Mac, das iPhone und das iPad gehabt haben. Teilen Sie diesen Enthusiasmus?

Elmar Mock: Das Ereignis ist nicht die Lancierung dieser Smartwatch, sondern die Tatsache, dass Apple, ein Kommunikationsriese, sich in diesen Markt getraut. Es macht absolut Sinn, ein gekoppeltes Gerät am Handgelenk zu tragen, eine strategische und emotionale Zone, die man bisher benutzte, um Uhren zu tragen. Dieser Markt birgt in meinen Augen ein kolossales Potenzial.

Die grosse Herausforderung liegt in der digitalen Umgebung, in der sich diese Uhren bewegen. Google, Samsung oder Apple haben alle ihre eigenen Welten. Die Erfahrung der Konsumenten wird entscheidend sein. Es bleibt noch viel zu lernen, doch man lernt nur, indem man etwas tut. Ich bin überzeugt, dass die grossen technologischen Konzerne diese Wette gewinnen werden.

swissinfo.ch: Doch sind die Konsumenten wirklich bereit, diese Art von Objekten zu akzeptieren, die gewisse Leute als Gadgets bezeichnen?

E.M.: Die Apple Watch kommt bereits viel attraktiver daher, als die anderen intelligenten Uhren auf dem Markt. Ich persönlich werde sie tragen. Denken wir daran, dass die Smartphones der ersten Generation auch nicht sofort die alten Mobiltelefone ersetzt haben. Als das erste iPhone auf den Markt kam, bekräftigte Blackberry, Apple habe keine Chance, weil es den Kunden die Tastatur wegnehme, und Nokia war überzeugt, die grossen Bildschirme würden die Kunden abschrecken.

Elmar Mock, einer der Erfinder der berühmten Swatch. rts.ch

swissinfo.ch: Muss sich die Schweizer Uhrenbranche vor einer Flut dieser Art von Uhren fürchten, wie es Apple-Chefdesigner John Ive angedroht hat?

E.M.: Die Schweiz hat den Kampf ums Handgelenk bereits verloren. Von 200 auf der Welt hergestellten Uhren stammt eine einzige aus der Schweiz. Im Gegensatz dazu ist der Gewinn, der mit dieser Uhr geschöpft wird, höher als die Summe des Gewinns aus den 199 anderen Uhren. Den Kampf ums Geld also haben wir gewonnen.

Die Schweizer Uhrenbranche hat es geschafft, aus einem Stück Gold ein mechanisches Schmuckstück zu erschaffen, ein Symbol der Arbeitskraft und Genialität des Menschen. Sie hat eine hervorragende Arbeit an Design, Marketing und Kommunikation geleistet. Die Kalaschnikow hat das Samuraischwert nicht verdrängt, wie auch die Smartwatch die mechanische Uhr nicht umbringen wird.

Im Gegenzug aber hat die Schweiz eine tolle Chance verpasst. Es ist schockierend, festzustellen, dass die Schweizer Uhrenbarone diesen Markt als nicht interessant einstufen. Gehen wir realistisch von 100 Millionen verkauften Smartwatches pro Jahr aus, könnte dieser Markt einen Umsatz von 30 Milliarden US-Dollar generieren – also mehr, als die gesamte Schweizer Uhrenindustrie umsetzt.

Swatch-Group-Chef bleibt ruhig

Wie die Chefs der Schweizer Uhrenindustrie zeigte sich auch Nick Hayek nicht besorgt über die Apple Watch. «Das Aufkommen neuartiger Produkte ist eine fantastische Gelegenheit, jene Millionen von Menschen zu erreichen, die keine Uhr tragen, und sie daran zu gewöhnen», sagte er gegenüber L’Hebdo.

Der Chef der Swatch Group, der weltweiten Nummer 1 der Uhrenbranche, bestätigte, er hege keinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Elektronik-Giganten wie Apple, Samsung, LG oder Motorola. «Wir haben aber nichts zu gewinnen, indem wir den Markt mit elektronischen Gadgets überfluten. Ausserdem redete man in den USA selten so oft über Swatch wie heute. Man vergleicht uns mit Apple… Nicht schlecht, oder?», so Hayek.

swissinfo.ch: Verhält sich Nick Hayek, Chef der Swatch Group, der drohenden Konkurrenz der intelligenten Uhren gegenüber also zu lässig?

E.M.: Ganz offensichtlich! Es ist sicher nicht an Breguet, Rolex, Cartier oder Patek Philippe, auf diesem Spielfeld zu kämpfen, denn das wäre die Rolle der Swatch Group. Die Patrons der Schweizer Uhrenindustrie haben die Geschichte vergessen. 1970 schätzten sie, die Quarzuhr sei ein elektronisches Gadget ohne Zukunft, und die wahre Uhrmacherkunst könne nur mechanisch sein. Mit dem Resultat, dass diese damals fast verschwunden ist.

Als die Swatch auf den Markt kam, haben wir eine Schlacht gewonnen, indem wir eine modische Quarzuhr geschaffen haben. Doch den anschliessenden Krieg der Industrialisierung und der Zurückeroberung von Teilen des Marktes haben wir verloren. Von kurzfristigen Gewinnen besessen, hat die Swatch Group eine Kehrtwende von 180 Grad in Richtung Luxusuhren gemacht, und sie hat lieber in Marken und Verkaufslokale in allen Weltgegenden statt in Ideen investiert.

swissinfo.ch: Fehlt es der Schweizer Uhrenbranche an Vielfalt?

E.M.: Das ist offensichtlich ein Risiko. Die Schweizer Uhrenindustrie gleicht mehr und mehr einem Indianerreservat. Sie hat sich aus freien Stücken dafür entschieden, sich nicht an den aktuellen Veränderungen zu beteiligen. Nicht weil es ihr an Ideen, Kreativität oder Innovation fehlen würde; es ist ein strategischer Entscheid.

Leider hat die Schweiz keinen Steve Jobs, einen echten Patron, der in die Zukunft blicken kann. Das heisst nicht unbedingt, dass wir alles falsch gemacht haben, doch die Würfel sind bereits gefallen, was die Smartwatch angeht.

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(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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