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Altweibersommer – und kein Ende

"Altweibersommer" in der Schweiz - klimatisch ein recht rares Ereignis. Keystone

Die Statistiken von MeteoSchweiz stellen klar: Noch nie ergaben die Messungen für die Herbstmitte in der Schweiz derart hohe Temperaturen.

Der letzte Rekord-Herbst, der ins Jahr 1987 zurückreicht, ist nun um ein Grad Celsius übertroffen worden. Laut MeteoSchweiz fallen derart warme Herbstzeiten alle 50 bis 100 Jahre einmal an.

Doch es kommt noch besser: Aufgrund von Methoden der statistischen Extrapolation war es möglich zu berechnen, dass dieser Herbst bisher wahrscheinlich der wärmste seit 500 Jahren gewesen ist.

«Als variable Grösse könnte zum Beispiel das Datum der Weinlese dienen», erklärt Fosco Spinedi von MeteoSchweiz gegenüber swissinfo. «Wurde früher die Traubenernte nach vorn verlegt, heisst das, dass der vorangegangene Sommer warm gewesen sein muss. Von solchen Beobachtungen ausgehend können Forscher auf plausible Weise Durchschnitts-Temperaturen rekonstruieren.»

Nördlich der Alpen noch milder

Weshalb ist es denn diesen Herbst derart mild gewesen? «Wir befinden uns unter einem konstanten Hochdruck-Einfluss, in Kombination mit subtropischer Warmluft», sagt Spinedi. «Das ist der Grund für die überdurchschnittlichen Temperaturen.»

Diese Konstellation an sich sei nichts aussergewöhnliches, besonders nicht in der Südschweiz. Anhaltend warme November-Temperaturen werden dort «Sankt-Martins-Sommer» genannt – im deutschsprachigen Volksmund als «Altweiber-Sommer» bekannt.

«Aussergewöhnlich jedoch ist die Dauer dieser Konstallation – besonders nördlich der Alpen», so Spinedi.

Blätter fallen nicht von den Ästen

Man wähnt sich deshalb mitten im November in einer Art Frühling: Die Natur bleibt zugänglich, Knospen treten wieder hervor, die Blätter verbleiben an den Ästen, und fallen erst mit einer Verspätung von mehreren Wochen.

Laut MeteoSchweiz sind die Bäume und Pflanzen dieses Jahr im Herbst intensiver gefärbt gewesen. Die raren Niederschläge sorgten dafür, dass die Blätter nicht sofort verfault sind. Und der nur seltene Frost trug dazu bei, dass die Blätter hängen blieben.

Die Natur schläft nicht: Die Blumen sind bis vor kurzem ungewöhnlich farbig für diese Jahreszeit gewesen. Doch dies bleibt nicht ohne Folgen: Blumen, die jetzt schon blühen, weil sie von der Milde geweckt werden, bleiben im kommenden Frühling eher unter der Erde oder bringen nur kleinere Blüten hervor.

Wie das Schneeglöckchen beispielsweise, das üblicherweise ja das Ende des Winters ankündigt.

Zufriedene Tierwelt

Die Amseln beginnen wieder zu zwitschern – «extrem rar für diese Jahreszeit», wie Hans Schmid von der Vogelwarte Sempach sagt. «Die meisten Vogelarten geniessen die Temperaturen, weil diese den Zugang zu Futter verlängern.»

Aber nicht nur die Vögel profitieren. Auch Hirsche, Rehe, Wildschweine, Gämsen und Steinböcke lassen es sich gut gehen.

Letztere beiden Arten sind noch in Höhen anzutreffen, die sie normalerweise um diese Jahreszeit schon hätten verlassen müssen.

Besonders seit 1980

Besonders seit 1980 kommt es in der Schweiz vermehrt zu milden Herbst-Jahreszeiten, wie die Auswertung der Daten bestätigt.

Generell wurde mit dem globalen Klimawechsel der Herbst in der alpinen Region wärmer. Das dürfte auch in Zukunft so bleiben.

Doch die höheren Temperaturen beschränken sich nicht nur auf den Herbst. «Die globale Erwärmung zeigt sich vor allem in den Zwischenstationen Frühling und Herbst», sagt Spinedi.

Kommender Winter wird milder

Gemäss den Wetterstatistiken wird aber auch der Winter tendenziell wärmer. «Der kommende Winter dürfte wohl auch milder sein.»

Doch derart wichtige klimatische Ausnahmen wie der laufende Herbst werden wohl auch künftig rar bleiben, schätzt Spinedi. Trotz dem veränderten Klima wird er wohl kaum zur Regel.

Laut Klimamodellen nimmt mit der langsamen Erwärmung auch die Tendenz zu extremen Ausschlägen zu. «Damit muss man leben lernen», so Spinedi.

CO2 als Schlüsselgrösse

Einmalige Ausschläge können zwar nicht in einen direkten Zusammenhang mit dem Klimawechsel gebracht werden: «Dennoch handelt es sich höchstwahrscheinlich um Signale,» sagt der Meteorologe.

«Die Atmosphäre erwärmt sich wegen ihrer veränderten chemischen Zusammensetzung, in erster Linie wegen dem CO2.» Erhöhe sich dieser Kohlendioxid-Anteil, erhöhe sich auch die Temperatur. «Deshalb versucht man ja, die CO2-Emissionen zu bremsen.»

swissinfo, Françoise Gehring
(Übertrag aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Der Temperaturausschlag von 2 bis 3 Grad Celsius über der Herbst-Norm 2006 bringt diesen Herbst in die Nähe des Rekordsommers 2003.

Damals betrug der Ausschlag gegenüber der Juli-August-Norm 4 bis 5 Grad.

Statistisch dürfte ein derartiges Übermarchen alle 100 bis 200 Jahre eintreten. Der Sommer 2003 gilt somit als extremer als der laufende Herbst.

Die Monate September und Oktober 2006 waren seit 1864 die wärmsten. Seit 1864 wird in der Schweiz regelmässig die Lufttemperatur gemessen.

«Indian Summer», «Estate di San Martino» oder Altweiber-Sommer? Geografische Regionen und Kulturgebiete.

Der Begriff «Indian Summer» stammt aus Neuschottland und Quebec. Die Herbstmilde wird dabei hervorgerufen vom Golfstrom.

Der «Indian Summer», der auf eine Frostwelle folgt, umfasst eine Serie von warmen und sonnigen Tagen. Dieses Wetter-Ereignis tritt gewöhnlich zwischen Mitte Oktober und November ein.

Die Bezeichnung geht auf die Indianer zurück, die diese Tage nutzten, um die Ernte einzubringen, bevor der Winter endgültig einbrach.

Im Mittelmeer-Gebiet nennt man die warmen Herbsttage, besonders im November, «Estate di San Martino» (St.Martins-Sommer).

Diese gehen auf eine Legende von Sankt Martin zurück. Dabei öffnete sich, als dieser an einem besonders kalten Tag seinen Mantel mit einem Armen teilte, der Wolkenhimmel und die Sonne trat wärmend heraus.

Der «Altweiber-Sommer» auf deutsch bezieht sich auf eine milde September-Periode. Der Name leitet sich von den Baldachin-Spinnen ab, die im Herbst durch die Luft segeln («Weiben» für «Weben»).

Ein Gericht in Deutschland hielt 1989 fest, dass der Gebrauch des Ausdrucks «Altweiber-Sommer» durch die Medien keinen Eingriff in die Persönlichkeitesrechte älterer Frauen darstellt.

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