Trotz Corona bleibt die Schweizer Universität für internationale Studierende attraktiv
Die Schweiz bleibt für Studierende aus dem Ausland ein beliebter Studienort – trotz Coronavirus. Doch aufgrund der Pandemie ist es für Gaststudierende schwieriger geworden, sich einzuleben.
Als der italienische Masterstudent Giuseppe Gruttad‘Auria im August letzten Jahres in der westschweizerischen Stadt Freiburg ankam, waren die Covid-19-Beschränkungen gelockert worden.
Die Universitäten waren gerade dabei, sich auf den Beginn des Herbstsemesters vorzubereiten, wenn auch unter strengen Hygienevorschriften und mitsamt Maskenpflicht. Gruttad’Auria konnte einen Französischkurs vor dem Semesterstart besuchen, einige Freundschaften schliessen und die Region kennenlernen.
Doch im November änderte sich alles. Die Schweizer Universitäten hoben den Präsenzunterricht auf und kehrten zum Online-Studium zurück – zum zweiten Mal im Jahr 2020. Grund war die zweite und stärkere Coronavirus-Welle, die ganz Europa und auch die Schweiz erfasste.
Gruttad’Auria liess sich von dieser Situation nicht abschrecken. Er absolviert an der Universität Freiburg und der italienischen Universität Ostpiemont in Vercelli (zwischen Mailand und Turin) ein Doppelstudium in Volkswirtschaftslehre und Öffentlichen Finanzen.
«In Italien arbeite ich als Tutor an der Universität und unterrichte Mathematik und Statistik. Aufgrund der Pandemie konnte ich diese Tätigkeit während des gesamten akademischen Jahrs online ausüben. Das hat mich motiviert, eine Verlängerung meines Aufenthalts in der Schweiz auf ein Jahr in Erwägung zu ziehen, um die Masterkurse sowie ein Forschungsprojekt hier zu beenden», schreibt Gruttad’Auria gegenüber swissinfo.ch in einer E-Mail.
Eine Rolle für den Entscheid spielten auch die wesentlich schärferen Covid-Einschränkungen in Italien. «Hier in der Schweiz fühlte ich mich freier, auch wenn ich wegen der Pandemie sehr achtsam und vorsichtig war», sagt er. Ihm persönlich mache das Online-Studium keine Probleme. Allerdings fehlten ihm die sozialen Aspekte eines Austauschjahrs: «Es ist schwieriger, Freundschaften zu schliessen und mit der lokalen Kultur in Kontakt zu kommen.»
Nicht allein
Gruttad’Auria ist kein Einzelfall. Eine kleine Umfrage von swissinfo.ch an Schweizer Hochschulen* zeigt auf, dass die Befürchtungen, dass sich im letzten Herbst weniger ausländische Studierende einschreiben würden, im Allgemeinen nicht eingetreten sind.
Natürlich war es hilfreich, dass ausländische Studierende stets in die Schweiz einreisen durften (siehe Kästchen).
Ausländische Studierende aus EU-/EFTA-Ländern dürfen in die Schweiz einreisen, sofern sie die normalen Einreisebestimmungen und gegebenenfalls Quarantänebestimmungen erfüllen.
Ausländische Studierende aus Drittstaaten können für Aus- und Weiterbildungskurse, die länger als 90 Tage dauern, zugelassen werden, insofern sie die normalen VoraussetzungenExterner Link erfüllen. Dies gilt für alle Drittländer einschliesslich Grossbritannien und Südafrika.
Studierende aus Drittstaaten müssen für die Einreise in die Schweiz einen Antrag bei ihrer lokalen Schweizer Vertretung im Ausland stellen. Der Antrag wird dann an das Ausländeramt des Standortkantons der jeweiligen Universität weitergeleitet. Dieses Amt prüft und bearbeitet den Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis zum Studium.
Quelle: Mediensprecher Staatssekretariat für MigrationExterner Link (SEM)
Die akademische Landschaft der Schweiz ist international geprägt. Das ist auch der Schlüssel zu ihrem Erfolg. Der Ausländeranteil unter den StudierendenExterner Link beträgt nach neuesten Erhebungen 30 Prozent. Bei den Doktorierenden stammen sogar 56 Prozent aus dem Ausland – das ist der zweithöchste Wert aller OECD-Länder.
Auch Universitäten in den Vereinigten Staaten oder in Grossbritannien sind bei ausländischen Studierenden beliebt. Doch im Gegensatz zu diesen sind Schweizer Hochschulen geradezu günstig. Die Studiengebühren liegen auch für Ausländerinnen und Ausländer tief, beispielsweise bei 1500 Franken pro Jahr an der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).
An der Universität Genf und der Università della Svizzera Italiana (USI) im italienischsprachigen Tessin sind die Immatrikulationen von Ausländerinnen und Ausländern jüngst sogar angestiegen, dank der Nachfrage von Studierenden aus den Nachbarländern Frankreich und Italien.
Die Kontinuität der Lehre, gute Uni-Rankings und positive italienische Medienberichte über das Schweizer Corona-Management hätten eine Rolle für diese Entwicklung gespielt, heisst es bei der USI auf Anfrage von swissinfo.ch.
Auch die Universität Freiburg verzeichnete 2020 einen Zuwachs an ausländischen Studierenden (rund 47% mehr als im Vorjahr). Deutsche und Franzosen machen die grössten Anteil aus, Italienerinnen und Italiener kommen an dritter Stelle. Dazu zählt man noch 164 Studierende aus 57 weiteren Ländern.
An anderen Schweizer Hochschulen, wie etwa der Universität Basel, ist ein leichter Rückgang der ausländischen Studierenden in Bachelor-Studiengängen zu verzeichnen. «Die bestehenden Reise- und Quarantänebeschränkungen haben einige ausländische Studierende dazu bewogen, auf ein Auslandstudium zu verzichten», sagt Matthias Geering, Mediensprecher Universität Basel.
Trotzdem verzeichnete Basel im Gegensatz zu den Bachelor-Studiengängen einen Anstieg ausländischer Studierender im Masterstudium. Dieses ist bei internationalen Studierenden immer beliebter.
Austausch rückläufig
Alle befragten Hochschulen bestätigen indes einen Rückgang von ausländischen Studierenden bei kürzeren Austauschprogrammen wie Erasmus. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) sind beispielsweise derzeit nur 233 Studierende von Partnerhochschulen immatrikuliert – normalerweise sind es 650.
An der Universität Zürich kommen die meisten Austauschstudierenden aus dem europäischen Ausland, wie Zahlen aufzeigen. Die Mobilität mit Überseeländern sei stärker von Einreise- und Reisebeschränkungen betroffen als bei den Europäern, so die Universität.
An vielen Universitäten sind die Immatrikulationen jedoch gesamthaft gestiegen, da die in der Schweiz lebenden Studierende auf ihr «Gap Year» verzichten, beispielsweise eine Auszeit zwischen Bachelor- und Masterstudium.
Situation ausserhalb der Schweiz
Andernorts ergibt sich ebenfalls ein durchzogenes Bild: Die USA verzeichneten etwa für das Herbstsemester 2020 einen Rückgang der internationalen Immatrikulationen um 43 ProzentExterner Link gegenüber dem Vorjahr. Dabei könnte auch die restriktivere Politik der Trump-AdministrationExterner Link gegenüber internationalen Studierenden eine Rolle gespielt haben.
AustralienExterner Link begrenzt nach wie vor die Zahl ausländischer Studierender als Teil seiner Pandemie-Massnahmen. Das Vereinigte KönigreichExterner Link wiederum verzeichnete auf letzten Herbst einen Anstieg der internationalen Studentenschaft um neun Prozent (mit Herkunftsländern ausserhalb von UK und EU). Das benachbarte DeutschlandExterner Link wiederum verzeichnet ähnliche Trends wie die Schweiz.
Das Erasmus-Studierendennetzwerk SchweizExterner Link (ESN), das sowohl Langzeit- als auch Kurzzeitstudierende aus dem Ausland bei der Eingewöhnung an Schweizer Hochschulen unterstützt, hat grosse Auswirkungen auf die Mobilität und die eigene Arbeit festgestellt. So berichtet das Netzwerk, dass in den lokalen Sektionen rund 50 Prozent weniger ausländische Studierende betreut werden als gewöhnlich.
Ungewisse Zukunft
Zusätzlich zu den üblichen Herausforderungen wie Sprachbarrieren, hohen Lebenshaltungskosten und bürokratischen Hürden, sehen sich ausländische Studierende momentan mit Reiseverboten, Covid-Test-Anforderungen und Quarantäne bei der Ankunft konfrontiert, sagt Dana Mozaffari, Präsident von ESN Schweiz, gegenüber swissinfo.ch.
Er sagt zudem: «Unsere Freiwilligen haben lokale Quarantäne-Unterstützungsprogramme eingerichtet, deren Ziel es ist, den neu angekommenen Studierenden beim Einkauf von Lebensmitteln und der Administration zu helfen, aber auch moralische Unterstützung zu leisten.»
Und weiter: «Leider haben wir auch von zusätzlichen administrativen Hürden für internationale Studierende an einigen Gastuniversitäten Kenntnis erhalten, was in diesem schwierigen Moment unbedingt vermieden werden sollte.»
Als internationale Studierende gelten jene Studierenden, die regulär an einer Schweizer Hochschule eingeschrieben sind und ihren Hochschulzulassungs.-Ausweis im Ausland erworben haben.
Die meisten internationalen Studierenden in der Schweiz kommen aus Nachbarländern wie Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Die grösste Anzahl von Studierenden aus Nicht-EU-Ländern kommt laut dem Bundesamt für Statistik aus China, Indien, den USA, Russland und der Türkei.
Quellen: Bundesamt für StatistikExterner Link / NCCR on the moveExterner Link
Warum sind Studierende überhaupt daran interessiert, während der Pandemie ins Ausland zu gehen? Mozzafari sagt: «Die Motivation dieser Studierenden bleibt immer dieselbe: Sie wollen aus der Bequemlichkeit ihres Alltags ausbrechen und unbedingt in der Schweiz studieren.»
Auch wenn Kurse online abgehalten werden, ist der Unterricht für ausländische Studierende stets eine Erfahrung, das Land und seine Kultur zu entdecken. Diese Studierenden tragen zudem zur akademischen Internationalisierung bei, «einer der strategischen Top-Prioritäten innerhalb des Schweizer Hochschulsektors», fügt Mozaffari hinzu.
Wie sieht die Zukunft aus? Weltweit wird viel über langfristige Veränderungen in der studentischen Mobilität diskutiert. Chinesische Studierende, die einen grossen Anteil an den internationalen Studierenden in der Schweiz ausmachen, könnten sich für ein Studium in einem Land entscheiden, dass näher an ihrem HeimatlandExterner Link liegt. Oder China selbst, Indien und Italien könnten beliebter werdenExterner Link. Die langfristigen Auswirkungen auf die Schweiz bleiben abzuwarten.
* Die Umfrage-Ergebnisse beruhen auf Angaben von acht von zwölf Schweizer Universitäten sowie der beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen im Januar-Februar 2021
(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)
(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)
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