Erbsen-Huhn zum Zmittag, Sonnenblumen-Schwein zum Znacht
Pflanzliche Alternativen zu Fleisch finden zunehmend Anklang bei umweltbewussten Konsumentinnen und Konsumenten, die bereit sind, etwas mehr zu bezahlen. Ein Schweizer Startup-Unternehmen ist überzeugt, dass es den Geschmack von Fleisch nicht nur imitieren, sondern sogar übertreffen kann. An Hürden mangelt es jedoch nicht.
Als ich das erste Mal eine vegane Wurst ass, war ich enttäuscht. Es schmeckte überhaupt nicht nach Fleisch. Und auch nicht nach Soja oder Kartoffelstärke, die als Inhaltstoffe aufgelistet waren. Sondern eher nach einem gerösteten Stück Plastik. Das war vor fünf Jahren.
In der Zwischenzeit hat die Lebensmittel-Technologie grosse Fortschritte gemacht, angetrieben durch die steigende Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten. Sogar Nachahmungen von Pastrami und Cordon Bleu ähneln in Aussehen und Geschmack immer mehr den Originalen.
Pflanzliche Fleischersatz-Produkte sind mit einem Marktanteil von nur 2,3% in der Schweiz immer noch ein Nischenprodukt, aber der Umsatz hat sich seit 2016 verdoppelt. In Supermärkten besteht einer von sechs verkauften Hamburgern aus pflanzlichen Zutaten.
Pflanzliche Produkte sind auch bei Menschen beliebt, die eigentlich alles essen, die aber ihren Fleischkonsum in Hinsicht auf das Klima und den Verbrauch von Wasser- und Bodenressourcen reduzieren wollen.
Die Food-Tech-Szene gewinnt in der Schweiz an Dynamik, vor allem in den Kantonen Freiburg, Waadt und Zürich. Dort sind mehrere Lebensmittel-Innovationszentren und die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen angesiedelt.
Rund drei Prozent der 2020 getätigten InvestitionenExterner Link (von insgesamt rund 2,3 Milliarden Franken) gingen laut einem Bericht an mehr als 160 Startups, die im New-Food-Bereich tätig sind. Das Wachstumspotenzial ist also gross.
Einer der wichtigsten Akteure auf dem Gebiet der alternativen Proteine in der Schweiz ist Planted Foods, ein Startup-Unternehmen, das als Spinoff der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) gegründet wurde. Seine Produkte sind bereits in Restaurants und Geschäften in ganz Europa erhältlich, hauptsächlich in Deutschland, Österreich und Frankreich.
Ich habe von diesem Unternehmen auf die Art und Weise erfahren, wie die meisten neuen Marken heute bekannt werden: über die sozialen Medien. Eines Tages zeigte mir Facebook in einem gesponserten Beitrag ein paar saftige, nachgemachte Hähnchen-Nuggets in pastellfarbenen Schachteln, auf denen das Wort «planted» stand.
Es war klar, dass dies kein Fleisch sein konnte. Ich ernährte mich bereits seit einigen Monaten vegan, war aber auf der Suche nach neuen Lebensmitteln, die mich an den köstlichen Geschmack von Fleisch erinnern und etwas Abwechslung in meine Gerichte bringen sollten.
Die besten Ideen kommen beim Essen
Und so nehme ich den Köder auf und klicke auf den Link, der mich zur Website von Planted Foods weiterleitet. Als ich erfahre, dass es sich um ein Schweizer Startup handelt, beschliesse ich, einen der vier Gründer, Pascal Bieri, zu kontaktieren und mit ihm ein Interview zu machen.
Bieri empfängt mich am Firmensitz in Kemptthal, eine halbe Stunde mit dem Zug von Zürich entfernt, in einem ehemaligen Industriegebiet, einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt. Früher wurden dort Brühwürfel und Fertigsuppen hergestellt.
Beim Eingang bin ich etwas verwirrt: Statt eine graue Fabrik zu betreten, finde ich mich in einem Restaurant inmitten eines grossen zweistöckigen offenen Raums wieder. «Schlachthöfe verstecken sich hinter Betonmauern. Wir hingegen haben nichts zu verbergen», sagt Bieri.
