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Afrika leidet an zu viel – falscher – Hilfe

Sie kennt Afrika: Huguette Akplogan-Dossa aus Benin. Alliance Süd/Beat Stöckli

Der schwarze Kontinent kommt im Kampf gegen die Armut nicht voran. Trotz Unterstützung der Geberländer, zu denen auch die Schweiz gehört. Zwei Vertreter Afrikas weisen aufgekommene Kritik zurück.

Die Hilfe gehe an den Basisbereichen Ernährung, Gesundheit und Bildung vorbei, so das Fazit. Viel versickere in Bürokratie und Beraterdienste.

Ein Thema dominierte die Tagung zum 35. Geburtstag von Alliance Sud am letzten Freitag in Bern: die Replik auf jüngst geäusserte Kritik an der Schweizer Entwicklungshilfe für Afrika.

So hatte Justizminister Christoph Blocher vorgeschlagen, die Gelder angesichts der ausbleibenden Fortschritte entweder zu streichen und Afrika sich selbst zu überlassen, oder den Kontinent ein zweites Mal zu kolonialisieren.

Zwei Stimmen vom schwarzen Kontinent, der Ghanaer Charles Abugre sowie Huguette Akplogan-Dossa aus Benin, relativierten in engagierten Vorträgen solche Kritik.

Gehätschelter Mobutu

Die Milliardenhilfe für Afrika sei kein Misserfolg, sagte Abugre. Er illustrierte dies an den «Riesensummen», mit denen die USA, Frankreich und andere europäische Staaten in den 1980er-Jahren den zairischen Herrscher Mobutu unterstützt hatten.

«Ziel der Hilfe war, Mobutu als verlässlichen Verbündeten an ihrer Seite zu haben, und das hat funktioniert», erklärte der Entwicklungsökonom aus, der bei der britischen Hilfsorganisation Christian Aid die Abteilung für internationale Beratung leitet.

In den 1990er-Jahren hätten die afrikanischen Staaten die Einfuhrzölle auf Handelswaren von 71% auf 20% gesenkt, sich also gegenüber dem Weltmarkt geöffnet, getreu den Vorgaben von Internationalem Währungsfonds und Weltbank.

«Auch diese Hilfe ist – aus Sicht der Geberländer – erfolgreich gewesen, denn der liberalisierte Welthandel machte den Rohstoff-Abbau lukrativer.» Für die Menschen in Afrika hingegen bezeichnete Abugre die Periode als «verlorene 20 Jahre».

Taten, auch von der Schweiz

Er forderte deshalb eine «bessere Entwicklungshilfe», welche das Recht der afrikanischen Staaten auf Souveränität respektiere. Konkret müssten die Geber Anreize schaffen, um die Kapitalflucht aus Afrika und Geldwäscherei-Mechanismen zu verhindern, welche korruptes Geld anzögen.

«Dazu kann die Schweiz als unabhängiges Land einen grossen Beitrag leisten», so Abugre. Seine Vision: «Wir wollen als konkurrenzfähige Wirtschaft wachsen, die ethischen Regeln folgt.»

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Alliance Sud

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Alliance Sud wurde 1971 als gemeinsame entwicklungspolitische Lobbyorganisation der sechs grossen Schweizer Hilfswerke unter dem Namen Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke gegründet: Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks. Das Ziel von Alliance Sud ist es, die Schweizer Politik für die Bedürfnisse der Ärmsten in der Welt zu sensibilisieren. Dies geschieht hauptsächlich mit Kampagnen, Konferenzen…

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Bürokratie und technische Hilfe

Die Beninerin Huguette Akplogan-Dossa zeigte anhand der Zahlen für 1990 bis 2000, dass in ihrem Land die Entwicklungsgelder an den Bedürfnissen der Menschen vorbei geflossen seien.

«Nur 18% der gesamten Entwicklungshilfe von 3,5 Mrd. Franken gingen in die Bereiche Bildung und Gesundheit», sagte die Leiterin der Nichtregierungs-Organisation Social Watch. Dagegen seien knapp 25% in die Bürokratie versickert und gar 30% an externe Berater in die technische Hilfe gegangen.

Projekte in der Landwirtschaft – wo 80% der knapp sieben Millionen Einwohner Benins tätig sind – wurden mit gerade 8% der Hilfsgelder bedacht.

Weil die Armut in Benin in «besorgniserregendem Ausmass» zugenommen habe, sind die Millenniumsziele zur Verringerung der akuten Armut bis 2015 laut Akplogan-Dossa in weite Ferne gerückt.

Mehr Hilfe = mehr Budgethilfe

Sie verlangte von den Gebern mehr Hilfe für Benin, dies in Form von Budgethilfe. Mit den Mitteln aus der Staatskasse könnten dann dringend benötigte Infrastrukturbauten auf Gemeinde-Ebene finanziert werden. Denn die auf Druck der Geber initiierte Dezentralisierung sei stecken geblieben, weil die Transferzahlungen aus der Staatskasse in die Gemeinden ausgeblieben seien.

Die Schweiz gehört zu den wenigen Ländern, welche Benin mit einer Budgethilfe unterstützen, dies mit fünf Mio. Franken für vier Jahre.

Gegenüber swissinfo plädierte die Beninerin für die Schaffung einer einzigen Kasse für sämtliche Entwicklungsgelder aus dem Ausland. Social Watch verfüge über die nötigen Instrumente, um die Verwaltung dieser «Caisse unique» überwachen zu können, sagt sie selbstbewusst.

Dennoch schliesst die Tatkraft versprühende Frau mit einem pessimistischen Ausblick. «Entscheidend ist die Mobilisierung von Mitteln für die lokale Entwicklung. Dort sind wir derart in Rückstand, dass wir nur noch auf Hilfe von aussen warten können.»

Stärkung despotischer Herrscher wie Mobutu, Liberalisierung, Dezentralisierung: Angesichts der wechselnden Politiken der Geberländer in Afrika kam ein Tagungsteilnehmer, selber Schwarzafrikaner, zum vielleicht wahrsten Schluss: «Afrika leidet nicht an zu viel Entwicklungshilfe, sondern an zu viel Theorien.»

swissinfo, Renat Künzi, Bern

Benin:
Fläche: 112’622 km2
Bevölkerungszahl: 6.7 Mio
Lebenserwartung Männer: 53 Jahre
Lebenserwartung Frauen: 57 Jahre
Kindersterblichkeit: 9.3%
Analphabetismus Männer unter 15 Jahre: 51,3%
Analphabetismus Frauen unter 15 Jahre: 74,2%
Brutto-Sozialprodukt pro Person: 440 US-Dollar im Jahr

2005 hat die Schweiz 2,206 Mrd. Fr. für Entwicklungshilfe ausgegeben.

Dazu gehören die Budgets der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), internationale friedenserhaltende Missionen, Direktzahlungen an UNO-Agenturen und Hilfe von Kantonen und Gemeinden.

Ebenfalls inbegriffen sind 178 Mio. Fr., die für Asylsuchende ausgegeben wurden und 279 Mio. Fr. zur Entschuldung von armen Nationen (Schuldenerlass).

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