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CERN – Aufbruch zu neuen Horizonten

Das Compact Muon Solenoid, ein Experiment mit 12'500 Tonnen. Cern

Seit mehr als 50 Jahren sind sie den Geheimnissen des Universums auf der Spur, die Forscher des CERN, des weltgrössten Laboratoriums für Teilchenphysik bei Genf.

Wie stellt man sich den Alltag im Innern der Europäischen Organisation für Nuklearforschung an der französisch-schweizerischen Grenze vor? Zwei junge Forscher berichten über ihre Erfahrungen.

Auf den durchschnittlich gebildeten Menschen, der von Teilchen, Quarks und Antimaterie bestenfalls eine verschwommene Ahnung hat, dürfte der sachlich-nüchterne Gebäudekomplex etwas ausserhalb von Genf eher abschreckend wirken.

Doch an diesem Ort versuchen Tausende von Forschern und Wissenschaftern, unter ihnen führende Vertreter aus allen Teilgebieten der Physik, dem Universum durch genaueste Untersuchung der Materie immer neue Geheimnisse zu entreissen.

Das CERN hat rund 3000 ständige, wissenschaftliche und technische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die gesamte Belegschaft des Zentrums beträgt allerdings je nach Anzahl der Gastforscher, die nur eine gewisse Zeit am CERN sind, bis zu 7000 Personen.

Erfahrungen im CERN

Eine solche Gastforscherin ist die 27 Jahre alte Anne-Sylvie Giolo. Sie hat ihr Studium an der Universität Lausanne und der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich absolviert und weilt nun im Rahmen eines zweijährigen Stipendiums am CERN.

Giolo arbeitet am 12’500 Tonnen schweren Compact Muon Solenoid (CMS), einem Experiment, das dem grossen Hadron Collidor (LHC), einem 27 km langen Teilchenbeschleuniger angeschlossen ist. Der LHC soll 2007 den Betrieb aufnehmen.

Rund 3000 Forscher aus 40 Ländern sind mit dem Bau des CMS-Detektors (Kosten 1 Mrd. Franken) beschäftigt, der in nicht allzu ferner Zukunft die Auswirkungen von Teilchenkollisionen im 3 Mrd. Franken teuren LHC-Beschleuniger analysieren wird.

«Das erste, was einem im CERN auffällt: Du weisst zwar, dass du dich in der Schweiz befindest, doch du merkst nicht viel davon. Das CERN ist ein sehr internationales Forschungszentrum,» sagt Giolo im Gespräch mit swissinfo.

«Es hat verhältnismässig sehr wenige Schweizer hier. Wenn ich den Leuten sage, ich sei Schweizerin, sind sie oft ziemlich überrascht, denn sie treffen nicht viele von uns.»

Aufgeregte Stimmung

Mit der bevorstehenden Inbetriebnahme des langersehnten LHC im kommenden Jahr breche am CERN ein neues Zeitalter an. Und unter den Mitarbeitern des Zentrums sei unterdessen eine gewisse aufgeregte Erwartung spürbar, sagt Giolo.

Der LHC wird Protonen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit zur Kollision bringen und damit Bedingungen simulieren, wie sie Sekundenbruchteile nach dem Big Bang vor 13,7 Milliarden Jahren geherrscht haben mussten.

Der Untergrund-Tunnel des Partikel-Beschleunigers wird mit 1700 schweren, superleitenden Magneten auskleidet sein, die bis zu 32 Tonnen wiegen. Zum LHC gehören auch vier riesige Detektoren, darunter der CMS.

«Vor zwei, drei Jahren war es hier ziemlich still. Die Leute waren deprimiert und ein bisschen frustriert, weil alles viel langsamer ging als erwartet», erzählt Giolo.

Bald wird man Daten sammeln

«Doch jetzt werden die Detektoren gebaut, schon bald werden im LHC Kollisionen stattfinden und wir werden Daten sammeln können. Mir scheint, den Leuten wird das jetzt so langsam bewusst. Sie wachen auf und sehen, dass es wirklich fast soweit ist.»

Dieser Meinung ist auch der 28 Jahre alte Raphaël Schroeter, ein Absolvent der Universität Genf, der vor einem Jahr mit seiner Dissertation begonnen hat und seine Zeit jetzt zwischen CERN und Universität aufteilt.

Der junge Physiker arbeitet an zwei Experimenten: Er analysiert Daten des Hadron Production Experiment (Harp) und arbeitet in einem Team von 12 Wissenschaftern am Entwurf eines Prototyps für einen Detektor.

Ganz toll findet Schroeter am CERN die einmalige Konzentration von führenden Köpfen aus den verschiedenen Wissensgebieten, die «in einer angenehmen Atmosphäre» ausserordentlich gut zusammen arbeiten.

Ausmass kaum zu bewältigen

«Du brauchst bloss 500 Meter zu gehen, um mit den weltbesten Spezialisten für jede Technologie ein Gespräch zu führen», sagt er weiter. Aber Schroeter gibt auch zu, dass das schiere Ausmass dessen, was am CERN vor sich geht, manchmal kaum zu bewältigen ist.

«Die Detektoren, die heute gebaut werden, sind von einer fast unendlichen Komplexität. Letztes Jahr wohnte ich einer Präsentation über das Kontrollsystem für den LHC bei – ich hatte bereits nach einer halben Stunde Kopfschmerzen und wir hatten erst etwa 30% der installierten Bestandteile angeschaut», erzählt Schroeter weiter.

swissinfo, Adam Beaumont, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Dieter Kuhn)

Das CERN wurde 1954 von 12 Staaten gegründet, darunter die Schweiz. Die Zahl der Mitgliedstaaten ist mittlerweile auf 20 angewachsen.
Rund 6500 Forscher – oder etwa die Hälfte aller Teilchenphysiker der Welt – von ungefähr 500 Instituten und Universitäten haben Zugang zum CERN.

Das CERN baut zur Zeit den Large Hadron Collider (LHC), der 2007 als stärkster Teilchenbeschleuniger der Welt den Betrieb aufnehmen soll, und der das Verständnis des Universums von Grund auf verändern könnte.

Auch das World Wide Web begann ursprünglich als CERN-Projekt unter dem Namen Enquire, in die Wege geleitet vom britischen Computerexperten Sir Tim Berners-Lee im Jahr 1989.

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