Mehr Erträge dank High-Tech-Analysen
Widerstandsfähige Weizensorten könnten der Schlüssel für eine Welt ohne Hunger sein. Deshalb arbeiten Schweizer Forscher mit Hochdruck daran, die genetischen Codes der Pflanzen zu analysieren, um die Resistenzen und Erträge zu erhöhen.
Sie heissen Nara, Baretta und Montalbano und stehen auf der Liste von 57 Weizensorten, die in der Schweiz für den nationalen und internationalen Markt gezüchtet wurden. Jeder Eintrag in diesem Verzeichnis steht für 10 bis 15 Jahre Arbeit von Pflanzenzüchtungsexperten. Neue High-Tech-Methoden versprechen, den Züchtungsprozess um Jahre zu verkürzen. Dies ist erfreulich, denn der Faktor Zeit ist von grosser Bedeutung.
Weizen gehört nebst Reis und Mais zu den grossen Pflanzenkulturen. Sie liefern rund die Hälfte der weltweit verbrauchten Kalorien. Aber vielerorts sind die Ernten bedroht; durch Krankheiten, Schädlinge und widrige Wetterbedingungen, die alle durch den Klimawandel verstärkt werden.
«Das Problem ist, dass die genetische Vielfalt von Weizenpflanzen sehr gering ist», sagt Achim Walter, Professor für Pflanzenwissenschaften an der ETH Zürich. «Wir brauchen mehr resistente Sorten, um die Welt ernähren zu können. Sie müssen maximalen Ertrag liefern, Boden und Wasser schonen und so wenig Dünger und Pestizide wie möglich benötigen.»
Die Zeit drängt
Da die Weltbevölkerung bis 2050 voraussichtlich die 10-Milliarden-Marke überschreiten wird und bereits jetzt ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf der Erde ausgelaugt ist, steht viel auf dem Spiel. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) erklärte, dass Innovationen im Allgemeinen und insbesondere in der Landwirtschaft «die zentrale Triebkraft für eine Welt ohne Hunger ist».
Die moderne Pflanzenzüchtung ist ein Innovationsbereich, der ein wesentlicher Beitrag zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft leisten kann. Laut Roland Peter, Leiter Pflanzenzüchtung bei Agroscope, hat die Schweiz in diesem Bereich einen Vorsprung gegenüber anderen Staaten.
«In der Schweiz haben wir immer stark darauf geachtet, krankheitsresistente Pflanzen zu züchten. Sie ermöglichen umfangreiche Anbauprogramme, bei denen die Bauern keine Sprühmittel einsetzen müssen.» Das ist nicht nur gut für die Finanzen der Landwirte, sondern auch für die Umwelt.
In der flachen Landschaft am Südufer des Neuenburgersees wird an solchen Sorten getüftelt. Ein Grossteil der Feldarbeiten wird von einer kleinen Firma in Zusammenarbeit mit Agroscope durchgeführt: Delley Samen und Pflanzen AG (DSP AG), einem KMU, das als Bindeglied zwischen Züchtung und Saatgutproduktion fungiert. Sie ist auch Mitinhaberin der Weizensorten im Züchtungsprojekt von Agroscope.
Die Testphase verkürzen
Derzeit dauert es 10 bis 15 Jahre, bis die Züchter den Punkt erreicht haben, an dem eine neue Weizensorte zertifiziert werden kann. Gleichzeitig müssen bestehende überwacht werden, damit sie jedes Jahr stabil bleiben. Man bezeichnet dies als Erhaltungszucht. Die DSP AG züchtet und vertreibt nebst Weizen auch verschiedene Sorten Soja, Mais, Futterpflanzen und Gemüse.
In seiner Rolle als Zuchtmanager bei Agroscope versucht Roland Peter, den Informationsfluss zwischen Labor und Feld sicherzustellen. Er erklärt, dass eine Kombination aus klassischen Züchtungsmethoden und molekularen Verfahren eingesetzt wird, um so die Versuchszeit im Feld zu verkürzen. «Mit Partnern wie der Uni Zürich und der ETH arbeiten wir an der Entwicklung molekularer Marker für bestimmte Merkmale – zum Beispiel Krankheitsresistenz. Diese Marker sagen uns, ob in einer Pflanze eine bestimmte Resistenz vorhanden ist oder nicht. Anschliessend können wir sie in der Routinezucht einsetzen.»
Seit kurzem konzentrieren sich Agroscope und die ETH Zürich auf die genomische Selektion. Dabei handelt es sich um eine Züchtungstechnik, bei der das Erbgut einer Pflanze gelesen und mit dem Erbgut von anderen verglichen wird. Es werden keine Gene verändert oder gelöscht.
«Das Ziel ist, die Eigenschaften einer bestimmten Pflanze vorhersagen zu können. Es gibt Zehntausende von Markern, die zusammen eine Art genetischer Fingerabdruck bilden. Wenn wir diese Informationen zusammen mit Beobachtungen im Feld zu einem intelligenten statistischen Modell kombinieren können, wird es möglich sein, für jede Pflanze ein bestimmtes Merkmal vorherzusagen», erklärt er. «Es wäre quasi der Jackpot, Ertrag, Qualität und Eigenschaften für jede neue Sorte sofort und kostengünstig vorhersagen zu können, ohne sie in mühsamen Feldversuchen testen zu müssen.» Die ersten Testrunden seien sehr ermutigend gewesen, so Peter.
Politische Unterstützung
Gemäss Christian Ochsenbein von DSP ist es in den letzten Jahren zu einer zunehmenden internationalen Konsolidierung und Privatisierung im Saatgutsektor gekommen. «Grosse Unternehmen wie Syngenta, Bayer oder DLF haben kleine Firmen aufgekauft. Wir bei DSP sind unabhängig und auf die Bedürfnisse der Schweiz ausgerichtet. Die Politik schätzt unsere Rolle – das spüren wir seit einigen Jahren.»
Anfang dieses Jahres stellte der Bundesrat seine Agrarpolitik für die Jahre 2022 bis 2025Externer Link vor. Sie zielt darauf ab, den ökologischen Fussabdruck des Sektors zu verringern. Zusätzliche 5 Millionen Franken pro Jahr sollen in ein Züchtungsprogramm für strategisch relevante landwirtschaftliche Kulturpflanzen sowie in die Schaffung und den Betrieb eines Kompetenzzentrums für die Pflanzenzüchtung investiert werden.
Jährlich erwirtschaftet der Schweizer Agrarsektor im Bereich Pflanzenbau über 4 Milliarden Franken.
Moratorium bis mindestens 2021
Für die Zukunft beobachtet Agroscope die Fortschritte bei aufkeimenden Züchtungstechnologien wie der Genom-Editierung, also molekularbiologischer Techniken zur zielgerichteten Veränderung von Genen. Genmanipulierte Pflanzen werden derzeit unter dem Sammelbegriff «gentechnisch veränderte Organismen» (GVO) reguliert. Der Anbau ist in der Schweiz verboten, Ausnahmen gibt es nur für Forschungszwecke.
Die Grenzen zwischen solchen, mittels Gentechnik veränderten Produkten und konventionell gezüchteten Pflanzen verschwimmen zunehmend, und viele Staaten ausserhalb Europas haben einige dieser Techniken legalisiert. Die EU-Kommission hat eine Studie in Auftrag gegeben, welche den Status dieser neuen Züchtungsmethoden in Europa bestimmen soll – sie soll nächstes Jahr abgeschlossen sein.
In der Zwischenzeit testen auch Schweizer Experten die Chancen und Umweltrisiken, welche die Prototypen dieser neuen Züchtungstechnologien in Labor, Gewächshaus und Feld bieten. Aufgrund des bis 2021 geltenden Moratoriums findet die Feldarbeit an einem geschützten Ort statt. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Schweiz ihre Position ändern wird, so dass das Verbot wahrscheinlich verlängert wird.
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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