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Bundesrat: Kernenergie als Option

Kühltürme von KKWs werden auch weiterhin das Landschaftsbild der Deutschschweiz prägen. Keystone

Der Bundesrat hat die Weichen für eine neue Energiepolitik gestellt: Er will bestehende Kernkraftwerke ersetzen oder erneuern, um die ab 2020 drohende Stromlücke zu schliessen.

Als Übergangslösung und für die Bedienung der Konsumspitzen denkt die Regierung an Gaskombi-Kraftwerke. Bürgerliche und Wirtschaftskreise unterstützen diese Politik, die Links-Grünen lehnen sie ab.

Nach intensiven Diskussionen und anfänglich sehr divergierenden Meinungen habe der Bundesrat eine klare Neuausrichtung der Energiepolitik beschlossen, sagte Energie- und Umweltminister Moritz Leuenberger.

Die Schweiz sei bei Öl, Gas und Strom vom Ausland abhängig. Zudem müssten angesichts des Klimawandels die CO2-Emissionen gesenkt werden.

«Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher, sonst laufen wir in Versorgungsprobleme hinein,» sagte Leuenberger. Die Strategie stütze sich auf die drei Säulen Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Grosskraftwerke. Dazu komme eine Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit vorab mit der EU.

Mehr Energieeffizienz

Priorität hätten für den Bundesrat die Verbesserung der Energieeffizienz und der sparsamere Umgang mit den Ressourcen, sagte Leuenberger. Dies spare Kosten, verbessere die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und bringe Investitionsschübe für neue Technologien.

Bei den erneuerbaren Energien setzt der Bundesrat auf einen massvollen Ausbau der Wasserkraft. Die übrigen erneuerbaren Energien sollen zu einem breit diversifizierten, marktfähigen Energiemix in Stromversorgung, Heizung und Verkehr beitragen. Die einschlägige Forschung soll gefördert werden.

Ohne Kernkraft geht es nicht

Diese Massnahmen genügten aber nicht, sagte Leuenberger. Ab 2020 bleibe eine Stromlücke bestehen. Der Bundesrat setze weiterhin auf die Kernenergie und erachte den Ersatz der bestehenden oder den Neubau von Kernkraftwerken für notwendig. Der Bau neuer Anlagen wäre dabei Sache der Elektrizitätsbranche.

Mit Blick auf allfällige Gesuche der Stromwirtschaft wolle der Bundesrat die Verkürzung der Bewilligungs- und Bauverfahren im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Grundlagen prüfen.

Übergangslösung Gas und Dampf

Er sei überzeugt, dass die Mehrheit der Stimmberechtigten neuen Kernkraftwerken nur dann zustimme, wenn der Nachweis erbracht sei, dass die Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien optimal gefördert würden. Dass bereits 2020 ein neues Kernkraftwerk ans Netz geht, hält Leuenberger für ausgeschlossen.

Für eine Übergangszeit befürwortet der Bundesrat deshalb Gas- und Dampfkraftwerke (GuD). Diese Werke sollen ihren CO2-Ausstoss zu 100 Prozent kompensieren müssen, wobei Emissionszertifikate aus dem Ausland angerechnet werden dürfen.

Massnahmen-Katalog

Bis Ende Jahr wird nun das Bundesamt für Energie einen Aktionsplan mit konkreten Massnahmen zur Energieeffizienz vorschlagen.

Leuenberger denkt an Energielenkungsabgaben, Minergiestandards für Gebäude und Geräte sowie ein Bonus-Malus-System für den Import von Autos und Motorrädern.

Dabei erwähnt er auch die Optimierung der Wasserkraft, Schnitzelheizungen, Biomasse und steuerliche Anreize für Solar- und Windenergie.

Ziel sei es, den Verbrauch fossiler Treib- und Brennstoffe bis 2035 um 30 beziehungsweise 50% zu senken und die Energieeffizienz um 1% pro Jahr zu verbessern, sagte Leuenberger.

Reaktionen

Das Nuklearforum Schweiz hat sich über die Deutlichkeit und Klarheit des Entscheids des Bundesrates zur Energiepolitik erfreut gezeigt.

Die Aktion für eine vernünftige Energiepolitik (Aves) fordert den raschen Ersatz von KKW an den bestehenden Standorten zur Entschärfung der drohenden Stromlücke.

Greenpeace Schweiz hält hingegen nicht viel von der bundesrätlichen Energiepolitik. Das sei ein mutloser Entscheid, der dem Klima nicht helfe, sagte Leo Scherer von der Energiekampagne Greenpeace Schweiz.

Auch die Schweizerische Energiestiftung (SES) lehnt die Neuausrichtung der Energiepolitik ab und bezeichnete den vom Bundesrat skizzierten Weg als absolut inakzeptabel.

Der Atom-Anteil an der Schweizer Stromproduktion betrug 2005 38 Prozent.

swissinfo und Agenturen

16 der 27 EU-Staaten setzen auf Atomkraft. Auch die EU-Kommission sieht darin eine der kostengünstigsten Energieformen. Sie kündigte im Januar an, die Debatte stimulieren zu wollen.

Mit 59 Reaktoren in Betrieb liegt Frankreich an der Spitze der europäischen Staaten, die auf Kernkraft setzen. Auf den weiteren Plätzen folgen Grossbritannien (21) und Deutschland (17).

Nichts von Atomenergie wissen wollen hingegen neben Österreich auch Estland, Lettland, Polen, Portugal, Malta, Zypern, Luxemburg, Irland, Dänemark und Griechenland. Was nicht heisst, dass sie keine aus dem Ausland beziehen.

Die Schweiz hat 5 Atomkraftwerke in Betrieb: Beznau I und II (Kanton Aargau, in Betrieb seit 1969 bzw. 1972). Mühleberg bei Bern (1972), Gösgen (Solothurn, 1978) und Leibstadt (Aargau, 1984).

Der Anteil der Kernkraft an der gesamten Stromproduktion in der Schweiz beträgt im Mittel 38% (Winter bis 45%). Das Mittel in Europa beträgt 33%.

Nach dem neuen Energiegesetz, seit 1. Februar 2005 in Kraft, unterliegt der Bau neuer Atomkraftwerke dem fakultativen Referendum.

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