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Schweizer Wissenschafts-Diplomatie setzt sich für Korallenschutz ein

Koralle
Korallenriffe sind komplexe Ökosysteme. Sterben die Korallen, ereilt vielen anderen Lebewesen das selbe Schicksal. EPFL/Maoz Fine

Was macht die Korallen des Golfs von Akaba resistent gegen steigende Temperaturen? Und wie können wir sie schützen? Ein wissenschaftliches und diplomatisches Projekt der Schweiz will das herausfinden, indem es verschiedene Länder zusammenbringt. Die Mission stach am 13. Juli in See.

Nick (richtiger Name der Redaktion bekannt) ist ein Korallenpolyp. Zusammen mit einer Unzahl seiner Geschwister hat er eine Kalkstruktur gebaut, auf die er besonders stolz ist. Nick hat jedoch ein Problem: Er ist hungrig.

Seit einiger Zeit ist es heiss, sehr heiss. Das stresst ihn, er ist nervös geworden und hat sich mit seinen Zooxanthellen, den einzelligen Algen, mit denen er in Symbiose lebte, zerstritten. Kurzerhand verliessen sie ihn, er blieb blass und vor allem hungrig zurück. Wenn seine Zooxanthellen nicht zurückkehren, wird der Korallenpolyp nicht lange überleben können.

Die Geschichte von Nick, dem stolzen Arbeiter und Erbauer von Korallenriffen, ist kein Einzelfall. Die Korallenbleiche ist eine der offensichtlichsten und verheerendsten Auswirkungen der globalen Erwärmung.

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Steigt die Wassertemperatur auch nur um zwei Grad Celsius, bricht die Symbiose zwischen der Koralle und den Algen, die sie ernähren und ihr Farbe geben, zusammen. Die Koralle bleicht aus und stirbt, wenn die Situation andauert.

Aus diesem Grund (aber auch wegen Verschmutzung, Überfischung oder physischer Schäden) ist die Hälfte der Korallenriffe in den letzten 30 Jahren im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten verloren gegangen. Forschende glauben, dass im Jahr 2050 nur noch 10% dieses Ökosystems, eines der wertvollsten Juwelen der Biodiversität auf unserem Planeten, übrig sein werden.

Superkorallen

Es gibt jedoch einen Ort, an dem die symbiotische Beziehung zwischen Korallenbauern wie Nick und den einzelligen Algen, die sie ernähren, besonders gut den steigenden Temperaturen standzuhalten scheint: der Golf von Akaba.

Vor vier Jahren zeigte eine StudieExterner Link, dass die Korallen in dieser Ecke des Roten Meeres auch dann nicht ausbleichen, wenn die Temperatur um fünf Grad Celsius ansteigt.

«Es könnte eines der letzten Korallenriffe sein, die am Ende des Jahrhunderts noch leben», sagt Anders Meibom, Direktor des Labors für biologische Geochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) und einer der Autoren der Studie.

Im Jahr 2017 hatte Meibom einen Appell gestartet, der dazu aufrief, dieses letzte «Refugium» für Korallen gründlicher zu untersuchen und die Regierungen der Anrainerstaaten des Golfs zur Zusammenarbeit aufzufordern, um es zu schützen.

Aber zwischen Sagen und Tun können Welten liegen – und auch die Geopolitik.

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Internationale Zusammenarbeit

Die Anrainerstaaten des Golfs von Akaba (Jordanien, Israel, Ägypten und Saudi-Arabien) und des Roten Meeres im Allgemeinen haben nicht immer ein harmonisches Verhältnis zueinander. Hier kommt die Schweiz ins Spiel.

Innerhalb der EPFL wurde 2019 das Transnational Red Sea Research CenterExterner Link (TRSC) unter Meiboms Leitung gegründet, dessen Ziel die Erforschung und der Schutz der Korallen des Golfs von Akaba ist.

Das Projekt verbindet Wissenschaft und Diplomatie. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) nutzt die ihm zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel, um alle Anrainerstaaten des Roten Meeres zur Zusammenarbeit zu bewegen.

«In der Schweiz verbinden sich eine Kultur der guten Dienste und eine aktive Friedenspolitik mit hochrangiger Wissenschaft», sagt Lukas Gasser, der Schweizer Botschafter in Jordanien, gegenüber SWI swissinfo.ch. Laut dem Diplomaten passen diese Eigenschaften der Schweiz sehr gut in den Kontext des Roten Meeres, wo der Schutz eines einzigartigen marinen Ökosystems von der Zusammenarbeit zwischen Ländern abhängt, die «in den letzten Jahrzehnten recht konfliktreiche Beziehungen erlebt haben.»

