10 Jahre Schweizer Hilfe in Bosnien und Herzegowina
Seit 1996 unterstützt die Schweiz den Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina. Mit Investitionen von insgesamt 486 Mio. Franken ist sie eines der wichtigsten Geberländer im kriegsversehrten Land.
Die Schwerpunkte der vergangenen Jahre liegen im strukturellen Aufbau, aber auch in den Bereichen der Wirtschaftsförderung und staatlicher Reformen.
«Wir stellen nicht Lösungen zur Verfügung, sondern lediglich eine Plattform und unsere Erfahrungen. Die Schweiz ist kein Modell», erzählt Ruedi Schoch im Gespräch mit swissinfo.
Der Leiter des Koordinationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in Sarajevo fasst damit die zahlreichen Podiumsdiskussionen zusammen, welche die Schweiz aus Anlass der 10-jährigen Zusammenarbeit im ganzen Land organisiert hat.
Themen waren Mitspracherecht, Gemeindeautonomie, Integration von Minderheiten und Randregionen.
«Ein Ziel der in Bosnien und Herzegowina anstehenden Verfassungsreform ist die Stärkung des Zentralstaates unter Berücksichtigung der Anliegen der verschiedenen Entitäten», so Schoch.
Der Einbezug der Zivilgesellschaft, das ist auch das Schlüsselwort für Reformen und Aufbauprojekte in den Gemeinden. Verwaltungsabläufe müssen neu organisiert und vereinfacht werden.
Die Polizeireform – ein Kulturwandel
Mit Schweizer Hilfe wurden Trinkwasser- und Abwasseranlagen gebaut. «Hier haben wir unsere Erfahrungen eingebracht, um die Planung möglichst partizipativ zu gestalten.»
Im Herbst 2005 hat die Europäische Union mit Bosnien Herzegowina die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen begonnen. Ein erfolgreicher Abschluss setzt Reformen in verschiedenen Bereichen voraus.
So muss Bosnien Herzegowina die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien verbessern, die Verfassung erneuern und die bereits beschlossene Polizeireform umsetzen.
«Die Umsetzung der Polizeireform, das heisst Zentralisierung, aber auch nach objektiven Kriterien aufgeteilte Rayons, welche die teilstaatlichen Grenzen übergreifen. Dieser Kulturwandel führt zu Schwierigkeiten bei der Interpretation», führt Ruedi Schoch aus.
Die Schweiz hat ein Pilotprojekt initiiert und so beim Aufbau der Gemeinde-Polizeien mitgeholfen. «Wir haben mit den Leuten Fragen erörtert über die Aufgaben der Polizei und über allfällige Verbesserungen in den vergangenen Jahren.»
Vom Spezialisten zum Hausarzt
Eine Erfolgsgeschichte ist das Programm Familienmedizin der DEZA und der Stiftung «Partnerships in Health» des Genfer Universitätsspitals.
In Bosnien mangelt es an Familienärzten. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist ungenügend. Trotzdem gibt es relativ viele Spezialärzte, die zu hohen Tarifen praktizieren.
Seit 1998 sind mit Schweizer Hilfe rund 570 Ärzte sowie Krankenpflegerinnen und -pfleger ausgebildet worden. Diese arbeiten jetzt in Hausarztpraxen. Die Verantwortung für die Umschulungen liegt nun bei den bosnischen Behörden. Mittelfristig soll ein Anteil von 70% Allgemeinpraktikern erreicht werden.
Dank dem Programm konnte besonders die medizinische Versorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten entscheidend verbessert werden.
Zu komplizierte Verwaltung
Zwar ist die Wirtschaft von Bosnien und Herzegowina 2005 um rund 5% gewachsen. Gleichzeitig hat sich aber auch die Schere zwischen der armen Bevölkerung und der reichen Oberschicht weiter geöffnet.
«Die Arbeiter verdienen nach Abzug der Sozialkosten praktisch nichts», erzählt Ruedi Schoch. «Die Verwaltung ist viel zu kompliziert und funktioniert immer noch wie zu Zeiten des Sozialismus.»
Die extrem hohen Versicherungsprämien führten zudem dazu, dass die Löhne, welche die Unternehmen verrechnen müssen, zu hoch sind. «Bosnien Herzegowina ist hier im Vergleich zu Nachbarländern wie Kroatien eindeutig im Hintertreffen.»
Problem Arbeitslosigkeit
Insgesamt sind in den vergangenen Jahren mit Schweizer Hilfe rund 4000 Arbeitsplätze entstanden. Die DEZA setzt hier vor allem auf Investitionsförderung und den Aufbau von kleinen und mittleren Unternehmen.
«Die meisten neuen Arbeitsplätze sind in der Landwirtschaft, im Gemüse- und Früchteanbau und in der Holz- und Möbelindustrie entstanden» so Schoch.
Dass dies lediglich ein Anfang ist, belegt die Arbeitslosenquote, welche je nach Berechnungsgrundlage zwischen 20 und 40% beträgt. Bei der Generation der unter 28 Jährigen ist der Anteil der Arbeitslosen höher als 50%.
swissinfo, Andreas Keiser
Bis 1992 war Bosnien und Herzegowina eine Republik der Sozialistischen Föderation Jugoslawien.
1995 beendete der Friedensvertrag von Dayton einen fast 4 Jahre dauernden Krieg, bei dem rund 200’000 Menschen starben.
Seither ist das Land in 2 Teilstaaten(Bosnisch-Kroatische Föderation und Republika Srpska) sowie in den Distrikt Brcko aufgeteilt.
Gemäss der seither gültigen Verfassung hat der Zentralstaat nur wenige Kompetenzen.
Mit der Verfassungsreform sollen auch die komplizierten und teuren Staatsstrukturen vereinfacht werden.
Experten sehen darin eine unabdingbare Voraussetzung für die Umsetzung von Reformen und die weitere Annäherung an die Europäische Union.
Die Schweiz engagiert sich seit 1991 in Bosnien und Herzegowina.
Während und nach dem Krieg leistete der Bund Not- und Wiederaufbauhilfe in der Höhe von insgesamt 365 Mio. Franken.
Seit Ende der 1990er-Jahre liegt der Hauptakzent auf dem längerfristigen Aufbau von demokratischen Institutionen und einer funktionierenden Marktwirtschaft.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch