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Tessinerpalme: Die Botschafterin der Südschweiz wird zum grossen Problem

Tessinerpalmen und der Lago Maggiore
Die Tessinerpalme auf der grösseren Brissago-Insel. Die russische Baronin Antoinette de Saint Leger, die Gründerin des Botanischen Gartens auf den Brissago-Inseln, brachte die Chinesische Hanfpalme im 19. Jahrhundert erstmals ins Tessin. © Keystone / Gaetan Bally

Die Chinesische Hanfpalme ist ein Wahrzeichen der Südschweiz und wird daher auch "Tessinerpalme" genannt. Doch sie ist eine invasive und problematische Pflanze. Eine neue Studie untersucht jetzt im Detail, wie sich die starke Ausbreitung auswirkt.

Wir stehen in einem Palmenhain bei Locarno. Besser gesagt, einem halb verbrannten Palmenhain.

Anderthalb Monate davor war in diesem Gebiet zwischen Wald und Wohngebiet, das so gross ist wie ein Fussballfeld, ein Brand ausgebrochen. Vincent Fehr von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und LandschaftExterner Link (WSL) fotografiert jetzt die verkohlten Stämme in der Ecke des Hains, die vollständig von der chinesischen Hanfpalme (Trachycarpus fortunei) überwuchert ist.

Diese Palme ist hier mittlerweile allgegenwärtig, auch im Unterholz von Wäldern. Der Wissenschaftler sagt, dass nicht einmal im Fernen Osten, wo die Art ursprünglich beheimatet ist, die Palmen in dieser Dichte vorkommen.

Der Brand war in diesem Fall eine gute Sache. Denn für die Forschenden von der WSL stellt diese Situation die Gelegenheit dar, um die Folgen eines Brandes in einem Palmenhain exemplarisch zu untersuchen. Die Forschungsergebnisse werden Informationen liefern, die für die Feuerwehr oder auch Forstämter sehr wertvoll sein werden.

Denn eine der Hauptaufgaben der WSL besteht darin, den Wald und seine Schutzfunktionen zu verstehen und zu überwachen. Es geht um den Schutz vor Erdrutschen und Steinschlag, um Biodiversität sowie um die Feuerresistenz und Widerstandsfähigkeit von Pflanzen.

Vor kurzem hat die WSL die bisher umfangreichste StudieExterner Link über die Ausbreitung der chinesischen Hanfpalme im Tessin publiziert. Dank der Analyse des verbrannten Palmenhains könnte die Untersuchung schon bald um ein neues Kapitel bereichert werden.

Vincent Fehr WSL zwischen verkohlten Tessinerpalmen
Vincent Fehr von der Forschungsanstalt WSL im verbrannten Palmenhain. Obwohl die Stämme der Palmen verkohlten Streichhölzern ähneln, sieht es auf den ersten Blick so aus, als hätten fast alle Exemplare überlebt undneue Triebe entwickelt. swissinfo.ch

Das Institut beschäftigt sich intensiv mit den so genannten «invasiven Neophyten» (gebietsfremde Pflanzen). «Es gehört zu unseren Aufgaben, die negativen Auswirkungen dieser Eindringlinge auf das Funktionieren der Ökosysteme zu prüfen, aber auch zu beurteilen, ob es vielleicht positive Aspekte gibt“, sagt Marco Conedera, Leiter der WSL-Filiale in Cadenazzo (Tessin).

Und ergänzt: «Wir müssen mit Bedacht vorgehen und dürfen diese Pflanzen nicht von vornherein als ‹Schädlinge› bezeichnen.»

Stadtnahe Gebiete im Tessin gefährdet 

Die Chinesische Hanfpalme ist eine der kälteresistentesten Palmenarten. Gegenwärtig ist sie im Tessin und der benachbarten italienischen Seenregion auf die Wälder der tieferen Lagen beschränkt (<900 m ü. M.).

Sie wird in Zukunft aber auch höhere Lagen bewachsen können, wenn es im Zuge des Klimawandels dort wärmer wird. Ihre Ausbreitung hängt stark mit den Wohngebieten zusammen, in denen sich die Mutterpflanzen befinden, welche die Früchte produzieren, die von Vögeln in die Wälder getragen werden.

