1. Mai: Thermometer für die Arbeitgeber
Am Tag der Arbeit hoffen die Arbeitgeber, dass die Arbeitnehmer den sozialen Frieden erhalten wollen, auch wenn das Arbeitsklima rauer geworden ist.
Im Vorfeld des 1. Mai sprach swissinfo mit dem Direktor des Schweizerischen Arbeitgeber-Verbandes, Peter Hasler.
swissinfo: Peter Hasler, was bedeutet für Sie der 1. Mai?
Peter Hasler: Am Tag der Arbeit sollten wir über den Wert der Arbeit und über die Arbeitssituation der Bevölkerung nachdenken und vorausschauend diskutieren. Was heisst es, Arbeit zu haben oder keine Arbeit zu haben.
swissinfo: In der Öffentlichkeit wird der 1. Mai eher als «Kampftag» der Arbeitnehmer wahrgenommen. Hören die Arbeitgeber weg, oder nehmen sie die Chance wahr, früh zu erkennen, wo der Schuh drückt?
P.H.: Der 1. Mai ist für uns ein Thermometer für die Stimmung, und wir hören auch genau hin. Dass Forderungen gestellt werden, ist normal. Wir äussern uns nicht sofort dazu, denn es soll der Tag der Arbeitnehmer sein. Es ist ein Blick in die Arbeits-Zukunft, wo es um Grundsätzlicheres geht – oder gehen sollte – als um einen Franken mehr Lohn. Lohnverhandlungen führen wir jedes Jahr. Dazu braucht es keinen 1. Mai.
swissinfo: Das setzt aber eine Dialogfähigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern voraus. Ist der Dialog noch möglich oder ist er schwieriger geworden?
P.H.: Der Dialog ist nach wie vor gut möglich, auch wenn ab und zu ein Misston zu hören ist. Er wird tausendfach geführt, denn wir haben in der Schweiz ja rund 700 Gesamtarbeitsverträge. Es gibt Branchen, da geht es eher gesittet zu, aber auch solche, wo es lauter tönt. Das wissen wir seit langem. Zudem gab es in der Vergangenheit Zeiten, da waren Verhandlungen mehr Kampf und Schlacht als heute.
swissinfo: Überall ist Sparen angesagt. Das kostet auch Arbeitsplätze. Tragen eigentlich die Arbeitgeber diese Sparpolitik mit, die ja auch den Konsum dämpft?
P.H.: Wir sind fürs Sparen. Ich brauche jedoch lieber das Wort «entlasten», denn die Ausgaben der öffentlichen Hand steigen laufend an. Von Sparen ist eigentlich keine Rede, sondern wir beschränken uns darauf, das Wachstum der Ausgaben zu bremsen. Das ist unumgänglich, sonst werden die Staatsquote und die Soziallast-Quote zum Horror. Schon heute arbeitet der Bürger ein halbes Jahr nur noch für den Staat und die Soziallasten. Was wir nicht «blind» unterstützen, ist der Abbau von Personal und Löhnen bei der öffentlichen Hand.
swissinfo: Stark ins Bewusstsein der Öffentlichkeit sind die Millionenbezüge etlicher Manager gedrungen. Auf der andern Seite sind Lohnerhöhungen für das Gros der Arbeitnehmer kein Thema.
P.H.: Beides ist nicht ganz zutreffend. Der Arbeitnehmer hat in den vergangenen Jahren mehr Lohn gekriegt. Aber nicht im gleichen Ausmass wie die Topshots der grossen internationalen Firmen. Dort ist die Gehaltsentwicklung der letzten Jahre tatsächlich auffällig. Bei den Kadern der mittleren und kleinen Schweizer Aktiengesellschaften ist die Schere bei den Löhnen nicht derart bemerkenswert auseinander gedriftet wie in der «Champions League». Das macht uns Sorgen, denn die Politik könnte sich einmischen. Das aber lehnen wir ab, denn das Problem sollen die Aktionäre der betroffenen Firmen lösen.
swissinfo: Mehr und mehr werden Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Das macht hier den Arbeitnehmern Angst. Ist diese Entwicklung unvermeidlich? Verliert die Schweiz ihre Produktion?
P.H.: Ja, es ist nicht zu vermeiden. Diese Transformation vom Industrie- zum Dienstleistungs-Standort läuft seit 100 Jahren. Arbeitsplätze werden immer verlagert. In der Schweiz wird nur noch «das Beste» hergestellt, die höchste Qualität und die höchste Wertschöpfung. Arbeitsplätze, die diesen Kriterien nicht genügen, werden abgestossen. Ein dauernder Selektionsprozess. Das hat den Vorteil, dass hier die besten Arbeitsplätze erhalten bleiben und – das sagen Untersuchungen – es befruchtet den Werkplatz Schweiz. Denn es fliessen Know-how, neue Erkenntnisse und Aufträge zurück. Mit der Million Arbeitsplätze, die wir im Ausland geschaffen haben, schaffen wir auch wieder Arbeitsplätze in der Schweiz.
swissinfo: Bald stimmen wir über die Personenfreizügigkeit mit den neuen EU-Staaten ab. Auch wenn es Übergangsfristen gibt, ist die Angst vor Lohndumping da. Deutschland diskutiert Mindestlöhne. Wären sie auch für Mindestlöhne in der Schweiz?
P.H.: Wir sind einverstanden mit flankierenden Massnahmen. Da wäre es möglich – und ich betone möglich –, Mindestlöhne einzuführen. Aber nicht im Voraus. Möglicherweise findet gar kein Lohdumping statt, weil gar nicht so viele Arbeitnehmer in die Schweiz kommen. Die Einwanderung aus den 15 EU-Ländern, mit denen wir die Freizügigkeit haben, ist ja auch nicht so gross. Und die aufgedeckten rund 6% Verstösse betrafen nicht nur Lohndumping, sondern Schwarzarbeit, Ausländer-Bewilligungen oder Verstösse gegen das Arbeitsgesetz. Missbräuche gibt es wohl immer. Es gibt sie auch im Strassenverkehr. Trotzdem verbieten wir ihn nicht.
swissinfo-Interview: Urs Maurer
Peter Hasler wurde 1946 in Neuhausen geboren.
Studium der Rechte an der Universität Zürich.
Abschluss als Dr. jur. 1971.
Auditor am Bezirksgericht Meilen, 1971.
Sekretär des Arbeitgeber-Verbandes der Schweizer Maschinenindustrie, ASM, von 1974 – 1982.
Direktor des ASM von 1982 – 1993.
Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, seit 1993.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch