Atommüll: Internationale Forschung im Jura
Die Schweiz setzt auf Opalinuston für die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Im Jura erforschen seit mehr als zehn Jahren Wissenschafter die Eigenschaften dieses Gesteins in einem Felslabor.
Trotz der positiven Resultate ist der politische Weg zu einem geologischen Tieflager noch lang und komplex.
St.-Ursanne, Idylle pur. Der Doubs nimmt hier seine letzte Kurve, bevor er endgültig nach Frankreich verschwindet. Touristen essen auf den Terrassen Forellen und geniessen die Mittagssonne.
Oberhalb des Städtchens führt die Autobahn unter dem Mont Terri in einen Tunnel. Der Sicherheitsstollen des Tunnels ist gleichzeitig die Zufahrt zum Felslabor.
Regenwasser dringt in grossen Mengen durch den Kalkstein. Die Szene ändert sich schlagartig. Jetzt sind die Wände trocken, kein Tropf Wasser ist mehr zu sehen.
«Kalkstein ist durchlässig, Opalinuston hingegen dichtet das Wasser ab», erklärt Paul Bossart. «Seit Beginn unserer Arbeiten konnten wir im Opalinuston keine Feuchtstellen beobachten, auch nicht entlang tektonischer Störungen.»
Das entspreche auch den jahrelangen Erfahrungen von Tunnel- und Erdölgeologen, führt der Direktor des 300 Meter unter der Erde gelegenen Labors aus.
Im Labor werden die Bedingungen im Hinblick auf die Sicherheit von Tiefenlagern experimentell und 1:1 im Tongestein abgeklärt. Als Endlagerstandort kommt der Mont Terri aus topographischen Gründen nicht in Frage.
Mehrjährige Experimente
«Viele Leute haben Bedenken gegenüber einem geologischen Endlager, weil sie fürchten, dass radioaktive Strahlen in die Luft austreten könnten. Das ist nicht der Fall. Gefährlich wäre die langfristige Vermischung mit dem Grundwasser», erklärt Markus Fritschi von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra).
Im Felslabor untersucht die Nagra zusammen mit ausländischen Partner-Organisationen die Wasser- oder etwa die Chlorid- oder Sulfat-Durchlässigkeit unter verschiedenen Bedingungen. Die Experimente erstrecken sich zum grossen Teil über mehrere Jahre und gehen auch der Frage nach, wie das Gestein auf Bohrungen reagiert.
«Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass Opalinuston einen Stollen tatsächlich gegen Wasser abzudichten vermag», hält Bossart fest. «Risse und Klüfte im Gestein schliessen sich relativ rasch.»
40 Jahre lang Zwischenlager
Hochradioaktive Abfälle können erst nach einer Zwischenlagerung von 40 Jahren Dauer endgelagert werden. So lange brauchen sie, bis sie auf 100 Grad Celsius abgekühlt sind.
Im Opalinuston ist Meerwasser eingelagert. Mit einem Experiment zeigten die Forscher auf, dass das Meerwasser auch über mehrere Monate einer Temperatur von 150 Grad standhält, bevor es sich bewegt. «100 Grad sind überhaupt keine Problem», erklärt Bossart.
Ein anderes Experiment befasst sich mit dem Verhalten des Gesteins bei Gasvorkommen. Dazu kann es kommen, wenn die Stahlbehälter, in die die Abfälle eingeschweisst werden, nach vielen Jahren zu rosten beginnen.
Tiefenlagerung gesetzlich vorgeschrieben
Bis zum Ende der Laufzeit der fünf schweizerischen Kernkraftwerke (KKW) werden insgesamt 110’000 Kubikmeter radioaktive Abfälle anfallen. Ein Viertel der schwach- und mittelaktiven Abfälle stammt aus der Medizin und der Forschung. Die hochradioaktiven Abfälle stammen aus den KKW.
Seit 2000 werden die Abfälle im aargauischen Würenlingen zwischengelagert. Das Kernenergiegesetz schreibt eine Endlagerung in einem geologischen Tiefenlager im Inland vor.
Geplant ist bis ins Jahr 2030 der Bau eines Endlagers für schwach- und mitteaktive- und bis 2040 eines für hochradioaktive Abfälle. Im Juni 2006 kam die Landesregierung zum Schluss, dass die Endlagerung von hochaktivem Abfall in einem geologischen Tiefenlager machbar ist.
Bereits 1988 erklärte die Regierung die geologische Endlagerung von schwach- und mittelaktivem Abfall für machbar.
Hoch komplexes Verfahren
Die Nagra hatte gleichzeitig mit dem Entsorgungsnachweis auch einen Standort im Opalinuston des Zürcher Weinlandes als geeignet befunden.
Die betroffenen Gemeinden, der Kanton Zürich und auch die Nachbarländer Deutschland und Österreich gingen postwendend auf die Barrikaden.
Die Landesregierung versucht nun mit einem so genannten Sachplan geeignete und von der Bevölkerung akzeptierte Standorte zu evaluieren. Sicherheitstechnische Kriterien stehen dabei im Vordergrund.
Das hoch komplizierte, mehrstufige Verfahren soll noch vor 2020 in einen definitiven Standortentscheid münden, der dem fakultativen Referendum unterstellt ist. Eine Volksabstimmung liegt also im Bereich der hohen Wahrscheinlichkeit.
swissinfo, Andreas Keiser, St.-Ursanne
Internationales Forschungsprojekt das vom Bundesamt für Landestopographie (swisstopo) geleitet wird.
12 Partner aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Japan, Belgien und Spanien sind daran beteiligt.
Besitzer ist des Terrains ist der Kanton Jura, der auch die Oberaufsicht hat,
Seit 1996 wurden 33,9 Mio. Fr. investiert. Die Schweiz beteiligt sich mit rund 30% an den Kosten.
Sedimentgestein, benannt nach den häufigen Fossilienfunden des Ammoniten «Leioceras opalinum».
Vor 180 Mio. Jahren aus Meeresablagerungen entstanden.
Kommt in der ganzen Nordschweiz, in weiten Gebieten Süddeutschlands und in Teilen Frankreichs vor.
1972: Gründung der Nagra.
1978: Publikation Entsorgungskonzept.
1982-1984: Bohrungen an 7 Standorten in den Kantonen Aargau, Schaffhausen und Zürich.
1993: Die Nagra schlägt Wellenberg als Standort für schwach- und mittelaktive Abfälle vor.
1996-1999 Bohrungen im Zürcher Weinland.
1995 und 2002: Die Nidwaldner Bevölkerung sagt zweimal Nein zum Lager Wellenberg.
2006: Laut Bundesrat ist ein Endlager technisch und geologisch machbar.
2007: Anhörungsverfahren zum Sachplan Tiefenlager.
2007-2016: Standortsuche.
2020 Wahrscheinlich Volksabstimmung über definitiven Lagerstandort.
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