Auftauender Permafrost als Gefahr für Seilbahnen
Rund 15 Prozent der Schweizer Seilbahnstationen sind wegen steigender Temperaturen einsturzgefährdet.
Die betreffenden Konstruktionen sind im ständig gefrorenen Untergrund, dem so genannten Permafrost verankert, der grosse Teile der Schweizer Berge zusammenhält.
Die heutigen Fundamente der hoch gelegenen Bergbahn-Stationen sind tief im Permafrost, also im «ewigen Eis», verankert. Taut nun wegen der Klimaerwärmung der Permafrost im Sommer auf, werden die Verankerungen instabil. Die Stationen oder die Seilmasten könnten wegrutschen oder einstürzen.
Eine Lösung wäre, neben den bestehenden Fundamenten zur Befestigung der Felsen Metallverankerungen anzubringen, wenn der Permafrost auftaut.
Laut einer vor kurzem in der Region St. Moritz durchgeführten Studie könnten jedoch einige Gebiete so unstabil werden, dass nicht einmal eine so drastische Lösung, wie der Abbau und der etwas weiter entfernte Wiederaufbau einer Seilbahnstation in Betracht gezogen werden könnte.
Die Station Corvatsch befindet sich in Graubünden, auf 3’300 Metern Höhe, direkt unter der gleichnamigen Bergspitze.
Vor drei Jahren wollte der Seilbahnbetreiber wissen, ob die Bergstation dort gefahrlos ein paar hundert Meter von der gegenwärtigen Stelle weg verlegt werden könnte.
Zwar gibt es jetzt eine neue Seilbahn von Surlej (1’870 Meter) zur Mittelstation Murtèl (2’700 M), die 35-jährige Bergstation aber muss renoviert werden.
Wenig Zeit
Permafrostexperte Felix Keller von der Engadiner Akademie wurde beauftragt, zu prüfen, ob eine Verschiebung der Station möglich ist.
Da die Zeit knapp ist, musste Keller wissen, mit welcher Art Blockgletscher er es zu tun hat.
Da allein die Kabel der neuen Konstruktion 250 Tonnen wiegen, ist die Stabilität des Felsuntergrunds entscheidend.
Zunächst musste er Luftaufnahmen aus dem Jahr 1955 studieren. Dabei fand er heraus, dass der angrenzende Gletscher seit damals um rund 40 Meter zurückgegangen ist.
«Wir wissen, dass dieser Teil des Felsuntergrunds erst seit 20 oder 30 Jahren eisfrei ist», erklärt Keller. «Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Hydrologie in den Felsen verändert hat.»
Keller liess Felsbohrungen vornehmen und konnte so feststellen, dass die Temperatur in den obersten 20 Metern des Permafrosts bei minus 3,6 Grad Celsius liegt.
Laborversuche und Computermodelle mit verschiedenen Temperaturen und unterschiedlichem Druck zeigten, dass der Fels bei minus fünf Grad stabil ist.
Wasserverlust
Zwar war der Felsuntergrund ursprünglich solid, trotzdem verlor er in einer Tiefe von ungefähr 14 Metern Wasser.
Deshalb, und weil das Gebiet voller Risse ist, hat Kellers Team ernsthafte Bedenken.
«Wir haben wirklich Bedenken hinsichtlich der Stabilität des ganzen Gebäudes, weil sich vor fünf Jahren ein grosser Riss zwischen dem Restaurant und der Seilbahnstation auftat», erklärte Keller.
Er kam schnell zum Schluss, dass am neuen Standort unmöglich gebaut werden kann, und dass der Betreiber auch die Temperaturen am aktuellen Ort genau beobachten muss.
Genaue Überwachung
Keller arbeitete in einem der am genausten überwachten Permafrostgebiete der Alpen – der Region Murtèl-Corvatsch. Seit 1987 werden in einem Bohrloch die Temperaturen im Blockgletscher Murtèl gemessen.
Zwischen 1987 und 1994 erwärmten sich die obersten 25 Meter um fast ein Grad Celsius, gefolgt von einer intensiven Abkühlung zwischen 1994 und 1996, als die Temperatur wieder fast gleich hoch lag wie 1987.
Seit 1996 steigende Temperatur im Permafrost
Experten sind sich einig, dass nur eine langjährige Überwachung Aufschluss über das Verhalten des Permafrosts und die mögliche Gefahr für hochgelegene Bauten wie Seilbahnen geben kann.
Die Überwachung dieses Gebiets allein ist eine Herausforderung. Die Bedingungen sind unwirtlich, und regelmässig unterbrechen Lawinen die Arbeit.
Letzten Winter zerstörte eine Staublawine die Sensoren und Masten der Murtèlforschungsstation und rissen sie 300 Meter weit den Berg hinab.
Die Arbeit muss aber weiter gehen: Rund 288 der 1’894 Schweizer Seilbahnbauten, die rund 150 von insgesamt 1’955 Kilometern ausmachen, sind in Permafrostböden verankert.
swissinfo, Vincent Landon
(Aus dem Englischen übersetzt von Charlotte Egger)
– Vier bis sechs Prozent der Schweiz ist von Permafrostböden bedeckt.
– In den Alpen über 2’500 Meter sind 33 Prozent des Bodens dauernd gefroren.
– Wissenschaftler haben grosses Interesse an den Auswirkungen der Klimaveränderungen.
– In der Region St. Moritz wird das Phänomen ausgiebig erforscht.
– Rund 288 der 1’894 Schweizer Seilbahnbauten sind in Permafrostböden verankert.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch