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Wissenschaftliche Leistung der Schweiz in Gefahr?

Von der finanziellen Unterstützung des EU profitiert in der Schweiz nicht nur die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ). Keystone

Die Schweizer Universitäten liegen in globalen Rankings regelmässig auf vorderen Positionen. Laut Phil Baty, Chefredaktor des Universitäts-Rankings von "Times Higher Education", könnte das Ja des Schweizer Stimmvolks zur Beschränkung der Einwanderung diese Spitzenpositionen aber gefährden.

Nach der Abstimmung vom 9. Februar 2014, bei der sich eine knappe Mehrheit der Stimmenden für die Annahme der Volksinitiative «gegen Masseneinwanderung» ausgesprochen hatte, stoppte die EU Verhandlungen über eine Beteiligung der Schweiz am Forschungsprogramm Horizon 2020 und am Studentenaustausch-Programm Erasmus+. Die Initianten verlangen, dass die Schweizer Regierung das Abkommen mit der EU über den freien Personenverkehr neu verhandelt.

Mehrere Universitätsrektoren haben der Schweizer Regierung in einem Brief ihre Besorgnis über mögliche negative Auswirkungen des Volksentscheids mitgeteilt.

Im Gespräch mit swissinfo.ch erklärt Phil Baty, wie die veränderte politische Landschaft die wissenschaftliche Leistung der Schweizer Universitäten konkret beeinflussen könnte.

Politiker, welche die Initiative unterstützt haben, beurteilen die Befürchtungen als übertrieben. Nadja Pieren, Mitglied der parlamentarischen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur sowie der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), welche die Initiative lanciert hatte, rechnet nicht mit negativen Auswirkungen aufdie Universitäten.

Die Universität Genf liess diese Woche verlauten, dass sie ein Reserve-Austauschprogramm habe, das nicht von der EU abhängig sei, und von dem die Studenten profitieren könnten.

swissinfo.ch: Wird die Reputation der Schweizer Universitäten beeinträchtigt, wenn sie an den Programmen Horizon 2020 und Erasmus+ nicht teilnehmen können?

Phil Baty: Es gibt ein echtes Risiko, dass die Forschung Schaden nehmen könnte. Schweizer Universitäten gehören zu jenen Institutionen[OG(1] , die am stärksten international ausgerichtet sind. Sie waren bisherals ausgesprochen internationale Universitäten mit starken internationalen Lehrkräften und einer mobilen Studentenschaft erfolgreich. Deshalb denke ich, dass sie auf verschiedenen Ebenen Schaden nehmen werden.

Das wichtigste Kriterium bei den globalen Rankings ist die Wirkung der Forschung – welche Qualität die Forschung einer Universität hat. Die Forschung der besten Schweizer Universitäten wird zu einem beachtlichen Teil vom Staat finanziert. Aber Quellen wie Horizon 2020 verheissen bedeutende flüssige Mittel im Forschungs-Wettbewerb. Wenn das Geld knapp und eine Diversifizierung der Mittelbeschaffung wichtig ist, bedeutet jeder Einnahmenverlust einen Rückschlag.

 [OG(1]Unis haben Institute, aber sind keine.

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swissinfo.ch: Ist mit langfristigen Auswirkungen zu rechnen, auch wenn es der Schweiz gelingt, die versiegenden Geldquellen durch andere zu ersetzen?

P.B.: Es gibt Auswirkungen, die über den Verlust von bedeutenden Geldquellen hinausgehen: das Gefühl, beim wissenschaftlichen Networking eingeschränkt zu sein. Globale Forschungsuniversitäten haben naturgemäss globale Talentpools. Die Schweiz hat einen ausgezeichneten Ruf, internationale Talente einzubringen, und die Mobilität innerhalb der EU hat ihren Hochschulengeholfen zu gedeihen, nicht nur um gute Studenten, sondern auch gute Lehrkräfte anzulocken.

Unsere Rankings beurteilen die Internationalisierung anhand von drei Faktoren: Anzahl internationaler Studenten, Anzahl internationaler Lehrkräfte, Anzahl publizierter Forschungsartikel mit internationaler Ko-Autorenschaft. In diesen Listen befinden sich die Schweizer Universitäten an der Spitze.

Die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne sowie die Universität Genf sind unter diesen Gesichtspunkten die drei internationalsten Hochschulen. Es ist die weitergehende Botschaft, nicht mehr Teil dieses hochinteressanten Talentpools zu sein. Dieser Aspekt ist noch höher zu gewichten als der finanzielle.

swissinfo.ch: Einige Folgen werden sich erst später bemerkbar machen und sich auf das Universitätsranking auswirken. Gibt es weitere kurzfristige Gefahren für die Schweizer Universitäten?

