Atommüll-Endlager: Die Schweiz als Vorbild
Bundesrat Moritz Leuenberger hat am Mittwoch vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestags das Schweizer Verfahren bei der Standortsuche nach einem Atommüll-Endlager erläutert und das Mitwirkungsrecht deutscher Gemeinden unterstrichen.
Die Debatte über ein Atommüll-Endlager ist in Deutschland hoffnungslos festgefahren.
Zwar wird der Salzstock im niedersächsischen Gorleben seit Jahren auf seine Sicherheit hin untersucht.
Doch ob er als Endlager taugt, ist unter Wissenschaftern umstritten.
Kommt hinzu, dass einzelne Bundesländer sowie Union und FDP den Vorstoss von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), die Standortsuche auf ganz Deutschland auszuweiten, erfolgreich blockieren.
Kein Wunder, ist Gabriel froh um jeden Impuls, der wieder Bewegung in die Diskussion bringen könnte.
Auch die Unterstützung des Schweizer Ministerkollegen kann da nützlich sein. Schliesslich steht das Nachbarland als Vorbild da, was das Auswahlverfahren nach einem Standort für die Lagerung von hochradioaktivem Abfall angeht.
Also lud Gabriel kurzerhand Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) nach Berlin ein, um am Mittwochvormittag vor dem Umweltausschuss des Bundestags das Schweizer Modell zu erläutern.
Rund zwei Stunden dauerte die Sitzung. Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) strich dabei vor allem einen Unterschied zwischen der Schweiz und Deutschland heraus.
So wende die Schweiz ein ergebnisoffenes Auswahlverfahren mit klar definierten und verbindlichen Kriterien an. «Nur ein transparenter Prozess unter Einbezug der Betroffenen ermöglicht wirklich Fortschritte in der Entsorgungsfrage», betonte Leuenberger vor den Parlamentariern.
Gleiche Rechte
In der Vergangenheit seien die Fragen der Schweizer Bevölkerung nach Alternativen und klaren Entscheidkriterien zu oft unbeantwortet geblieben, gab der Bundesrat zu.
Dies habe dazu geführt, dass die Bürgerinnen und Bürger des Kantons Nidwalden Nein zum Endlager Wellenberg in ihrem Kanton gesagt hätten. «Diese Erfahrung hat ein Umdenken in der Politik bewirkt.»
Tatsächlich hat die Schweiz inzwischen mehrere potenzielle Standortgebiete für ein Atommüll-Endlager definiert. Seit vergangenen November weiss die Bevölkerung, dass insgesamt sechs Orte (Sündranden, Wellenberg, Jura Südfuss, Züricher Weinland, Bözberg und Nördlich Lägern) für die Entsorgung von radioaktivem Abfall in Frage kommen und weiter untersucht werden.
Die Suche nach dem endgültigen Standort erfolgt in drei Etappen und wird rund zehn Jahre dauern. «Jede Etappe wird von einem breiten Anhörungsverfahren begleitet, in dem Kantone, Parteien, Organisationen, Bevölkerung und auch Nachbarstaaten miteinbezogen werden», erklärte Leuenberger den Parlamentariern.
Deutschland etwa sei im Ausschuss der Kantone vertreten. «Da sich mindestens zwei der möglichen Standorte in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze befinden, haben die Deutschen bei der Mitbestimmung absolut die gleichen Rechte wie die Schweizer», betonte der Bundesrat.
Kleine Schritte – langer Weg
Von einem derart breit abgestützten Entscheidungsprozess kann der deutsche Umweltminister nur träumen. «Ich würde mir wünschen, wir hätten auch nur ansatzweise eine solche Beteiligung wie in der Schweiz», sagte Gabriel im Anschluss an die Sitzung.
Auch dass die Schweizer sechs Standorte gleichzeitig prüften, begrüsste der Umweltminister. «Während wir zunächst Standort-Prioritäten gesetzt und dann erst die zugehörigen Kriterien entwickelt haben, gehen die Schweizer in umgekehrter Reihenfolge vor – was viel mehr Sinn macht.»
Voraussichtlich 2011 wird der Schweizer Bundesrat entscheiden, welche der sechs Standorte vertieft untersucht werden.
Spätestens 2018 soll der sicherste Standort definiert sein; dann kommt mit grosser Wahrscheinlichkeit das Schweizer Stimmvolk zum Zug, um via Referendum über das Endlager abzustimmen.
Im Gegensatz dazu steht in der repräsentativen Demokratie Deutschlands am Ende des Entscheidungsprozesses keine Volksabstimmung. Vielmehr verabschiedet der Bundestag ein entsprechendes Gesetz.
Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Bundesumweltminister Gabriel denkt denn auch lieber in kleinen Schritten: «Der nächste Bundestag muss es schaffen, ein deutschlandweites, transparentes und ergebnisoffenes Verfahren zur Suche nach einem Standort für ein Atommüll-Endlager zu verabschieden.»
Leuenberger sieht Deutschland dafür auf dem richtigen Weg. «Die Position Gabriels und der SPD sind nach der heutigen Sitzung gestärkt», freute sich der Bundesrat.
Paola Carega, Berlin, swissinfo.ch
Mehr
Referendum
Die Schweiz ist am Mittwoch der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) beigetreten.
Umweltminister Moritz Leuenberger unterzeichnete bei seinem Besuch in Berlin die entsprechenden Statuten.
IRENA ist erst am 26. Januar dieses Jahres in Bonn gegründet worden; ihr Ziel ist es, die Vernetzung zwischen den Staaten bei der Förderung erneuerbarer Energien voranzutreiben.
Die weltweite Organisation soll zu einer treibenden Kraft für die verstärkte Förderung erneuerbarer Energien in Industrie- und Entwicklungsländern werden.
Zudem soll IRENA ein institutionelles Gegengewicht bilden zur Internationalen Atomenergieagentur und der Internationalen Energieagentur.
Die Schweiz ist das jüngste Mitglied von IRENA, der nun insgesamt 83 Staaten angehören – darunter Deutschland, Spanien, Frankreich, die skandinavischen Länder, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Indien, Chile, Kolumbien, Nigeria und Kenia.
Der Beitritt soll es der Schweiz und ihren Unternehmen ermöglichen, sich beim Austausch von Wissen und Technologie sowie im internationalen Markt der erneuerbaren Energie aktiv zu beteiligen, heisst es aus dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).
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