Atommüll kann altem Fels nichts anhaben
Ein spezielles Tongestein, das im Boden der Schweiz vorkommt, könnte eines der grossen Probleme nach dem Ausstieg aus der Atomenergie lösen: die Frage nämlich, was nach der Stilllegung der fünf Kernkraftwerke mit den tausenden Kubikmetern radioaktiven Abfalls geschehen soll.
Wer an einer unterirdischen Tour im Felslabor Mont Terri in St-Ursanne im Kanton Jura teilnimmt, sieht beim Abstieg in den 300 Meter langen, finsteren Tunnel als erstes einen tropfenden, feuchtem Fels an dessen Wänden.
Etwas weiter unten werden die Tunnelwände plötzlich knochentrocken. Dort befindet sich der geologische Übergang zwischen dem Kalkstein und dem Opalinuston. Für die Wissenschaftler des Mont Terri Projekts (MTP) ist es Gold wert.
Obwohl sich das dunkelgraue Material hart anfühlt, wird es wegen seiner geologischen Zusammensetzung als Tonmineral klassifiziert. Diese sorgt für den Unterschied zum weichen, formbaren Ton. Gebildet wurde der Opalinuston in der Schweiz vor 175 Millionen Jahren während der Jura-Zeit, als das Land von einem seichten Meer bedeckt war. Seinen Namen hat der Ton von einer Ammoniten-Art namens Leioceras opalinum, die ihm einen schimmernden, opalisierenden Glanz verleiht und die versteinert im Felsen gefunden wurde.
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Mont Terri Felslabor
Kleinste Teilchen Meerwasser sind in den winzigen Poren des Tons zurückbehalten worden. Sie sind der lebendige Beweis für dessen Fähigkeit zu verhindern, dass ihn Flüssigkeit durchdringt. Genau aus diesem Grund ist Opalinuston für Forscher so wichtig: Er hat einen so geringen Durchlässigkeits-Grad, dass er sozusagen wasserdicht ist und sich sogar wieder verschliessen kann, nachdem er abgebrochen ist.
Das bedeutet, dass sich Atommüll, der von Opalinuston umgeben ist, tatsächlich versiegeln liesse und der Rest der Welt vor radioaktiven Partikeln verschont bliebe.
Internationales Konsortium
Am Mont-Terri-Projekt, das 1996 lanciert wurde, nehmen 16 Partner aus 8 Ländern teil. Im Rahmen des Projekts wurden in den letzten zwei Jahrzehnten 130 Experimente durchgeführt, 45 davon sind immer noch im Gang. Rund 1000 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker sind damit beschäftigt. Das Labor ist in harte Tonschichten gebaut worden und misst rund 600 Meter; der Eingang befindet sich neben dem Bahnhof von St-Ursanne.
75 Millionen Franken wurden ins Labor investiert. Der grösste Teil des Betrags stammt von den Projektpartnern selber. Seit 2005 befinden sich der Betrieb und die Sicherheit des Felslabors in der Verantwortung von swisstopoExterner Link, dem Bundesamt für Landestopografie, das zum Verteidigungsdepartement gehört.
«Wenn es hier funktioniert, funktioniert es auch anderswo»
Das Mont-Terri-Felslabor ist selber kein Atommülllager, sondern dient ausschliesslich Forschungszwecken. Die Anlage ist auf Experimente im Massstab 1:1 ausgerichtet, um die Durchführbarkeit und Sicherheit bei der langfristigen Lagerung von radioaktiven Abfällen im Opalinuston festzustellen.
Die Erkenntnisse aus dem Projekt sollen der Schweiz und den internationalen MTP-Partnern helfen, für die Zukunft geeignete Standorte für die Lagerung von Atommüll auszusuchen.
«Ob man ein Lager für radioaktive Abfälle bauen will oder nicht, ist eine politische Frage. Aber zur Frage, wo dieses Lager errichtet wird, muss die Wissenschaft etwas zu sagen haben», sagt Markus Kägi, Präsident des Ausschusses der Kantone im Auswahlverfahren für geologische Tiefenlager, im Mai in seiner Rede zum 20. Geburtstag des MTP.
«Experimente brauchen Raum, auch für Dinge, die beim ersten Versuch scheitern. In Mont Terri können wir uns ein Scheitern leisten. Bei der Standortbestimmung des Lagers gibt es keinen Raum für Ausrutscher.»
«Wir müssen akzeptieren, dass es radioaktiven Abfall gibt und unsere Gesellschaft für die sichere Entsorgung und langfristige Lagerung verantwortlich ist, ob wir nun für oder gegen Atomenergie sind», sagte Verteidigungsminister Guy Parmelin bei dem Jubiläumsanlass.
Die Experimente im Felslabor von Mont Terri konzentrieren sich auf die Erforschung des Opalinuston-Gesteins selber und auf die Errichtung von sicheren Containern und Absperrungen für kontaminierte Materialien. Ein Beispiel: Um zu bestimmen, wie gut der Fels radioaktive Partikel in Schach halten kann, spritzen die Wissenschaftler kontrollierte Mengen radioaktiver Teilchen in das Gestein. Nach einem Jahr untersuchen sie, ob und wie sich die Teilchen bewegt haben.
Die Forscher beobachten die Zone auch bei Erdbeben und studieren die Wirkung seismischer Aktivität auf das Gestein. Weil die gefährlichen Stoffe unterirdisch gelagert werden, können Bewegungen der tektonischen Erdplatten zum Stabilitätsrisiko für die künftige Lagerung werden.
MTP-Direktor Paul Bossart sagt, dass sich das Felslabor in einer seismisch aktiven Region befinde, was eine gute Sache sei, denn: «Wenn es hier funktioniert, funktioniert es auch anderswo.
Tiefer bohren
Obwohl Opalinuston in der Schweiz und anderen Regionen Europas weit verbreitet ist, muss ein Standort strengen Kriterien genügen, bevor er als potentielles Lager in Betracht kommt.
«Wenn man zwischen Genf und St. Gallen in den Boden bohrt, findet man Opalinuston. Er kommt auch in Süddeutschland vor – das Gestein bedeckt eine Fläche von rund 100’000 km2 oder gut zwei Mal die Fläche der Schweiz», sagt Bossart. «Aber in einer Tiefe von drei Kilometern kann man kein Lager bauen – die geeignete Tiefe liegt zwischen 400 und 900 Metern. Es gibt auch Regionen, die in Zukunft von Gletschern bedeckt sein könnten und die man meiden muss, weil ein Risiko besteht, dass der Gletscher das Atommülllager beschädigt.»
Gestützt auf die Arbeit, die im Mont-Terri-Felslabor sowie in Partnerinstitutionen geleistet wird – unter anderen in drei weiteren Tongestein-Laboratorien und bei der NagraExterner Link, dem technischen Kompetenzzentrum der Schweiz für die Entsorgung radioaktiver Abfälle in geologischen Tiefenlagern – kommt MTP zum Schluss, dass Opalinuston ein robustes Material für die Lagerung von radioaktivem Material über eine lange Zeitspanne ist.
Trotzdem muss noch sehr viel mehr über dieses spezielle Gestein und dessen Eigenschaften in Erfahrung gebracht werden.
Opalinuston ist nicht sehr hitzeresistent. Wenn Atommüll über grosse Gebiete ausgebreitet wird, könnte das Tongestein überhitzt werden. Deshalb wird untersucht, wie sich die Wärme der hochaktiven Abfälle auf die Sicherheitsbarrieren auswirkt. Das Gestein ist auch nicht sehr robust, wenn sich der Fels bewegt. Deshalb ist es eine grosse technische Herausforderung, stabile Strukturen zur Lagerung des Abfalls zu schaffen.
Die Wissenschaftler erforschen das Tongestein auch als Ort für die Speicherung von Kohlendioxid, eines der massgeblichen Treibhausgase. Aber es sind weitere Untersuchungen notwendig, um festzustellen, ob in den Fels injiziertes CO2 negative Auswirkungen wie Erdbeben oder Grundwasserverschmutzung haben könnte.
Das MTP hat deshalb Pläne zur Erweiterung des Felslabors ab 2018, und zehn Projektvorschläge für ein neues Forschungsprogramm 2020 werden derzeit geprüft.
«Wenn man ein Tiefenlager errichten will, braucht man einen Sicherheitsnachweis, der alle Argumente in Betracht zieht – Forschung, Tests vor Ort und natürliche Nachbildungen», sagt Bossart.
«Mit natürlichen Analogie-Studien können wir untersuchen, was in der Vergangenheit geschah, um daraus Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen. In Mont Terri können wir zum Beispiel anhand von Studien des Porenwassers auf die vergangenen sechs Millionen Jahre zurückblicken.»
Radioaktive Basics
Strahlung ist eine Form von Energie, der die meisten Menschen in geringer Dosis jeden Tag ausgesetzt sind. Natürliches radioaktives Material wie Uran, Thorium, Radon sowie einige Formen von Kalium und Karbon geben Strahlung ab, wenn der Kern eines instabilen Atoms in einen niedrigeren Energiezustand fällt. Das bezeichnet man als radioaktiven Zerfall. Das menschliche Gewebe kann bei hoher Strahlenbelastung beschädigt werden. Diese wird oft in Millisievert (mSv) gemessen. Das Krebsrisiko nimmt bei Mengen ab 200 mSV zu. Zum unmittelbaren Tod führen Mengen ab 8000 mSv. Zum Vergleich: Ein interkontinentaler Hin- und Rückflug führt zu einer Strahlenbelastung von 0,03-0,06 mSv. Der gesetzliche Grenzwert für die Strahlenbelastung in einem beruflichen Umfeld beträgt in der Schweiz 20 mSv.
Atommüll in der Schweiz
Der grösste Teil des radioaktiven Abfalls in der Schweiz stammt aus den fünf Atomkraftwerken. Ein kleiner Teil kommt aus der Forschung, dem Gesundheitssektor und der Industrie. Die Schweiz hat beschlossen, keine weiteren Atomkraftwerke mehr zu bauen. Die bestehenden sollen nach Ablauf ihrer Laufzeit abgestellt werden. Das Bundesamt für Energie schätzt, dass bis zu diesem Zeitpunkt rund 100’000 Kubikmeter radioaktives Material entsorgt und gelagert werden muss. Das KernenergiegesetzExterner Link schreibt deshalb vor, dass dafür ein geologisches Tiefenlager gefunden werden muss. Bis eine Langzeitlösung gefunden ist, bleibt der Schweizer Atommüll an der Oberfläche in einem Zentralen Zwischenlager im Kanton Aargau deponiert.
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(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)
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