Behinderte in der Arbeitswelt
Das Klischee, wonach Behinderte in Werkstätten Bürsten binden und Couverts kleben, stimmt auch heute noch. Allerdings nicht mehr ausschliesslich. Innovation ist eingekehrt.
Der Grossteil der arbeitenden Behinderten hat einen geschützten Arbeitsplatz.
Als das Restaurant «Blinde Kuh» 1999 in Zürich eröffnet wurde, war es eine Weltneuheit. Das Konzept ist einfach, aber genial: Statt die Blinden in die Welt der Sehenden zu integrieren, werden die Sehenden «blind».
Es ist ein unbeschreibliches Erlebnis, im absolut dunklen Restaurant zu essen und sich gleichzeitig mit der eigenen Abhängigkeit vom Sehen auseinander zu setzen.
Faszinierend ist vor allem das blinde oder schwer sehbeeinträchtigte Servierpersonal. Ebenso faszinierend ist auch dessen Orientierungssinn.
Das Restaurant mit 20 sehbehinderten Angestellten ist am Wochenende bis auf 7 Monate hinaus ausgebucht.
«Wir hoffen, nächstes Jahr schwarze Zahlen schreiben zu können», sagt Stephan Zappa stolz. Er ist selber fast blind und Präsident der Stiftung «Blindlicht», der das Restaurant gehört.
Das Lokal sucht nun grössere Räumlichkeiten, denn auch ein Bar-Konzept wartet auf die Realisierung.
Starken Auftrieb hat das Restaurant durch den Expo-Auftritt erhalten. Dazu Zappa: «Die ‹Blinde Kuh› gehörte zu den drei beliebtesten Projekten mit fast 230’000 Besuchern.»
Nicht zuletzt aufgrund des Expo-Erfolgs ist nun auch eine Westschweizer «Blinde Kuh» geplant.
Spektakulär unspektakulär
Wer im Hotel Dom in St. Gallen logiert, dem fällt höchstwahrscheinlich nicht auf, dass das Hotel zu einem grossen Teil von Behinderten betrieben wird.
Die Hotelleiterin Edith Dürst führt zusammen mit 40 Mitarbeitern und 7 Betreuungs-Personen das kleine Hotel mitten in der St. Galler Altstadt.
Im Hotel arbeiten psychisch, körperlich und leicht geistig Behinderte. Viele Menschen haben laut Dürst oft eine Mehrfachbehinderung. Zwar sei die Betreuung intensiv und erfordere Geduld, doch die Angestellten würden hochmotiviert arbeiten.
Edith Dürst hält vor allem den Kontakt mit anderen Menschen für wichtig. Das Hotel – das erste seiner Art in der Schweiz – bildet auch Lehrlinge aus, zum Beispiel Levia Sicheri, die als frischgeborenes Baby aufgrund eines Ärztefehlers ihren rechten Unterarm verlor.
Oft ausgeschlossen
Levia Sicheri kritisiert vor allem die mangelnden Ausbildungs-Möglichkeiten für Behinderte. Bei Bewerbungen habe sie oft hören müssen, dass sie als körperlich Behinderte für dies oder jenes nicht geeignet sei. Eine Chance habe man ihr gar nicht erst gegeben.
Levia Sicheri: «Behinderte werden viel zu wenig in die Gesellschaft integriert und unselbständig gehalten.»
Geeignet für die Integration: Gastronomie
Es gibt in der Schweiz einige Restaurants, die als Integrationsbetriebe geführt werden.
Der Verein Arbeitskette betreibt in Zürich die Restaurants Limmathof und Renggergut mit insgesamt knapp 40 psychisch beeinträchtigten Menschen. Auch hier werden Lehrlinge ausgebildet.
Das Restaurant Limmathof wird seit 9 Jahren in dieser Form geführt. Explizit gegenüber den Gästen erwähnt wird dies nicht: Die Angestellte sollen nicht «ausgestellt» werden. Schliesslich sieht sich der Verein auch nicht als Therapeut, sondern als Arbeitgeber.
Elvira Benz, Geschäftsführerin des Vereins Arbeitskette: «Es ist für die Behinderten wichtig, nahe am Markt zu sein. In der Gastronomie ist dies optimal, weil die Reaktionen der Konsumenten ein direktes Feed-Back vermitteln. Auch sind die Arbeitsabläufe einfach und übersichtlich.»
Elvira Benz ist stolz darauf, dass der Verein in den letzten 9 Jahren 200 Behinderten hat Arbeit bieten können.
Der Verein betreibt ein weiteres neues Reintegrations-Projekt namens «Comeback». Dieses vermittelt Behinderte, die mindestens ein halbes Jahr in einem der zwei Restaurants gearbeitet hat, an «normale» Betriebe weiter.
swissinfo, Elvira Wiegers
Insgesamt leben 790’000 Behinderte in der Schweiz.
630’000 sind körperlich und 215’000 psychisch behindert.
55’000 Personen sind sowohl körperlich als auch psychisch behindert.
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