In dem ersten vollständig veganen Restaurant der Hiltl-Kette, das auch für die Öffentlichkeit zugänglich ist, essen und plaudern derweil um uns herum Menschen. Der Besitzer des ältesten vegetarischen Restaurants der Welt, Rolf Hiltl, war einer der ersten Investoren von Planted.
Während unseres Gesprächs gestikuliert Bieri, lacht oft und spricht sehr beiläufig über sich selbst. Er trägt einen grauen Pullover, der im Kontrast zu seinem strahlenden Lächeln steht. Er wuchs in einem Dorf bei Luzern auf. Sein Grossvater züchtete Kühe und Schweine. «Ich hatte keine Ahnung, dass das Fleisch, das ich esse, Auswirkungen auf den Planeten hat. Bis ich mich mit der Tierhaltung beschäftigte.»
Bieri erzählt mir, wie er 2016, als er in den USA lebte, seinen Fleischkonsum zu reduzieren begann. Dabei ass er oft pflanzliche Burger der Firma Beyond Meat – bis er die lange Liste hochverarbeiteter Zutaten entdeckte. «All diese Chemikalien und unnatürlichen Substanzen, die normale Menschen nicht verstehen.»
Also kontaktierte er Anfang 2017 seinen Cousin Lukas Böni, damals Doktorand der Lebensmittel-Wissenschaften, und schlug ihm seine Idee vor: «Warum schaffen wir nicht eine pflanzliche Alternative zu Fleisch, die natürlicher ist als das, was diese Leute produzieren?»
Die Cousins haben das Startup im Juli 2019 zusammen mit den Mitgründern Eric Stirnemann und Christoph Jenny ins Leben gerufen. Im Januar 2020 war ihr erstes Planted-Chicken-Produkt bereits beim Schweizer Detailhändler Coop erhältlich. Wie es sich seither finanziell entwickelt hat, wissen wir nicht: Das Unternehmen legt keine Zahlen vor.
Auf der Suche nach dem perfekten Protein
Das pflanzliche Hühnerfleisch von Planted wird durch die Mischung von Proteinen und Fasern aus importierten Erbsen mit Rapsöl und Wasser aus der Schweiz hergestellt. Beim «Schweinsschnitzel» werden Sonnenblumen- und Haferproteine zugesetzt, um das Aminosäure-Profil zu diversifizieren. Sonnenblumen-Pulver ist ein Nebenprodukt bei der Herstellung des eiweissreichen Öls, das durch Pressen der Samen gewonnen wird.
Planted arbeitet mit vielen verschiedenen Arten von Proteinen, je nach Produkt und Herstellungsprozess. Während Bieri mir erklärt, wie er von Pflanzen zu pflanzlichem Fleisch kommt, zeigt er auf einen grossen Sack hinter einer transparenten Wand.
«Diese ist voller Ballaststoffe und Eiweiss, eine Art Mehl. In diesem Stadium des Prozesses ist es wie beim Bäcker», sagt er scherzhaft. Ich stelle mir vor, wie er eine Schürze trägt und einen Gemüseteig wie einen Pizzaboden herumwirbelt. Für mich als Italienerin natürlich ein altbekanntes Bild.
Für dieses Video habe ich noch weitere Betriebe besucht, unter anderem auch einen Insektenzüchter:
Eigentlich werden Eiweiss, Fasern, Öl und Wasser in einer Maschine, dem so genannten Extruder, zu einem heissen Teig verarbeitet. Die Extrusion ist derzeit eines der beliebtesten Verfahren zur Herstellung von Fleischersatz-Produkten.
Aber es ist alles andere als einfach. Durch eine Kombination aus Feuchtigkeit, Wärme und mechanischer Energie werden die Zutaten zerkleinert, gemischt und homogenisiert. Die Mischung wird dann getrennt, um «Hühnerstücke», «Schweinsschnitzel» oder marinierten «Fleischkäse» herzustellen.
Die Struktur und Konsistenz von Pflanzenfleisch kann sich je nach Temperatur, Druck und Wassermenge stark verändern. Aber auch die morphologischen Eigenschaften der verwendeten Proteine sind entscheidend für ein hochwertiges Endprodukt.
Fleischloses «Huhn»
Inzwischen ist es fast Mittagszeit. Das Restaurant erwacht zum Leben, die Hintergrundmusik wird immer poppiger. Das vegane Buffet in der Mitte des Raums sieht einladend aus. Dabei fällt mir ein, dass ich auf der Website von Planted eine 400g-Packung «Chicken Nuggets» für 13,50 Franken im Angebot gesehen habe.
Das entspricht mehr als 30 Franken pro Kilo, während ein Kilo herkömmliches Hühnergeschnetzeltes im Supermarkt weniger als 20 Franken kostet. «Das ist wohl der absurdeste Aspekt: Wir Konsumentinnen und Konsumenten zahlen mit unseren Steuern für billiges Fleisch und dessen Umweltfolgen», sagt Bieri.
Bieri meint damit, dass Landwirte Proteine wie Soja zur Fütterung von Nutztieren oft zollfrei einführen können, was für die Schweizer Produktion von pflanzlichem Fleisch nicht gilt. Im Jahr 2020 importierte die Schweiz mehr als 460’000 Tonnen Getreide für die TierfütterungExterner Link und nur etwa 245’000 Tonnen für den menschlichen Verzehr.
«Wenn wir Erbsenprotein zur Verwendung als Tierfutter einführen würden, müssten wir keine Zölle darauf zahlen. Aber da wir es für den menschlichen Verzehr importieren, sind wir dazu verpflichtet», sagt Bieri sichtlich verärgert. Das mache es für Unternehmen wie Planted schwierig, mit dem Fleischmarkt zu konkurrieren, sagt er.
Doch Michael Siegrist, Professor für Konsumverhalten an der ETHZ, ist nicht ganz einverstanden: «Es stimmt, dass die Fleischproduzenten Subventionen erhalten, aber in der Schweiz sind sie mehr Vorschriften und Produktionsstandards unterworfen, und die Kosten sind viel höher als in anderen europäischen Ländern. Dies wirkt sich auf den Fleischpreis aus, der in der Schweiz mehr als zweimal so hoch ist wie im europäischen Durchschnitt.»
Kein Ackerland für Erbsen
Wer in der Schweiz pflanzliche Fleischersatz-Produkte herstellt, steht vor einem weiteren Hindernis: Eiweisspflanzen wie gelbe Erbsen oder Kichererbsen sind nicht einfach anzubauen, weil die Boden- und Sonnenlicht-Verhältnisse nicht optimal sind.
Ausserdem fehlt es an Grossanlagen, die in der Lage sind, die von Unternehmen wie Planted benötigten Protein- und Faserisolate zu wettbewerbsfähigen Preisen aus Rohgetreide zu gewinnen.
«Wir suchen mit dem Bundesamt für Landwirtschaft nach einer Lösung, um die benötigten Proteine in der Schweiz zu bekommen, aber im Moment müssen wir sie aus dem Ausland importieren, hauptsächlich aus Frankreich», sagt Bieri.
«Chicken-Nuggets» und «Schweinschnitzel» aus Erbsenprotein sind nur der Anfang für Planted. Neue Technologien wie der 3D-Druck werden die nächste Generation von alternativen Proteinen definieren.
Das Startup experimentiert auch mit Mikroalgen als nachhaltige Proteinquelle. «Unser Ziel ist es, pflanzliche Proteine zu entwickeln, die den Geschmack und die Textur von Fleisch übertreffen», sagt Bieri.
Die Suche nach den richtigen Rohstoffen zur Herstellung proteinreicher, nachhaltiger und dennoch erschwinglicher Alternativen zu Fleisch geht also weiter. Doch laut Bieri sind die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten, bereit, neue Lebensmittel auszuprobieren. «Wem sagen Sie das…», antworte ich. Manchmal kaufe ich im Supermarkt Produkte, die ich nicht kenne. Nur weil sie seltsam aussehen.
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Es ist fast ein Uhr, und ich bin hungrig. Nachdem ich zwei Stunden lang über Essen gesprochen habe, ist es an der Zeit, selber etwas zu mir zu nehmen. Bieri lädt mich ein, von seinem Buffet zu kosten, aber ich muss zu einem anderen Termin und habe mein Lunchpaket dabei.
Inzwischen weiss ich schon, was ich zum Abendessen kochen werde: «Riz Casimir», eine Schweizer Version des indischen Currys mit Poulet, gebratenen Früchten und Reis. In meinem Fall werde ich die Zutaten nicht mehr ändern müssen, damit es vegan ist.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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