P.B.: Ich glaube, dass die Gefahr eines sofortigen Reputationsschadens besteht. Es gibt bei unseren Rankings eine Menge objektiver Angaben. Wir betrachten die Einnahmen aus der Forschung, die Wirkung der Forschung durch Publikationen, das Verhältnis internationaler Lehrkräfte und Studierender. Wir haben derzeit 13 Indikatoren, und einige basieren auf strengen objektiven Angaben. Deshalb wird eine gewisse Zeit vergehen, bis es sich auswirkt.

Eine Reduktion der Anzahl internationaler Lehrkräfte wird sich eher längerfristig auswirken, und verminderte Forschungseinnahmen infolge des Ausscheidens aus verschiedenen europäischen Geldtöpfen zeigensich auch nicht von heute auf morgen. Aber wir haben auch globale Reputationsstudien, bei welchen tausende Studenten auf der ganzen Welt aufgefordert werden, die besten Institutionen zu nennen.

Es besteht die Gefahr, dass die Schweiz damit die Botschaft an den Rest der Welt schickt, dass Spitzentalente nicht mehr so willkommen und die Grenzen weniger offen sind. Womöglich gibt es sogar einen kurzfristigeren Reputationsschaden in Bezug auf globales Wissen, das sich nicht an nationale Grenzen hält. Es könnte also sowohl kurz- wie langfristig bei einigen Messwerten Reputationsschäden absetzen.

Der deutsche Archäologie-Forscher Christoph Höcker, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) lehrt, liess verlauten, dass er seine Arbeit beenden und nach Deutschland zurückkehren werde. Das Abstimmungsresultat habe nach dem verbreiteten «Bashing» gegen deutsche Einwanderer das Fass zum Überlaufen gebracht.

«Man kann [in Leserkommentaren der Zeitungen] immer wieder lesen, dass Deutsche heimgehen sollen», schrieb Höcker in einer Notiz zuhanden der Studierenden. Das werde er jetzt tun, und er sei sicher, dass ein Bauernjunge aus dem Kanton Obwalden seinen Job erfolgreich übernehmen werde.

swissinfo.ch: Gehen Sie davon aus, dass das Abstimmungsresultat die Schweizer Universitäten im Ranking dieses Jahres bereits zurück werfen wird?

P.B.: In Bezug auf die globale Reputation hätte das Abstimmungsresultat nicht zu einer ungünstigeren Zeit kommen können, weil wir in den nächsten Wochen die Umfragen über die Lehrkräfte des höheren Bildungsniveaus starten. Es [das Abstimmungsresultat] könnte in den Köpfen hängen bleiben.

swissinfo.ch: Wie wichtig sind die Rankings für das langfristige Überleben der Universitäten?

P.B.: Sie beeinflussen das Verhalten der Studenten sehr stark. Studenten auf der ganzen Welt beziehen sich in Millionen von Fällen auf unsere Rankings bei der Frage, wo sie studieren sollen. Wir haben aber auch festgestellt, dass sie von Regierungen und Unternehmungen bei Investitionsentscheiden auf geopolitischer Ebene herangezogen werden.

Positionsverluste beim Ranking können sich also nicht nur auf die Rekrutierung der Studenten, sondern auch auf die internationale Zusammenarbeit auswirken und zu einer negativ Spirale führen.

Die Rektoren der Schweizer Hochschulen hatten sich nach der Abstimmung in einem offenen Brief an den Bundesrat gewandt und rasche Massnahmen verlangt, damit die Schweiz als gleichberechtigtes Mitglied an den EU-Programmen «Horizon 2020» und «Erasmus+» teilnehmen könne. Mehrere Stipendien, die von solchen Programmen abhängen, haben bestimmte Fristen.

Die Universitätsleitungen fordern ihre Professoren und Studenten auf, ihre Bewerbungen einzureichen, obwohl sie noch nicht wissen, wie sich die Dinge entwickeln.

«Die Institutionen sind sehr besorgt. Sie wissen nicht, was sie ihren Forschern sagen sollen», sagt Patrick Aebischer, Rektor der ETH Lausanne. «Es gibt auch ein symbolisches Element – das Gefühl von weniger Offenheit gegenüber dem Rest der Welt».

«Unsere Offenheit ist bestimmend für uns. Und wir machen uns grosse Sorgen über die Zukunft», sagt Antonio Loprieno, Rektor der Uni Basel.

Für Martin Vetterli, Präsident des Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds war das Abstimmungsergebnis «sehr bedrückend», zumal er davon ausgerechnet bei einem Besuch des Silicon Valleys in den USA erfuhr.

«Im Rahmen der Forschung waren die USA immer sehr offen. Das Land zieht Talente aus aller Welt an. Die Schweiz spielte in gewissem Sinn in Europa während langer Zeit die gleiche Rolle. Diesen Erfolg so leichtfertig aufzugeben, ist schmerzlich.»

(Übertragung aus den Englischen: Peter Siegenthaler)

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