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Alternative Medizin gekippt

Akkupressur der Chinesischen Medizin: Sie fällt bald aus dem Leistungskatalog. Keystone

Fünf komplementärmedizinische Fachrichtungen werden aus dem Leistungskatalog der Grundversicherung der Krankenkassen gestrichen.

Das Departement des Inneren begründet den Entscheid mit dem ungenügenden Nachweis der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit.

Der Bund verpflichtet die Krankenversicherer nicht mehr dazu, für Leistungen bei der anthroposophischen Medizin, der Homöopathie, der Neuraltherapie, der Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) und der traditionellen Chinesischen Medizin aufzukommen.

Laut dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) müssen Leistungen von Ärzten und Therapeuten dieser Fachrichtungen von der Grundversicherung nur noch bis Ende Juni bezahlt werden.

Initiative wahrscheinlich

Über die Anerkennung der Komplementärmedizin wird wahrscheinlich auch das Volk noch entscheiden können. Bereits parat, aber noch nicht eingereicht ist eine Volksinitiative mit dem Titel «Ja zur Komplementärmedizin», die nach Angaben der Initianten von über 135’000 Schweizerinnen und Schweizern unterschrieben ist.

Die Initiative will die alternative Komplementärmedizin der Schulmedizin gleichstellen.

Befristete Aufnahme im Juli 1999

Die fünf Fachgebiete waren am 1. Juli 1999 befristet in den Leistungskatalog der Grundversicherung aufgenommen worden. Es lasse sich nicht genügend nachweisen, dass sie den gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG) zentralen Geboten der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit genügten, begründete das EDI den Entscheid.

Das Departement will die Streichung aber nicht als Verdikt gegen die Komplementärmedizin verstanden wissen. Es gehe lediglich um die Leistungspflicht der Krankenversicherer, hält das EDI in seiner Mitteilung fest. Der gesamte Leistungskatalog der Grundversicherung werde nun überprüft und, wo nötig, Konsequenzen gezogen.

Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit

Dem Gesundheitsminister Pascal Couchepin war Mitte Mai eine Empfehlung der Eidgenössischen Leistungskommission (ELK) zugestellt worden. Die Schweizerische Ärztegesellschaft hatte als Kompromiss vorgeschlagen, die Komplementärmedizin zwar definitiv in die Grundleistungen aufzunehmen, wobei die Krankenkassen sie mit einer kleinen und freiwilligen Zusatzprämie kombinieren sollten.

Dem Entscheid vorangegangen war ein Streit um die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Art von sanfter Medizin. Studien hatten seit 1999 deren Wirksamkeit untersucht. Ein vom Bund finanziertes «Programm Evaluation Komplementärmedizin» (PEK) fand einiges heraus, doch durfte im April 2005, also noch vor dem Entscheid, nichts veröffentlicht werden.

Jährlich rund 87 Mio. Franken Aufwand

Gesundheitsökonom Hans-Peter Studer hatte nach einer Befragung von 256 Komplementär-Medizinern den Aufwand, den diese Behandlung die Grundversicherung kostet, auf jährlich knapp 87 Mio. Franken geschätzt.

Alle Methoden seien günstiger als entsprechende schulmedizinische, so Studer. Was die Wirksamkeit betrifft, analysierte das PEK fast 180 klinische Studien, deren Resultate der ELK zugänglich waren.

FMH: Undifferenzierter Entscheid

Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH hat von einem undifferenzierten Entscheid Couchepins gesprochen. Damit werde am falschen Ort gespart, teilte sie am Freitag mit.

Zwar unterstütze die FMH grundsätzlich alle Bemühungen, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken, nur sei eben gerade die
Komplementärmedizin verhältnismässig billig.

Führt der Entscheid zu Zweiklassen-Medizin?

Die Union schweizerischer komplementärmedizinischer Ärzteorganisationen bedauert den Beschluss von Bundesrat Pascal Couchepin und sieht darin einen Fehlentscheid mit weit reichenden Folgen.

Der Entscheid missachte den Volkswillen und führe zu einer Zweiklassenmedizin. Viele kinderreiche Familien und «Working Poor» könnten sich keine Zusatzversicherung leisten, alte und kranke Menschen würden nicht aufgenommen.

Zwei Drittel der Patienten litten aber an chronischen Krankheiten, bei denen die Kompelementärmedizin oft besser helfe als die Schulmedizin.

Zurückhaltende Krankenkassen

Der Krankenkassendachverband Santesuisse verzichtet auf eine offizielle Stellungsnahme zum Entscheid des Bundesrats. Santesuisse-Sprecherin Nicole Bulliard wies auf Anfrage darauf hin, dass es in der Branche verschiedene Meinungen zu der Frage gebe.

Insgesamt verstehe man den Entscheid aber, weil auf einer wirtschaftlichen Ebene die Wirksamkeit der Komplementärmedizin nie habe bewiesen werden können.

SKS: «Pflästerlipolitik»

Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) kritisiert den «politisch-willkürlichen Ausschluss» der Komplementärmedizin aus der Grundversicherung. Statt Kosten zu sparen, verlagere Couchepins «Pflästerlipolitik» ständig Kosten – auf den Buckel der Versicherten und Patienten.

Dies freue nur die Pharmaindustrie, die sich weiterhin eine goldene Nase verdiene mit überteuerten Medikamenten.

swissinfo und Agenturen

In der Schweiz gibt es gegenwärtig 270 behandelnde Homöopathen,
300 bis 400 Spezialisten für traditionelle Chinesische Medizin (ohne Akkupunktur),
250 Phytotherapeuten,
106 Neuraltherapeuten,
150 anthroposophische Mediziner.

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