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Augen auf vier Pfoten

Schäferhund Duke wird zum Blindenhund ausgebildet. swissinfo.ch

Drei von vier Blindenhunde-Schulen in der Schweiz befinden sich in Schieflage. Der Grund: Weniger Spendengelder und neues Finanzierungs-System.

Bei der zweitgrössten Blindenhunde-Schule droht nun gar das Aus.

Duke, ein Schäferhund, Nera, ein Labradorweibchen, und der Appenzellerrüde Kay scheinen auf den ersten Blick ganz gewöhnliche junge Hunde, die vor allem eines im Kopf haben: viel Unsinn.

Zumindest in dem Augenblick, in dem ich sie zum ersten Mal sehe. Später werde ich eines Besseren belehrt, als einer der zukünftigen Blindenhunde bei einem Test demonstriert, was er in den ersten drei Monaten seiner Ausbildung gelernt hat.

Für jeden Geschmack einen Hund

Es gibt über 70’000 Sehbehinderte und Blinde in der Schweiz. Jedoch nur etwa 450 Personen entscheiden sich für einen Blindenhund. Zur Zeit bilden vier Schulen Hunde in der Schweiz aus. Gesetzlich hat jede blinde und sehbehinderte Person Anrecht auf einen Hund und muss dafür nichts bezahlen.

«Viele Menschen assoziieren Blindenführhunde automatisch mit Labradors. Aber es gibt andere Rassen, die sich genau so gut, wenn nicht besser eignen: Schäferhunde, Königspudel oder etwa Airdale-Terrier.» Der langjährige Schulleiter des Vereins für Blindenhunde und Mobilitätshilfen (VBM), Hansjörg Adler, ist ein Profi. Er bildet nicht nur Hunde aus, sondern auch Blindenführhunde-Trainer.

Abhängig von freiwilligen Spenden

Zur Zeit werden beim VBM 10 Hunde und eine Blindenführhunde-Trainerin geschult.

Allerdings stellt sich die Frage, wie lange noch. Denn: Der VBM ist von Konkursängsten geplagt. Der Grund: Der massive Schwund der Spendengelder. Während 1999 noch über 500’000 Franken an Spendengeldern beim VBM eingingen, waren es laut Adler zwei Jahre später nur noch 360’000 Franken.

Der VBM finanzierte sich bisher etwa zu 50% von Spendengeldern. Dazu Adler: «Viele wissen gar nicht, dass wir so stark von freiwilligen Spenden abhängig sind. Die meisten Leute gehen davon aus, dass der Staat alles finanziert, was mit Behinderung zu tun hat.»

Systemwechsel zur falschen Zeit

Seit zwei Jahren gibt es zudem ein neues Finanzierungs-System. Im «alten» System erhielt der VBM pro ausgebildeten Blindenhund 21’700 Franken. Die gesamten Ausbildungskosten pro Hund belaufen sich laut Adler auf knapp 50’000 Franken. Das Überleben war durch die Spenden bisher einigermassen gesichert.

Doch dann stellte das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) das System um, auf Anregung der Blindenhunde-Schulen. Letztere bleiben nun die Besitzer der Hunde und entscheiden über deren «Verwendungsdauer».

Im Gegenzug bezahlt das BSV eine monatliche Gebühr von 350 Franken für einen reinrassigen und 290 Franken für einen Hund ohne Stammbaum. Die Schulen müssen also die Hunde komplett vorfinanzieren.

Dazu der VBM-Schulleiter: «Wir wussten alle, es wird eine schwierige Übergangsphase bis etwa 2007 geben, aber die fehlenden Spendengelder machen uns nun einen bösen Strich durch die Rechnung.»

Keine Zeit zum Resignieren

Die vier Blindenhunde-Schulen wollen sich nun mit dem BSV zusammensetzen und das Problem lösen. Konkret geht es um die Erhöhung der monatlichen Beiträge an die Schulen.

In der Zwischenzeit heisst die Devise beim VBM: Durchhalten und die Hunde fit machen für ihre zukünftigen Abnehmer und Abnehmerinnen. Dazu Adler: «In der Regel bekommen die Blinden innerhalb von neun Monaten ihren Hund. Denn solange dauert die Hunde-Ausbildung.»

Nach erfolgreicher «Abnahme» durch die Invalidenversicherung (IV) ist es soweit: Der Hund bekommt sein neues Herrchen oder Frauchen. Der VBM-Chef:» Wir begleiten das neue Duo natürlich intensiv und entlassen es dann allmählich in die Unabhängigkeit. Nach sechs Monaten sollten Hund und Mensch aufeinander eingespielt sein.»

Der Härtetest

Doch zurück zu den eigentlichen Helden der Geschichte. Auf geht es in die Altstadt von Rheinfelden (AG). Das Ziel: Ein Testgang mit einem Blinden-Hund in Ausbildung durch die sehr belebten, verwinkelten Gassen.

Meine Wahl fällt auf den AppenzellerrüdenKay. In dem Moment, in dem der Schulleiter dem Hund das «Führ-Geschirr» anlegt, ist der junge Hund nur noch eines: hochkonzentriert, sehr seriös und sehr ernst.

Ich setze die Augenbinde auf, und schon geht es los. Natürlich verliere ich die Orientierung gleich in der ersten Sekunde. Der Hund schleift mich vorwärts – zumindest nach meinem Gefühl. Ich hingegen würde am liebsten in Millimeter-Schritten vorwärts schleichen.

Mein Adrenalinpegel erreicht Rekordwerte. Irgendwann – der Arm schmerzt vom Bremsen des Hundes – beschliesse ich, mich in mein «Schicksal» zu ergeben. Schliesslich ist der Schulleiter ja auch noch da. Ich stolpere unsicher mit dem Hund durch die Gassen, und mit jedem Schritt wächst meine grenzenlose Bewunderung für den Vierbeiner. Ja ich vertraue ihm – langsam. Mein Ziel erreiche ich unbeschadet.

Später reise ich ab, aufgewühlt, geschafft und um eine ganz spezielle Erfahrung reicher. Bald werde ich Kay wieder sehen: Im Sommer hat der Appenzellerund seine «Abschlussprüfung» im Hauptbahnhof Zürich während der hektischsten Zeit ab 17 Uhr. Natürlich werde ich die Daumen drücken.

swissinfo, Elvira Wiegers

Die Ausbildung eines Hundes zum Blindenhund dauert etwa neun Monate und beginnt frühestens, wenn der Hund 12 Monate alt ist.

Es muss nicht immer ein Labrador sein: Auch Schäferhunde, Königspudel und Airdaleterrier eignen sich als Blindenführhunde.

Die Ausbildungskosten pro Hund belaufen sich auf knapp 50’000 Franken.

Die zweitgrösste Blindehunde-Schule der Schweiz VBM steckt in der Krise.

Seit zwei Jahren muss der VBM die Ausbildung der Hunde komplett vorfinanzieren. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) bezahlt erst, wenn der Hund ausgebildet ist – maximal 350 Franken pro Hund im Monat.

Gleichzeitig leidet der VBM unter einem massiven Schwund der Spendengelder.

Auch andere Blindehunde-Schulen befinden sich in finanzieller Schieflage. Nun wollen sie mit dem BSV neu verhandeln.

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