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Solarkraft – ein zentraler Faktor der Energiewende

Bau einer Fotovoltaik-Anlage auf Lawinenverbauungen im Wallis. Keystone

Solarstrom kann im künftigen Energiemix der Schweiz eine zentrale Rolle spielen und den AKW-Strom teils ersetzen. Die Solar-Branche verlangt einen beschleunigten Ausbau und mehr Subventionen. Die Strom-Industrie setzt auf Gas-Kraftwerke als Zwischenlösung.

Gerade mal ein Prozent des in der Schweiz verbrauchten Stroms stammt aus Solarenergie. Doch die Zeichen für die neuen erneuerbaren Energien stehen auf Aufbruch und Innovation.

So hat RWE, der zweitgrösste Energieversorger Deutschlands und bisher einer der grössten Verfechter der Kernenergie, den Glauben daran aufgegeben und will nun auch aus den internationalen Kernenergie-Projekten aussteigen. Nach dem Fukushima-Schock musste der Konzern bereits seine Deutschland-Projekte begraben.

Im Norden Europas sind gigantische Windparks am Entstehen, und das kühne Wüsten-Solarstrom-Projekt Desertec nimmt langsam, aber sicher konkrete Konturen an.

Rahmenbedingungen noch nicht klar

In der Schweiz haben Bundesrat und Parlament 2011 beschlossen, keine neuen AKW mehr zu bauen. In den kommenden Monaten muss die Politik Pflöcke einschlagen, sich auf die Rahmenbedingungen einigen und die Energiewende konkretisieren. Auf dem Spiel stehen der künftige Energiemix, der Weg dorthin, mögliche Energiesparmassnahmen und die Finanzierung des Atomausstiegs.

«Die Stromwirtschaft wird sich den neuen Rahmenbedingungen anpassen. Das ist keine Frage. Wenn die Rahmenbedingungen klar und verlässlich sein werden, kann die Branche die erforderlichen Investitionen tätigen und die einzelnen Versorgungs-Unternehmen können ihre Strategien neu ausrichten», sagt Thomas Zwald, Leiter Public Affairs beim Verband Schweizerischer Elektrizitäts-Unternehmen gegenüber swissinfo.ch.

Von der Nische auf 20 Prozent

Bisher ist Solarstrom in der Schweiz ein Nischenprodukt. Die Atomkraft hat einen Anteil von rund 40 Prozent. «Mit dezentralen Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern könnte die Solarenergie 20 Prozent erreichen, also die Hälfte des AKW-Stroms substituieren. Dabei sind die möglichen Grossanlagen auf Grünflächen noch nicht berücksichtigt. Die andere Hälfte des zu ersetzenden Atomstroms könnte mit einem Mix aus Wind, Biomasse und später Geothermie und Kleinwasserkraft ersetzt werden», sagt Franz Baumgartner, Professor für erneuerbare Energien an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.

Dezentrale Photovoltaik-Anlagen auf Dächern haben den Vorteil, dass sie bei der Bevölkerung, aber auch bei Umwelt- und Landschaftsschützern, weniger auf Widerstand stossen und damit schneller gebaut werden können als Grossanlagen wie Gaskraftwerke, aber auch Windkraft-Parks oder grosse Sonnenkraftwerke.

Deutschland als Vorbild

«Der Zeitraum, wie schnell der Solarstrom auf einen Anteil von 20 Prozent kommt, hängt davon ab, mit welcher Geschwindigkeit man zubaut. Deutschland hat in den letzten zehn Jahren etwas 13 Prozent an neuen erneuerbaren Energiequellen zugebaut. Das könnte man als leuchtendes Vorbild nehmen, wenn man das will», so Baumgartner.

David Stickelberger, Geschäftsführer des schweizerischen Fachverbandes für Sonnenenergie, schätzt das Potential auf den Gebäuden aufgrund verschiedener Studien auf 30 bis 40 Prozent. “Realistischerweise gehen wir bis 2025 von einem Anteil von 20 Prozent aus.“

Die Tempo-Frage

Dass Solarstrom in der Schweiz ein bei weitem noch nicht ausgeschöpftes Potential hat, darüber sind sich die Energieversorger und der Verband für Sonnenenergie einig. Bei der Frage, wie schnell die Schweiz wie viel Strom aus Sonnenkraft produzieren und wie viel das kosten soll, enden die Gemeinsamkeiten.

«Man muss unterscheiden zwischen dem technischen und dem wirtschaftlichen Potential. Tatsache ist, dass die Gestehungskosten für Sonnenstrom immer noch sehr hoch sind», sagt Thomas Zwald.

«Die Mittel zur kostendeckenden Einspeisevergütungen müssen aufgestockt werden“, sagt Stickelberger: “Nach unseren Modellrechnungen – also bei einem Solarstrom-Anteil von 20 Prozent – würde der Strompreis um rund 10 Prozent ansteigen.»

