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Alzheimer-Wirkstoff aus Abwasserkanal

Nostoc-Kolonie und isolierter Wirkstoff im Reagenzglas von Studienleiter Karl Gademann. (Bild: K.Gademann) K. Gademann

Ein Forscherteam der ETH und der Uni Zürich hat einen Wirkstoff entdeckt, der möglicherweise gegen die Demenzkrankheit Alzheimer eingesetzt werden kann.

Der neue Stoff ist ein Molekül, das aus einem Naturstoff gewonnen wird, der in Abwässerkanälen der USA vorkommt.

Das Molekül Nostocarboline wurde aus dem Cyanobakterium Nostoc 78-12 A gewonnen. Cyanobakterien werden oft fälschlich als Blaualgen bezeichnet. Sie sind Bakterien, die Photosynthese und vielfach auch Stickstoff-Fixierung betreiben können.

Einem Forscherteam der ETH Zürich und der Universität Zürich unter der Leitung von Karl Gademann vom Laboratorium für Organische Chemie der ETH und Friedrich Jüttner vom Institut für Pflanzenbiologie der Uni Zürich ist gelungen, den Wirkstoff Nostocarboline zu isolieren.

Cholinesterase-Hemmer

Bei Tests im Reagenzglas setzte das Molekül Nostocarboline das Enzym Cholinesterase ausser Gefecht. Das ist deshalb von Bedeutung, weil das Eiweiss Cholinesterase mitverantwortlich ist für die Alzheimer-Krankheit.

Cholinesterase baut den Botenstoff Acetylcholin ab. Der ist notwendig, damit das Hirn Informationen verarbeiten und speichern kann.

Wird nun die Cholinesterase unschädlich gemacht, erhöht sich der so genannte Acetylcholin-Pegel, so dass der Krankheitsverlauf verzögert wird.

Noch kein Alzheimer-Medikament

Heisst das nun, dass bald einmal ein Heilmittel gegen Alzheimer zur Verfügung steht? Nein, sagt Karl Gademann gegenüber swissinfo.

«Was wir hier an der Universität machen, ist Grundlagenforschung. Somit stehen wir ganz am Anfang einer Entwicklung.» Das Team habe ein Molekül gefunden, das sich als nützlich erweisen könnte.

Die Suche nach dem Wirkstoff sei eine Fleissarbeit gewesen, sagt Gademann. Hunderte von verschiedenen Substanzen mussten nämlich extrahiert und auf ihre Wirksamkeit geprüft werden.

«Hoffnung besteht, aber es wird noch Jahre dauern, bis wir allenfalls ein Medikament am Menschen testen können», sagt Gademann.

Als einer der weiteren Schritte müsse nun eine Pharmafirma gefunden werden, die mithelfe, die Forschung weiter zu treiben.

«Dann müssen wir den Stoff an Mäusen testen, später an höheren Primaten.» Erst, wenn das alles erfolgreich verlaufen sei, könne der Stoff klinisch am Menschen getestet werden. «Noch wissen wir nicht, was für Nebenwirkungen uns begegnen werden», sagt Gademann.

«Noch einmal, Hoffnung darf sein, aber es wird noch eine lange Zeit dauern. Etliche Jahre.»

Cyanobakterien neu entdeckt

Interessant sei in diesem Falle auch, so Karl Gademann, dass mit dem Cyanobakterium Nostoc 78-12A ein Naturstoff isoliert werden konnte in einer Zeit, in der es die Naturstoff-Forschung nicht leicht habe.

Cyanobakterien, so die tägliche Internetzeitung ETHLife, seien uralte Organismen und gehörten zu den ältesten Lebewesen der Erde. Schon vor 3 Mrd. Jahren seien sie aufgetreten.

Sie können wie die grünen Pflanzen Photosynthese betreiben und haben massgeblich zum Aufbau der sauerstoffhaltigen Atmosphäre der Erde beigetragen.

Allerdings fehlt ihnen ein echter Zellkern, weshalb sie keine Algen sind. Viele Cyanobakterien bilden starke Toxine und Wirkstoffe, welche für die Medizin interessant sind. Deshalb habe man in diesem Fall einen uralten Organismus für die Medizin neu entdeckt, schreibt ETHLife.

swissinfo

Die Krankheit wurde erstmals 1907 durch den deutschen Psychiater und Neuropathologen Alois Alzheimer beschrieben.

Sie ist gekennzeichnet durch eine fortschreitende Zerstörung von Hirnzellen. Die Folgen sind ein langsamer Schwund der geistigen Fähigkeiten, namentlich von Gedächtnis und Orientierungssinn.

Die Ursache ist bis heute nicht geklärt.

Betroffen sind vor allem ältere Menschen. Bei den über 65-Jährigen geht man von rund acht Prozent Erkrankten aus. Zehn Prozent der Fälle betreffen aber Personen zwischen 30 und 50 Jahren.

Weltweit leiden mehr als 24 Mio. Menschen an Alzheimer oder anderen Demenzkrankheiten.
Diese Zahl dürfte sich in den kommenden 20 Jahren verdoppeln. Laut dem britischen Fachmagazin The Lancet erkrankt alle sieben Sekunden ein Mensch an Alzheimer.
In der Schweiz leiden rund 90’000 Menschen an einer fortschreitenden und irreversiblen Hirndegeneration.

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