Wie Nanoplastik auf Alpengipfel gelangt
Plastik ist überall: Im Boden und im Wasser, in Fischmägen, ja sogar auf Berggipfeln und in der Antarktis. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass die Ausbreitung winziger Plastikteilchen ein weitaus grösseres Problem darstellt als bisher angenommen.
Eine Gruppe von Forschenden aus der Schweiz, Österreich und den Niederlanden schätzt, dass in der Schweiz jedes Jahr fast 43 Billionen winzige Plastikteilchen landenExterner Link, was rund 3000 Tonnen entspricht. Die Wissenschaftler:innen sammelten Schneeproben in der Nähe des Sonnblick-Observatoriums in den Österreicher Alpen auf rund 3000 Metern Höhe.
Mithilfe einer neuen Methode konnten sie die Mengen und Arten des abgelagerten Nanokunststoffs genau eruieren. Anhand von Wetterdaten und neusten Modellierungstechniken ermittelten die Forschenden anschliessend die Herkunft der Partikel und die Wege, die sie quer durch Europa in die Alpen genommen hatten. Und sie stellten Schätzungen für die benachbarte Schweiz her.
Die Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass rund ein Drittel des auf dem Berg gemessenen Nanoplastiks aus einem Umkreis von 200 Kilometern stammt, hauptsächlich aus Städten in der Nähe. Über die Gischt von Wellen werden zudem aus den Meeren winzige Plastikfragmente in die Luft geweht. Die Forschenden nehmen an, dass etwa zehn Prozent dieser Partikel durch Wind und Wetter über 2000 Kilometer weit «gewandert» ist – ein grosser Teil stammt aus dem Atlantik.
Überraschender Fund
Die genaue Ablagerungsrate von Nanoplastik am Sonnblick-Observatorium betrug 42 Kilogramm pro Quadratkilometer und Jahr. Laut der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA), die neben der Universität Utrecht und der Österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik an der Studie beteiligt war, handelt es sich um «die genaueste Aufzeichnung der Luftverschmutzung durch Nanoplastik, die je gemacht wurde». Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Environmental PollutionExterner Link veröffentlicht.
«Die Konzentrationen ist ziemlich hoch», sagt EMPA-Forscher Dominik Brunner. «Dass diese Kunststoffe über Hunderte oder sogar Tausende von Kilometern transportiert werden können, stellt ein grosses Problem dar.»
Für ihre Untersuchungen sammelten die Wissenschaftler:innen im Jahr 2017 während eineinhalb Monaten Proben aus der obersten Schneeschicht in der Nähe des Observatoriums. Anschliessend untersuchten sie die Proben mittels Massenspektrometer auf Verunreinigungen.
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Schweizer Studierende suchen Mikroplastik in den Alpen
«Unsere Methode könnte man als eine Art künstliche Nase bezeichnen», sagt der leitende Forscher Dušan Materić von der Universität Utrecht. Und diese Nase erschnüffelte Kunststoffe wie Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET) – sehr zur Überraschung der Wissenschaftler, die ursprünglich nach organischen Partikeln gesucht hatten.
Im vergangenen Monat wurden in einer Studie, die Materić geleitetet hatte, erstmals auch Nanokunststoffe in Eisbohrkernen in beiden Polarregionen nachgewiesen. Die Forscher stellten fest, dass die Verschmutzung 50 Jahre zurückreicht und ein Viertel der Partikel von Autoreifen sowie von Polyethylen und PET stammt.
Es wird vermutet, dass Nanoplastik durch Winde aus Städten in Nordamerika und Asien nach Grönland geweht wird. Die im Meereis des McMurdo-Sunds in der Antarktis gefundenen Nanokunststoffe wurden wahrscheinlich durch Meeresströmungen auf den abgelegenen Kontinent transportiert.
Globales Abkommen in Sicht
Die wachsende Krise der Plastikverschmutzung bereitet Wissenschaftler:innen, politischen Entscheidungsträger:innen und Umweltgruppen grosse Sorgen.
Schätzungen zufolge sind bisher weltweit über 8300 Millionen Tonnen Plastik produziert worden. Rund 60 Prozent davon ist Abfall und zerfällt langsam in immer kleinere Teilchen. Das UNO-Umweltprogramm (UNEP) schätzt, dass sich die Plastikverschmutzung bis 2040 verdreifachen und in den Weltmeeren jährlich zwischen 23 bis 37 Millionen Tonnen Abfall landen wird.
Farben tragen jedes Jahr fast zwei Millionen Tonnen Kunststoffpartikel in die Meere, Seen und Flüsse. Das ist mehr als die Verschmutzung durch Mikroplastik aus Textilfasern und Reifenstaub zusammen, wie eine im Februar veröffentlichte Untersuchung von Schweizer Wissenschaftlern zeigt. Die Studie des Beratungsunternehmens Environmental Action (EA)Externer Link zeigt, dass fast 60 Prozent des Mikroplastiks in den Ozeanen durch Farben verursacht wird. Die Autoren empfehlen, die Verwendung von Farben zu vermeiden oder die aufgetragene Menge zu reduzieren und biologisch abbaubare Komponenten zu verwenden. Sie betonen auch die Bedeutung von Abfallverwertung und Recycling. Es sei notwendig, «die Verluste, die beim Schleifen oder Streichen entstehen, besser zu verwalten, um zu verhindern, dass sie in die Umwelt gelangen», sagt der beteiligte Forscher Julien Boucher.
Der WWF schreibt in einem neuen BerichtExterner Link, dass fast alle Lebewesen in den Ozeanen von der Plastikverschmutzung betroffen seien und dass wichtige Ökosysteme wie Korallenriffe und Mangroven stark beschädigt werden.
Die Umweltgruppe gehört zu den über 700 Organisationen aus 113 Staaten, welche die UNO vor einigen Tagen aufgefordert haben, einen internationalen Vertrag zur Bewältigung der Plastikkrise zu schliessen.
Verhandlungsführer:innen aus aller Welt werden an der UNO-Umweltkonferenz, die vom 28. Februar bis 2. März in Nairobi stattfindet, über ein künftiges globales Abkommen zur Reduzierung der Plastikverschmutzung befinden.
Zwar besteht Berichten zufolge weitgehend Einigkeit darüber, dass konzertierte Anstrengungen unternommen werden sollten, um die Verschmutzung einzudämmen, doch momentan ist noch unklar, was überhaupt Gegenstand der Verhandlungen sein soll. Zwei konkurrierende Entwürfe liegen auf dem Tisch: ein Vorschlag von Peru und Ruanda, der die gesamte Plastikverschmutzung abdeckt und von 27 Ländern, darunter auch der Schweiz, mitgetragen wird, und eine zweite, schwächere Resolution von Japan, die sich nur auf die Verschmutzung der Meere bezieht.
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