Diese Palmenart gilt seit 2014 in der Südschweiz als invasiv und kann auch im Unterholz von feuchten und schattigen Laubwäldern gut gedeihen. Die immergrüne Pflanze nutzt die Wintermonate, in denen die Temperaturen mild sind und die Laubbäume keine Blätter tragen.

Am stärksten gefährdet von den überhandnehmenden Palmen sind stadtnahe Gebiete, insbesondere brachliegendes Ackerland am Rande von Wäldern und Waldgebieten. Denn dort ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Vögel Samen aus Gartengebieten bringen.  

Die WSL-Forschenden gehen davon aus, «dass sich die Palme in Siedlungsnähe weiter stark ausbreiten wird.» In siedlungsfernen Wäldern hingegen erwarten sie nur eine langsame Ausbreitung. Da die Samenproduktion der Hanfpalme in schattigen Wäldern eingeschränkt ist, sind dort ausgedehnte und dichte Bestände unwahrscheinlich.

Es wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass sie sich auch in diesen Gebieten in gewissem Umfang ausbreiten kann, insbesondere in Wäldern, die bereits aus anderen Gründen leiden, beispielsweise in Kastanienhainen.

Es handelt sich um Waldbestände, die bis in die Römerzeit zurückreichen und fest in der lokalen Kultur verwurzelt sind. Heute werden sie jedoch durch Faktoren wie Kastanienrindenkrebs, Gallenkrankheit, Tintenkrankheit, Trockenheit, fehlende Bewirtschaftung und Wildschäden geschwächt.

Griff zur Motorsäge

Die Chinesische Hanfpalme ist heute so ikonisch wie früher die Kastanie. Die WSL-Studie bestätigt aber, dass geschlossene Bestände dieser Art negative Auswirkungen haben können, etwa in Auenwäldern, wo sie die Artenvielfalt bedroht, oder an Hängen, wo ihr spärliches Wurzelwerk mit relativ feinen Wurzeln nur wenig Schutz vor Rutschungen bietet.

Die Forschenden empfehlen, an bestimmten ökologisch wertvollen Standorten (zum Beispiel in Auenwäldern) das lokale Ökosystem wieder komplett palmenfrei zu machen und den Palmenbestand in Schutzwäldern, wo sinnvoll, auszudünnen.

Um verwilderte Palmen zu beseitigen, hat die WSL eine zeit- und kosteneffiziente Methode entwickelt und getestet: Zum einen lässt ein bodennaher Schnitt mit der Motorsäge adulte Palmen direkt absterben. Das reicht aber nicht bei jungen Palmen, denn diese treiben aus dem noch im Boden verbleibenden Palmenherzen wieder aus. Um dies zu verhindern, sollte das Herz mit einem Bohrer zerstört werden.

Der Eindämmungsbedarf reibt sich aber mit der Wertschätzung, welche die Chinesische Hanfpalme in weiteren Bevölkerungskreisen weiterhin geniesst. Ihr Image ist positiv, geradezu «charismatisch und ikonografisch».

Das zeigt auch eine schweizweite Umfrage zur Wahrnehmung von Trachycarpus fortunei in der Bevölkerung auf, welche von der WSL gleichzeitig zu den botanischen Aspekten durchgeführt wurde.

Mehr als die Hälfte (58,9%) der 2000 Teilnehmenden schätzten in ihrer Antwort die Hanfpalme positiv ein und sahen sie als ein Tessiner Wahrzeichen (53,9%) – sie symbolisiert Süden, Sonne, Wärme und Ferien.

Tatsächlich war die Palme über Jahrzehnte rein positiv besetzt und war auf beinahe jeder Postkarte aus dem Tessin abgebildet.

Während Kultivierungs- und Verkaufsverbote laut WSL-Forschenden wenig Zustimmung bekämen, gibt es durchaus Sympathie für Empfehlungen, die die weitere Ausbreitung der Palme einschränken würden.

Dazu gehört beispielsweise das Entfernen von Blüten und Früchten, das Beseitigen verwilderter Pflanzen und die Pflanzung alternativer nicht-invasiver Palmenarten.

In allen Altersgruppen ist das positive Image der Hanfpalme zurückgegangen, wenn die Befragten von den Problemen mit dieser invasiven Pflanze wussten.

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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