«Jordanien hat schnell und enthusiastisch reagiert», fügt der Botschafter hinzu. «Wir sind auch in Kontakt mit allen anderen Ländern der Region, die unsere Initiative mit Interesse aufgenommen haben. Es ist noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten, aber wir hoffen, dass wir sie alle überzeugen können. Dies ist eine Chance von globaler Bedeutung, die sich die Region am Roten Meer nicht entgehen lassen darf.»

Eine vielfältige Mannschaft

Ende Juni wurde mit einer Zeremonie in Akaba der eigentliche Start der wissenschaftlichen Mission und die Teilnahme Jordaniens gefeiert.

Am 13. Juli sticht ein altes Minensuchschiff, das während des Zweiten Weltkriegs in Bremen gebaut wurde, von Akaba aus in See. Seine Aufgabe ist jedoch eine ganz andere als die, für die es gebaut wurde. Nicht die deutsche Marine, sondern ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird an Bord sein.

Das Schiff, umbenannt in «Fleur de Passion», ist die logistische Station des TRSC. Es ermöglicht die Erforschung der Superkorallen im Golf von Akaba, und nicht nur das: Das Projekt soll den Keim für eine transnationale Zusammenarbeit in der Region legen und ein Ausbildungsnetzwerk für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufbauen.

Segelschiff
Die «Fleur de Passion» wurde von der Fondation Pacifique in Genf zur Verfügung gestellt. Das 1941 gebaute Minenräumboot wurde 1945 an Frankreich abgetreten, dann ausser Dienst gestellt und 1976 zu einer Ketsch für die private Nutzung umgebaut. Seit 1980 beherbergt es französische wissenschaftliche Projekte. Heute ist es die logistische Basis für das TRSC-Projekt. Transnational Red Sea Center/Fabiano D’Amato

Derzeit sind vier dreimonatige Expeditionen während der heissesten Zeit (Juli-September) geplant, einmal pro Jahr bis 2024. Die erste Crew wird aus Forschenden aus der Schweiz, Frankreich, Israel, Grossbritannien und dem Sudan bestehen.

«Letzte Chance, Korallenriffe zu erhalten»

Konkret werden die Forscherinnen und Forscher genetische Analysen von Korallen durchführen, ihre thermische Belastbarkeit bestimmen und die Wasserqualität im gesamten Roten Meer auf das Vorhandensein von Mikroplastik, Metallen und anderen organischen Schadstoffen analysieren.

Der Umfang des Projekts ist beispiellos. Die bisher in der Region durchgeführten Studien beschränken sich auf die Analyse von sehr kleinen Bereichen mit unterschiedlichen Methoden. Sie sind daher schwer zu vergleichen.

Das Ziel des TRSC ist es, einen kohärenten Datensatz zu erstellen, der als Referenzstandard für zukünftige Studien zum Ökosystem des Roten Meeres dienen kann. Die Ergebnisse werden der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt und können zur Bewertung der Umweltauswirkungen zukünftiger oder bereits laufender Projekte in der Region verwendet werden.

«Das Rote Meer ist klein und der Golf von Akaba ist noch kleiner. Jede Form der Verschmutzung würde sich schnell ausbreiten, ohne nationale Grenzen zu kennen, und die Korallen wahllos abtöten», sagt Meibom, der hinzufügt: «Die Korallen von Akaba stellen die letzte Chance der Menschheit dar, die Korallenriffe für zukünftige Generationen zu erhalten, aber das erfordert eine strategische Anstrengung auf regionaler und transnationaler Ebene.»

Kurzum, es ist vielleicht noch nicht zu spät für den Korallenpolypen Nick. Seine Vorlieben im Roten Meer könnten wertvolle Informationen liefern, um sicherzustellen, dass die grossen Korallenriffe nicht nur eine ferne Erinnerung bleiben. Dazu müssen sie jedoch vor Verschmutzung und Zerstörung bewahrt werden. Sollten unsere Urenkel dieses Naturschauspiel dereinst noch bewundern können, Ist dies möglicherweise auch der Schweizer Diplomatie zu verdanken.

(Übertragen aus dem Italienischen von Jonas Glatthard)

Jonas Glatthard

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