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«Ich bin weder ein Missionar noch ein Vorreiter»

Der Schweizer Umweltphysiker Thomas Stocker swissinfo.ch

Er ist eloquent, dynamisch, ehrgeizig und lässt sich nicht so schnell aus der Fassung bringen: Thomas Stocker, Umweltphysiker und Kandidat für den Vorsitz des Weltklimarats (IPCC). Seine Chancen seien intakt, meint der wohl bekannteste Schweizer Klimaforscher.

Auf seiner Werbetour rund um die Welt hat er bereits Saudi-Arabien, Katar, Ägypten, die Türkei, Argentinien, Brasilien, Indonesien, China, Japan, Russland, Deutschland, Frankreich, die Malediven, Pakistan, Indien und Thailand besucht. Und das sind längst nicht alle. Insgesamt hat er während seines Wahlkampfs 30 Länder persönlich aufgesucht und mit 10 weiteren telefonisch Kontakt gehabt. «Meine Chancen sind intakt. Man muss aber wissen, dass die Wahl an die Spitze des IPCCExterner Link neben den professionellen und persönlichen Eigenschaften der Kandidaten auch politische Komponenten hat», sagt der Berner ProfessorExterner Link, der im Februar von der Schweizer RegierungExterner Link nominiert worden war.

Die Schweiz habe als neutrales Land, das keinem Block angehöre, eine speziell positive Ausgangslage, auch wegen des internationalen Standorts Genf und wegen seines grossen Engagements im UNO-Bereich.

Fünf wollen IPCC-Chef werden

Zwischen dem 5. und 8. Oktober wird an der jährlichen PlenarversammlungExterner Link des IPCC im kroatischen Dubrovnik der Vorsitzende des WeltklimaratsExterner Link neu gewählt. Die Kandidaten um den wohl angesehensten Job unter Klimawissenschaftlern kommen – neben dem Schweizer Physiker Thomas Stocker – aus Südkorea, den USA, Belgien und Österreich/Montenegro.

Neben dem Vorsitzenden werden in Dubrovnik auch die weiteren MitgliederExterner Link des 34-köpfigen IPCC-Vorstands gewählt.

Die Kandidaten wurden von ihren jeweiligen Regierungen vorgeschlagen. Jedes der 195 Länder, die dem Weltklimarat angehören, hat eine Stimme.

Natürlich sind auch die anderen vier Kandidaten nicht am Däumchen drehen, sondern auf Stimmenfang und reisen emsig um die Welt. Ob dabei alles mit rechten Dingen zugeht, weiss und will der Schweizer Forscher nicht so genau wissen. «Andere Länder haben andere Hebel als wir. Es gibt sicher auch solche, die Gegengeschäfte vorschlagen, zum Beispiel Finanzhilfen zum Aufbau von Beobachtungsstationen. Die Schweiz tut das nicht.»

Dass sich dieser Werbemarathon, der mit Bundesgeldern finanziert wird, nicht gerade positiv auf seinen ökologischen Fussabdruck auswirkt, ist dem Forscher klar, das Argument hört er nicht zum ersten Mal. «Wenn man eine solche Funktion und Aufgabe hat, muss man die Länder persönlich begrüssen, aus der Ferne kann man nicht mit ihnen in Kontakt treten.» Zudem sei seit 2008 jeder Flug im Rahmen dieser Arbeit CO2-kompensiert. 

«Die Rolle der Wissenschaftler ist klar definiert» 

Ansonsten achtet Stocker durchaus darauf, dass sein «Footprint» nicht noch grösser wird. Er fährt per Velo zur Arbeit, setzt Prioritäten bei Energieeffizienz und Abfallbewirtschaftung, kauft das Fleisch beim Metzger im Emmental und im Winter keine Spargeln aus Peru. «Ich habe ein gewisses Bewusstsein, bin aber nicht Vorreiter und schon gar kein Missionar.»

Auch wenn der prominente Klimaforscher in den Medien allgemein gut wegkommt, gibt es doch auch kritische Stimmen. So wurde er auch schon als Politaktivist oder als Opfer seiner Mission bezeichnet und als Prediger und Wahrsager verhöhnt. Vor allem für die Weltwoche, die der rechts-konservativen SVP nahesteht, ist er ein rotes Tuch. «Die Fantasie ist grenzenlos, das nehme ich zur Kenntnis», sagt Stocker, er nehme es locker.

«Unsere Rolle ist klar: Wir sind Wissenschaftler in einem Bereich, der von grösster gesellschaftlicher Relevanz ist. 

«Unsere Rolle ist klar: Wir sind Wissenschaftler in einem Bereich, der von grösster gesellschaftlicher Relevanz ist. Das Kerngeschäft des IPCC ist es, Informationen und Forschungsergebnisse zu beurteilen und an die politischen Entscheidungsträger und an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Wäre ich Aktivist, würde ich einer NGO beitreten.»

Dass er ein gewisses Sendebewusstsein hat, ehrgeizig ist und immer schon war, bestreitet Stocker nicht. Er ist aber auch bereit, überdurchschnittlich viel zu arbeiten, «wobei mir jeder Meter des Weges Spass macht». Denn er hat ein klares Ziel vor Augen: den Klimawandel eindämmen, die CO2-Emissionen reduzieren und die Weltmeere retten. In die Politik mische er sich aber nicht ein. «Und ich habe in meiner Funktion auch noch nie den Druck der Politik und Wirtschaft auf meine Arbeit gespürt.» 

Hoffnungsschimmer 

In Bezug auf die internationale Klimakonferenz vom Dezember in Paris gibt er sich vorsichtig optimistisch, nicht nur weil Präsident Obama seinen «Clean Power Plan» vorgelegt hat, sondern vor allem weil China und die USA eine gemeinsame Klima-Erklärung abgegeben hätten und nun die Länder, als erste die Schweiz, Vorschläge zur Emissionsminderung unterbreiteten. «All dies sind positive Zeichen, erste Schritte, die aber bei weitem nicht reichen. Denn es braucht konkrete Massnahmen. Die Zeit drängt.» 

Es braucht konkrete Massnahmen. Die Zeit drängt.» 

«Googlen» im Brockhaus 

Thomas Stocker, aufgewachsen in der Stadt Zürich, war schon immer wissensdurstig. So wollte er im Alter von 10 Jahren alles über die Mondlandung und das Apollo-Programm wissen. «Ich las und sammelte Zeitungsausschnitte, machte Zeichnungen und protokollierte alles in einem A4-Heft. Ganze Nachmittage lang stöberte ich im Brockhaus-Nachschlagewerk, wir hatten alle 24 Bände zu Hause. Ich habe ‹recherchiert›, mich informiert, ‹gegoogelt› im Brockhaus.» Am Gymnasium dann begann er quer durch die Fächer Physik, Biologie, Chemie die Umgebung wissenschaftlich wahrzunehmen. Neugierig war er schon immer, nicht jedoch verbissen, wie er betont.

So treibt er keinen intensiven Sport, sondern fährt per Fahrrad zur Arbeit, schwimmt an warmen Sommerabenden seinen Kilometer und steigt einmal im Jahr mit der Gattin mindestens aufs Morgenberghorn im Berner Oberland, «als Test, wie es um unsere Fitness steht». Wichtig seien ihm die Freude an allem, was er tue – und der Genussfaktor. «Wenn ich eine schöne Pasta und ein gutes Glas Wein vor mir habe, zähle ich die Kalorien nicht. Erbsenzählen ist die grösste Bedrohung für die Gesundheit.» 

Das Rennen um den begehrtesten Klima-Job 

Die Wahl des IPCC-Präsidenten findet Anfang Oktober in Dubrovnik statt. Sollte Thomas Stocker gewählt werden, müsste er seine Arbeiten an der Abteilung für Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern etwas herunterfahren.

Und wenn er die Wahl verliert? «Dann wäre ich natürlich enttäuscht, denn ich habe mich stark engagiert und viel investiert.» Sein Leben und seine Zufriedenheit seien aber nicht von diesem Amt abhängig, betont der Umweltphysiker. «Ich habe noch genügend andere Aufgaben, etwa das Projekt in der Antarktis, wo wir mit einem europäischen Foschungskonsortium das älteste Eis der Erde suchen und finden wollen.»

Biografie 

Thomas Stocker, geboren 1959 in Zürich, hat an der ETH Zürich Umweltphysik studiert und 1987 mit dem Doktorat abgeschlossen. Nach Forschungsaufenthalten am University College (London), an der McGill University (Montreal) und der Columbia University (New York) wurde er 1993 als Professor an das Physikalische Institut der Universität Bern berufen, wo er die Abteilung für Klima- und Umweltphysik leitet.

Nach 10 Jahren Engagement im Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der UNO wurde er 2008 zum Vorsitzenden der Arbeitsgruppe I gewählt. Zusammen mit dem Chinesen Qin Dahe führte Stocker das Team von über 250 Autoren, das für den 5. IPCC-Bericht die wissenschaftlichen Grundlagen erarbeitete.

Stocker erhielt für seine Forschungsarbeiten verschiedene Auszeichnungen, darunter den Nationalen Latsis Preis. Und 2007 ging der Friedennobelpreis an den IPCC und an Al Gore, ehemaliger Vize-Präsident der USA.

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