Weiche Maschinen mit Potenzial
Das junge Forschungsgebiet der Soft Robotics will Roboter aus weichen Materialien herstellen, die anpassungsfähiger, flexibler und ungefährlicher als klassische Roboter aus Stahl und Hartplastik sind. Die Herstellung weicher Roboter birgt aber eine ganze Reihe von Problemen. Auch an Schweizer Universitäten wird an weichen Robotern der Zukunft geforscht.
«Menschen und Tiere haben weiche Körper. Etwa 90% des Körpers sind weich. Die Anpassungsfähigkeit von Lebewesen hat auch mit der Beschaffenheit und Form ihrer Körper zu tun», sagt Fumiya Iida, Leiter des Bio-inspired Robotics Labs an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).
Soft Robotics steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. «Weiche Roboter kann man nicht mit der bisherigen Technologie entwickeln. Wir müssen alles neu erfinden, wie etwa die Materialien, Sensoren und Motoren, aus denen die Roboter bestehen», sagt der Assistenzprofessor aus Japan. An der Entwicklung von weichen Robotern sind deshalb nicht nur Robotiker beteiligt, sondern auch Materialforscher, Chemiker oder Biologen.
Eine roombot-Simulation
Roboter bevölkern immer häufiger unseren Alltag. Längst nicht mehr nur in Fabrikhallen, wo fleissige Roboterarme Autoteile zusammenbauen, sondern auch in immer mehr privaten Wohnungen findet man Roboter, die im Garten den Rasen mähen oder im Wohnzimmer staubsaugen. Sogar im einen oder anderen Kinderzimmer unterhält bereits ein Roboter in Form eines Dinosauriers oder Hundes die Kleinsten in der Familie.
Allen diesen Robotern ist gemein, dass sie einen harten Körper haben, mit einer Hülle aus Metall oder Plastik. Dieser macht sie robust, aber auch unflexibel. Die Roboter arbeiten zwar sehr präzise und sind unermüdlich, aber sie funktionieren nur in einem genau definierten, sehr begrenzten Umfeld.
Ausserdem können die klassischen «harten» Roboter dem Menschen auch gefährlich werden. Industrieroboter müssen in Schutzkäfige gestellt werden, damit die Menschen ihnen während der Arbeit nicht zu nahe kommen und versehentlich von den blitzschnellen Armen aus Stahl getroffen werden. Und Mediziner haben Vorbehalte beim Einsatz von Robotern bei Operationen, da sie den Patienten leicht verletzen könnten.
Um Roboter flexibler, anpassungsfähiger und für den Menschen ungefährlicher zu machen, entstand um die Jahrtausendwende das neue Forschungsgebiet der Soft Robotics, der weichen Roboter. Die Forscher orientieren sich dabei stark an Lebewesen.
Auf einem Roboter sitzen? Das klingt nicht sehr entspannend. Wenn es nach Massimo Vespignani geht, dann werden wir in Zukunft vielleicht auf einem Robotersofa relaxen, und wenn wir etwas essen wollen, verwandelt sich das Sofa auf Befehl in einen Esstisch und einen Stuhl. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Labors für Biorobotik an der EPFL arbeitet an «Roombots», modularen Robotern, die in Zukunft genau diese Utopie verwirklichen könnten.
Ein einzelnes «Roombot»-Modul besteht aus zwei Kugeln von der Grösse eines Handballs. Die Kugeln sind über eine Achse verbunden, und jede Kugel enthält Motor, Batterie und Steuerungselektronik. Die einzelnen Module können nach Bedarf an verschiedenen Stellen an andere Module gekoppelt und wieder von diesen getrennt werden. Dadurch können die «Roombots» beliebige Formen annehmen und sich verschiedenen Anforderungen anpassen.
Je mehr Module gekoppelt werden und je komplizierter die Form der zusammengesetzten «Roombots» ist, desto schwieriger wird jedoch deren Steuerung. «Ein einzelnes Modul kann man noch ganz einfach steuern, fast so wie ein ferngesteuertes Auto. Koppelt man mehrere Module, kann man jedoch nicht mehr richtig vorhersagen, wie dieses komplexe Gebilde auf Steuerbefehle reagieren wird. Man muss viele Möglichkeiten durchprobieren und dann aufwendig optimieren», sagt Vespignani.
Bevor man sich das eigene Robotersofa ins Wohnzimmer stellen kann, brauchen die «Roombots» ausserdem noch eine weiche Hülle. Im Moment bestehen diese nämlich grösstenteils aus hartem Plastik. Das Material für eine Hülle, das weich und strapazierfähig genug ist und dabei trotzdem die Bewegungsfreiheit der Module nicht einschränkt, muss jedoch zuerst noch erfunden werden.
Künstliche Muskeln für weiche Roboterhände
Einer dieser Forscher, die neue Komponenten für weiche Roboter entwickeln, ist Jun Shintake, Doktorand am Labor für Intelligente Systeme der Eidgenössisch-Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Er und sein Team haben einen Dielektrischen Elastomer Aktivator (DEA), eine Art künstlichen Muskel, entwickelt.
Was so kompliziert klingt, sieht auf den ersten Blick recht unscheinbar aus. Ein weiches, elastisches und transparentes Stück Kunststofffolie von der Grösse eines menschlichen Daumens. Ein schwarzer Streifen mit speziellen Nanopartikeln in der Mitte der Folie verleiht ihr jedoch ganz besondere Eigenschaften. Mit Hilfe einer elektrischen Spannung kann man die Folie dazu bringen, sich zu krümmen oder zu strecken.
Mit zwei oder mehr von diesen Plastikstreifen kann man eine weiche Roboterhand konstruieren, die sanft Gegenstände greifen kann, ohne diese zu beschädigen. «Da unsere Entwicklung völlig neuartig ist, wissen wir noch gar nicht genau, was für zukünftige Einsatzgebiete es dafür geben wird», sagt ihr Erfinder Shintake. Er könne sich jedoch Anwendungen in der Raumfahrt oder bei medizinischen Prothesen vorstellen.
Für die Forscher sind aber nicht nur die Entwicklung neuer Materialien und Bauteile für weiche Roboter eine Herausforderung. Wenn man die genaue Grösse der Körperteile und die Winkel an den Gelenken kennt, ist es bei harten Robotern relativ einfach, Bewegungen vorauszuberechnen und die Roboter so zu steuern. Bei Robotern, deren Körper weich und vielleicht sogar dehnbar sind, ist das aber viel schwieriger.
Auch die Entwickler der Roombots kämpfen mit diesem Problem. Der Roboter aus dem Labor für Biorobotik an der EPFL hat keinen vordefinierten Körper, sondern besteht aus vielen kleinen Modulen, die man miteinander zu beliebigen Formen kombinieren kann. «Unser Traum ist, einen Roboter zu bauen, der sich auf Befehl zum Beispiel von einem Stuhl in ein Sofa verwandeln kann», sagt der Mitarbeiter des Projekts, Massimo Vespignani.
Der Schweizer Staat unterstützt Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Robotik im Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) Robotik.
Der NFS Robotik unterstützt verschiedene Forschungsprojekte der EPFL, der ETH, der Universität Zürich und dem Dalle Molle Institute for Artificial Intelligence. Sie verfügen für die Zeitspanne von 2010 bis 2014 über ein Budget von etwa 35 Mio. Franken.
Im NFS Robotik gibt es 5 verschiedene Projekte:
– Bio-mimetic sensing, actuation, and mobility (Forschung über Roboter, die Lebewesen nachempfunden sind)
– Interaction and Manipulation (Forschung über die Kommunikation zwischen Robotern und Menschen)
– Prosthetic Robotics (Forschung über Roboter, welche die Bewegung von Menschen unterstützen)
– Distributed Robotics (Forschung über modulare Roboter)
– Robots for Daily Life (Forschung über die Verbreitung von Robotern in der Gesellschaft)
Im Juli 2013 fand ein einwöchiger internationaler Workshop über Soft Robotics und Morphologie auf dem Monte Verità im Tessin statt. Organisator war Fumiya Iida, Leiter des Bio-inspired Robotics Labs an der ETH Zürich. An dieser Veranstaltung haben etwa 100 Wissenschaftler vor allem aus den USA, Japan und der Schweiz teilgenommen.
Der Octopus als Vorbild
Viele Lebewesen haben ganz weiche Körper. Sie haben jedoch keinerlei Probleme, ihren Körper zu kontrollieren und ganz gezielt zu steuern. Ein besonders weiches und geschicktes Tier ist der Oktopus. Das EU Forschungsprojekt «OCTOPUS IP» möchte die Fähigkeiten der achtarmigen Tiere besser verstehen lernen. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchen verschiedene Forscherteams in den nächsten Jahren, gemeinsam einen Roboter-Oktopus zu bauen, der die gleichen Fähigkeiten wie sein natürliches Vorbild hat.
Intelligente Tentakel
Kohei Nakajima von der Universität Zürich hat kürzlich ein Teilprojekt von «OCTOPUS IP» abgeschlossen. In einem kleinen Aquarium schwingt ein weisses Tentakel aus Silikon hin und her. Das Tentakel enthält zahlreiche Sensoren, welche die Position der verschiedenen Segmente des Tentakels messen. Mit diesem Tentakel aus Silikon konnte Nakajima zeigen, dass im Arm eines Oktopus eine gewisse Intelligenz und eine Art von Kurzzeitgedächtnis stecken.
Da das Tentakel weich und flexibel ist, pflanzen sich Störungen, beispielsweise durch Berührungen oder Wasserströmungen, zeitlich verzögert die Segmente entlang fort. «In der Dynamik der Bewegung von weichen Körpern stecken viele Informationen. Die kann man extrahieren und zur Steuerung des Körpers verwenden. In dem Sinn ist ein Oktopus so etwas wie ein schwimmendes Gehirn ohne Hülle», erklärt Nakajima. «Man kann damit sogar gewisse Berechnungen durchführen.»
Nakajimas Traum wäre es, einen komplett verformbaren Roboter zu konstruieren, so wie der feindliche Roboter aus «flüssigem» Metall im Kinofilm «Terminator 2». Auf die Frage, ob ihm so ein Roboter keine Angst machen würde, lacht Nakajima und meint, der Roboter müsse ja nur so verformbar und flexibel sein wie der Bösewicht aus dem Film. Er würde den Roboter ganz schwach machen, so dass sich niemand vor ihm fürchten müsste.
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