Die Frage sei, «ob man dieses Potential mit gigantischen Subventionen – wie das in Deutschland der Fall ist – innert dieser kurzen Zeit ausschöpfen oder im Interesse der Wirtschaftlichkeit warten soll, dass sich die Preise für Sonnenenergie allmählich auf Marktniveau bewegen», sagt Zwald.

Gaskraft als Zwischenlösung

Als Ersatz für die Kernenergie setzt die Strombranche auf den Bau von Gaskraftwerken. «Es geht darum, wie der Wegfall der Bandenergie aus den Kernkraftwerken kompensiert werden soll. Der Weg führt über Gaskraftwerke, denn die Wasserkraft ist lediglich beschränkt ausbaufähig und eine volle Kompensation durch Importe ist politisch weder erwünscht noch realistisch», so Zwald. Je nach Szenario gehen die Versorger davon aus, dass zwischen vier und acht Gaskraftwerke notwendig sein werden.

Gaskraftwerke verbrennen fossile Energie, produzieren CO2 und stehen damit im Widerspruch zum erklärten Ziel der Schweiz, den Klimawandel zu bekämpfen. Aber auch die Sonnenenergie hat ihre Schattenseiten. Ein Nachteil der Sonnenenergie ist die – im Gegensatz zu Atom-, Wasser- oder Gas-Kraft – unregelmässig anfallende Stromproduktion.

Szenarien der Zukunft

Um die Schwankungen auszugleichen, gibt es aber auch alternative Möglichkeiten und Szenarien: Schwach ist die Leistung der Sonnenenergie im Winter, also dann, wenn die Windkrafträder an der Ostsee auf Hochtouren laufen. Mit Windkraft-Überschüssen aus dem Ausland könnten im Inland Wasser-Speicherkraftwerke betrieben und so der Ausfall der Solarkraft kompensiert werden.

Die geplanten Mega-Solarkraftwerke in Nordafrika und Südspanien werden laut heutigen Erkenntnissen dereinst das ganze Jahr über in der Lage sein, genügend Strom zu liefern, um die Schwankungen auszugleichen.

Schliesslich sind bei den Technologien zur dezentralen Speicherung überschüssiger Sonnenenergie (Batterien) in den kommenden Jahren entscheidende Fortschritte zu erwarten.

Die dezentrale Stromproduktion mittels Photovoltaik-Anlagen erfordert nicht nur einen Ausbau der Netze, sondern auch so genannte «Smart Grids», also «intelligente Netze». Diese werden mit Hilfe moderner Kommunikations-Technologien den Strom-Bedarf und den -Verbrauch exakter steuern können, als die heutigen Netze.

Milliarden an Investitionen

«Die Wirtschaft ist sich bewusst, dass diese Investitionen getätigt werden müssen und dass die dezentrale Produktion an Bedeutung gewinnt. Das Ganze ist eine Frage des Tempos und auch eine Frage, wie das Kapital aufgebracht werden kann», sagt Thomas Zwald. Es brauche attraktive Bedingungen, auch für private Investoren, denn für den Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion und der Netze seien Milliarden nötig.

«Wer in eine neue Richtung gehen will, der muss investieren. Da kann man nicht auf der Sparflamme weiter kochen und grossmundig erklären, ‹wir machen die Energiewende›. Man muss investieren, damit man nachher die Vorteil hat“, sagt Franz Baumgartner. «Energie war immer ein politisches Thema. Auch für die Wasserkraft brauchte es am Anfang grosse Investitionen.»

Am 25. Mai 2011 beschloss die Schweizer Regierung den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie. Die Energiewende wurde vom Parlament bestätigt.

Die fünf schweizerischen Atomkraftwerke sollen zwischen 2020 und 2034, dem Ende ihrer Lebensdauer, stillgelegt werden.

Im März 2012 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die offenen sicherheitstechnischen Fragen zum AKW Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung nicht rechtfertigten.

Laut diesem Entscheid muss Mühleberg bereits im Jahr 2013 stillgelegt werden. Die Betreiber- Gesellschaft des AKW hat gegen das Urteil Beschwerde beim Bundesgericht eingelegt. Es ist deshalb noch nicht rechtskräftig.

Im Mai 2012 hat der Bundesrat Elemente seiner Energiestrategie 2050 vorgestellt.

Um die Versorgungs-Sicherheit zu gewährleisten, setzt der Bundesrat im Rahmen seiner Strategie auf verstärkte Einsparungen (Energieeffizienz), den Ausbau der Wasserkraft und der neuen erneuerbaren Energien sowie wenn nötig auf fossile Stromproduktion (Wärmekraftkopplungsanlagen, Gaskombikraftwerke) und Importe.

Zudem sollen die Stromnetze rasch ausgebaut und die Energieforschung verstärkt werden.

Im Spätsommer 2012 will der Bundesrat die Energiestrategie weiter konkretisieren.

Wasserkraft: 55,8%

Kernkraft: 39,3%

Andere: 2,9%

Neue erneuerbare Energien
(aus Abfall, Biomasse und Biogas, Sonne, Wind): 2%
 
(Quelle: Bundesamt für Energie)

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