«Überall im All finden sich alle Grundzutaten für das Leben»
Nach dem Schweizer Michel Mayor im Jahr 2000 hat einer seiner ehemaligen Postdoktoranden dieses Jahr den Balzan-Preis erhalten. Der Belgier Michael Gillon wurde bekannt, weil er seine Teleskope auf Sterne ausrichtete, die leicht auf ihre Planeten schliessen lassen.
Trappist 1Externer Link, benannt nach den berühmten Braumönchen, heisst das ultrakompakte System von sieben Planeten, die er in Zusammenarbeit mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa entdeckt hat. Sie bringen Science-Fiction-Fans zum Träumen. SpeculoosExterner Link heisst sein Projekt für die Suche nach Planeten in der Umgebung von ultrakalten Sternen (trotzdem etwa 3000 Grad an der Oberfläche!): Michael Gillons Werk lässt auch in der Namensgebung etwas von seinem belgischen Humor durchscheinen.
Für den 43-jährigen Forscher, der am 17. November den Balzan-Preis aus den Händen von Bundespräsidentin Doris Leuthard erhielt hat, ist die Forschung aber eine ernste Sache. Im belgischen Lüttich hatte er zuerst Biologie studiert, dann Astrophysik, bevor er während drei Jahren mit Michel Mayor und Didier Quéloz in Genf zusammenarbeitete, die 1995 den ersten Exoplaneten entdeckten.
Zurück in Belgien, führte er seine Arbeiten weiter. Dabei ging es darum, was uns das Licht eines Sternes, der beim Vorbeiflug eines Planeten zum Teil abgedunkelt wird, über die Atmosphäre jenes Planeten erzählen kann. Dies war bereits das Thema seiner Doktorarbeit – und es ist derzeit der Königsweg, um mögliche Anzeichen von Leben auf Welten zu identifizieren, die Dutzende oder Hunderttausende von Milliarden Kilometer von uns entfernt sind.
swissinfo.ch: Um Planeten zu finden, richten Sie Ihre Teleskope auf Rote Zwerge, also kleine – 50 oder weniger Prozent der Masse unserer Sonne – und relativ kalte Sterne. Warum?
Michael Gillon: Es gibt sehr viele davon. Etwa 70% der Sterne der Galaxie sind Rote Zwerge. Auch unsere Sonne ist ein Zwerg, aber gelb. Zwergsterne stehen in der Mitte ihrer Lebensdauer, sind also weder besonders jung noch sehr alt. Denn generell gesagt: Wenn ein Stern riesig wird, liegt er im Sterben.
Interessant bei den Roten Zwergen ist, dass die Signale, die wir feststellen können, sichtbarer sind. Da er relativ leicht ist, «walzert» der Stern mit der Radialgeschwindigkeit aufgrund des Gravitationseinflusses der Planeten weiter auf seiner Bahn. Und bei den Transits ist es so, dass je kleiner der Stern ist, desto grösser der Anteil wird, der von einem vorbeifliegenden Planeten abgedeckt wird.
«Radialgeschwindigkeit», «Transit»? Der folgende Film veranschaulicht diese Begriffe der beiden Methoden, mit denen Exoplaneten gefunden werden können.
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Milliarden Welten zu entdecken
Diese kleinen Sterne herauszufiltern, ermöglicht uns, einen Planeten in der Grössenordnung der Erde ganz einfach zu finden. Die Planeten des Systems Trappist 1 wurden von der Erdoberfläche aus entdeckt, fast mit einem Amateur-Teleskop, das einen Spiegel von 60 cm Durchmesser hatte. Das stärkt die Wissenschaft, denn einen Planeten zu finden, der um einen Stern wie die Sonne kreist, ist viel schwieriger.
swissinfo.ch: Bei einem Transit sind die Instrumente nunmehr in der Lage, den Teil des Lichts eines Sterns zu messen, dessen Atmosphäre von einem Planeten traversiert wurde, und damit auch, woraus der Planet besteht. Sie suchen nach Indizien wie etwa reichlich Sauerstoff, was auf atmende Lebewesen schliessen liesse. Man spricht also von einem Leben, das jenem auf der Erde gleicht. Doch wenn es komplett anders wäre?
M.G.: Man kann sich alles vorstellen. Wenn man aber etwas identifizieren will, was so weit weg ist, dass man nicht hingehen kann, bleibt einzig die Möglichkeit, das Licht zu untersuchen, das bis zu uns dringt.
Wir suchen also nach Indizien, die man mit Dingen in Verbindung bringen kann, die man kennt. Etwa Lebensformen, die auf chemischen oder Kohlenwasserstoff-Verbindungen basieren, die Wasser brauchen und über Metabolismen verfügen, die ähnlich denen sind, die man auf der Erde findet.
Wenn wir etwas Exotischeres finden wollen, suchen wir das besser in unserem Sonnensystem oder dort, wo man noch Sonden hinschicken kann, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Etwa auf Titan, einem der Saturnmonde, der eine dichte Atmosphäre hat, sehr kalt und reich an Kohlenwasserstoff und Methan, und wo man Lebensformen finden könnte, die weit entfernt von dem sind, was wir kennen. Diese würden aber eher Bakterien gleichen. Und sogar auf dem Mars wäre dies der Fall, weil es keine Marsianer gibt.
swissinfo.ch: Glauben Sie, dass es überall im Weltall Leben gibt, oder ist es ein eher seltenes Phänomen?
M.G.: Es gibt so viele Unbekannten, dass es schwierig ist, hier eine Position zu beziehen. Überall im All finden sich alle Grundzutaten für das Leben. Um alle Sterne herum gibt es organische Moleküle, Wasser in Hülle und Fülle und die Energie der Sterne. Wenn also das Leben ein Prozess ist, der einsetzt, sobald diese Elemente zusammenkommen, dann denke ich: Ja, es gibt überall in der Galaxie Leben.
Wenn nun aber in der Kette von Prozessen, die zum Leben führen, ein Element mit nur sehr geringer Wahrscheinlichkeit auftaucht, was zu einer Art Engpass führen würde, dann kann das Leben im All auch sehr selten sein.
Für mich ist das alles eher eine Frage des persönlichen Glaubens. Die einzige Art, wissenschaftlich auf diese Frage zu antworten, ist, wohlüberlegt auf die Beobachtungen zu warten und zu sehen, was das Resultat ist.
swissinfo.ch: Wenn wir nun von einer möglichen extraterrestrischen Zivilisation sprechen, was glauben Sie, wären die Konsequenzen eines Erstkontakts?
M.G.: Wenn Ausserirdische bis zu uns kommen würden, bedeutete dies, dass ihre Technologie der unseren weit überlegen ist. Und das würde uns zwingen, sehr viel bescheidener zu sein und – einschliesslich unserer Politik – gleichzeitig zu erkennen, dass wir alle mehr oder weniger eine Familie sind, die auf demselben Raumschiff lebt, das jedes Jahr die Sonne umkreist. Ich denke, es würde die Familienseite der Menschheit stärken. Auf jeden Fall wage ich zu hoffen, dass es einen positiven Einfluss auf die Gesellschaften haben würde.
Doch man muss sagen, dass das menschliche Verhalten etwas sehr Komplexes ist. Ein Erstkontakt könnte deshalb genauso gut weitgehend negative Einflüsse haben. Welchen Einfluss hätte ein solcher beispielsweise auf extrem religiöse Gemeinschaften? Würden sie alles ablehnen, auch die Wissenschaft, und sich verschliessen, um sich nicht solche Gotteslästerungen anhören zu müssen? Oder wären sie im Gegenteil offen für diese Art von Entdeckungen?
Jedes Jahr bin ich erstaunt, dass Michel Mayor noch nicht den Nobelpreis erhalten hat. Das schockiert mich. Es ist eine derart fundamentale Entdeckung.
swissinfo.ch: Sie sind nach Michel Mayor bereits der zweite Exoplaneten-Jäger, der den Balzan-Preis erhält. Wann kommt der Nobelpreis für ihre Disziplin?
M.G.: Ich will nicht verneinen, dass ich jedes Jahr erstaunt bin, dass Michel Mayor noch nicht den Nobelpreis erhalten hat. Das schockiert mich, und zwar immer mehr. Es ist eine derart fundamentale Entdeckung. Seit Jahrhunderten fragt sich der Mensch, ob die anderen Sterne Planeten haben. Es wäre wirklich hochverdient, und viele meiner Fachkollegen sind gleicher Meinung.
swissinfo.ch: Auch ohne Nobelpreis sind die Exoplaneten in aller Munde. Kommen sie einfach an Forschungsgelder?
M.G.: Ja, relativ, weil unsere Forschungen über den wissenschaftlichen Einfluss hinaus auch einen grossen medialen Einfluss haben. Diese Frage nach extraterrestrischem Leben interessiert enorm viele Menschen und ist ein Thema, welches das Publikum sehr fasziniert, so dass es einfach ist, die Politik von dessen Wichtigkeit zu überzeugen.
Wenn man die Zahl der entdeckten Objekte, die rasante Zunahme der Entdeckungen, die ständig wachsende Zahl von Studien sieht, die durch die Entwicklung neuer Instrumente, neuer Technologien und die Finanzierung immer ehrgeizigerer Projekte ermöglicht werden, befinden wir uns meines Erachtens in einer wirklich guten Position.
swissinfo.ch: Und die internationale Zusammenarbeit funktioniert gut?
M.G.: Man kann sagen, ja. Es gibt noch einige Aspekte der Konkurrenz in einigen kleinen Nischen des Themas, aber das Arbeitsgebiet als Ganzes ist eine grosse Gemeinschaft, wo sich jedermann sehr wohl bewusst ist, dass man zusammenarbeiten muss, wenn man vorwärtskommen will. Man ist sich bewusst, dass man nicht mehr gegenseitig im Wettbewerb stehen muss, sondern nur mit anderen Arbeitsgebieten.
So wurde zum Beispiel das James Webb TelescopeExterner Link geschaffen, das auf Hubble folgen wird und mit dem weit entfernte Galaxien beobachtet werden sollen, um das Universum, seinen Ursprung, den Big Bang, die dunkle Materie zu verstehen. Wenn wir also Beobachtungszeit für die Exoplaneten auf dieser wunderbaren Maschine erhalten wollen, müssen wir zusammenhalten. Und das ist klar die Richtung, in der es in diesem Arbeitsgebiet geht.
Balzan-Preis
Die italienisch-schweizerische Stiftung BalzanExterner Link wurde 1956 ins Leben gerufen.
Sie vergibt jährlich vier Preise (je 750’000 Franken) an international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zu den besten hinter den mit Nobelpreisen ausgezeichneten zählen. Die Zeremonie wird alternierend in Rom und in Bern durchgeführt.
Dieses Jahr vergab die Stiftung ausnahmsweise fünf Preise an insgesamt sieben Forschende. Neben Michael Gillon haben Preise erhalten:
Der US-Politologe Robert O. Keohane für internationale Beziehungen, Geschichte und Theorie (2016)
Die Deutschen Aleida und Jan Assmann (Literatur und Ägyptologie) für Kollektives Gedächtnis
Der indische Ökonom Bina Agarwal für Gender Studies
Die US-Mediziner James P. Allison und Robert D. Schreiber für Immunologische Ansätze in der Krebstherapie
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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