Anerkennung der Rolle der Väter
Der Vaterschaftsurlaub wird im Gesamtarbeitsvertrag des Grossunternehmens Swisscom festgeschrieben. Auch andere Firmen ziehen nach.
Durchschnittlich sind es ein bis drei Tage. So erscheint der zweiwöchige Urlaub bei Swisscom wie eine kleine Revolution. Aber die Schweiz ist noch nicht bereit, das Prinzip gesetzlich zu verankern.
Anders als beim Mutterschaftsurlaub, der erst vor drei Jahren ins Gesetz aufgenommen wurde, kennt die Bundesgesetzgebung keinen Vaterschaftsurlaub. Die privaten und öffentlichen Institutionen legen in der Schweiz die Anzahl Tage selber fest.
Im Durchschnitt bekommen die Männer drei Tage frei. Einige Unternehmen, Gemeinden sowie der Kanton Genf gewähren fünf Tage. So viel gibt es auch bei der SRG SSR idée suisse. Ihr Gesamtarbeitsvertrag (GAV) sieht seit 2001 fünf Tage vor.
Andere Unternehmen geben den Eltern die Möglichkeit, unbezahlten Urlaub zu nehmen, mit der Garantie, ihre Stelle danach wieder antreten zu können.
Der Rückversicherer Swiss Re bietet bereits seit 1999 einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. «Jedes Jahr machen 80 bis 100 Männer davon Gebrauch», bescheinigt Beat Werder, der Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit. Aber der Urlaub wurde nicht in den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) aufgenommen.
Eine Frage der Gleichstellung
Dass die Swisscom jetzt beschlossen hat, den Vaterschaftsurlaub im GAV festzuschreiben, ist in der Schweiz also ein Novum. Und die Gewerkschaften wollen noch weitergehen.
«Wir haben 2006 zum Jahr der Gleichstellung ernannt. Der Vaterschaftsurlaub wird ganz klar eines unserer Hauptthemen», bestätigt Christian Levrat, der Direktor der Gewerkschaft Kommunikation, die den neuen GAV mit Swisscom ausgehandelt hat.
«Natürlich ist es nicht der Vater, der das Kind auf die Welt bringt. Aber die Eltern sollten die ersten Wochen ihres Kindes zusammen erleben können», begründet der Sozialdemokrat den Wunsch der Gewerkschaften. «In diesem Sinne spielt der Vaterschaftsurlaub eine wichtige Rolle in der Organisation einer Gesellschaft.»
Verankerung im Gesetz?
Politisch scheint die Schweiz aber noch nicht bereit, das Prinzip des Vaterschaftsurlaubs in der Bundesgesetzgebung festzuschreiben. Die Wirtschaft und die Rechte würden das heftig bekämpfen.
So findet Alexandre Plassard vom Arbeitgeberverband: «Gesamthaft sind wir gegenüber allem positiv eingestellt, das hilft, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bringen. Aber diese Massnahmen müssen von den Unternehmen gefasst werden. Wenn das Prinzip gesetzlich festgeschrieben wird, würde man damit die Unternehmen zu sehr mit zusätzlichen Kosten belasten.»
Schritt für Schritt
Christian Levrat ist sich bewusst, dass ein solches Projekt zur Zeit politisch keine Chance hat. «Ich glaube, dass das Thema noch nicht reif ist für eine Debatte auf Bundesebene», räumt er ein.
„Wir brauchten 50 Jahre, um die Mutterschaftsversicherung im Gesetz zu verankern. Dies geschah erst, als sie in den meisten grossen Unternehmen bereits Realität war. Und das wird mit dem Vaterschaftsurlaub sicher nicht anders», fügt Levrat bei.
Der Gewerkschafter glaubt, dass eine schrittweise Ausweitung auf das ganze Land über die grossen Gesamtarbeitsverträge geschehen muss. «Wir gehen Schritt für Schritt vor. Das ist die einzige Möglichkeit, eine solche Idee voran zu bringen.»
Der Wert der Arbeit
Und die Väter, sind sie bereit? «Gefühlsmässig ja», meint der Soziologe François Hoepflinger. «Die Unterschiede zwischen Frau und Mann sind aufgehoben, heute haben sie eine ähnliche Haltung gegenüber ihren Kindern. Aber nach wie vor gibt es in der Praxis viele Hindernisse. In der Schweiz wie im übrigen Europa.»
Schweden, das für seine avantgardistische Familienpolitik bekannt ist, hat einen langen Elternschaftsurlaub eingeführt (450 Tage), aufgeteilt zwischen Vater (mindestens ein Drittel) und Mutter. Aber laut Hoepflinger ist es noch zu früh, um die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des skandinavischen Modells abzuschätzen.
Zwei Tage Zeit
«Aber wir stellen fest, dass die Väter – die meist 100% arbeiten – zögern, einen langen Urlaub zu nehmen. Denn die Elternschaft fällt meist in die Zeit, in der man seine Karriere aufbaut, und sich da ein Jahr lang zu verabschieden, kann Probleme bereiten», betont der Soziologe.
Dagegen ist Hoepflinger überzeugt, dass die künftigen Väter einen zweiwöchigen Urlaub wie jenen bei der Swisscom begrüssen und die Chance, ihr Neugeborenes richtig kennen zu lernen, ergreifen würden.
«Es wäre gut, wenn die Schweizer Väter diese neue Verantwortung ebenfalls übernähmen», fügt Christian Levrat bei. «Zur Zeit haben sie gerade mal ein oder zwei Tage Zeit dafür. Gerade genug, um mit ihren Freunden zu feiern und sich davon zu erholen, bevor es zurück an die Arbeit geht!»
swissinfo, Alexandra Richard
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Am 26. September 2004 sagte das Schweizer Volk ja zum Mutterschaftsurlaub – nach 50 Jahren und mehreren Abstimmungen.
Die Väter erhalten bei der Geburt ihres Kindes im Durchschnitt einen bis drei Tage frei.
Ab 2006 erhalten die Angestellten der Swisscom einen Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen. Das Prinzip wurde im neuen Gesamtarbeitsvertrag festgeschrieben.
Seit 2002 gewährt Frankreich einen Vaterschaftsurlaub von elf Tagen, der während der ersten vier Monate nach der Geburt des Kindes zu beziehen ist. Laut einer 2004 veröffentlichten Studie haben 61% der Väter diesen Urlaub genommen.
In Schweden spricht man vom Elternschaftsurlaub. Er wird zwischen Vater und Mutter aufgeteilt. Der Vater muss mindestens einen Drittel des Elternschafsurlaubs beziehen, der sich auf 450 Tage beläuft.
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